Gefährlichkeit und Tödlichkeit einer Seuche bleiben mit die wichtigsten Auslöser jeglicher Gegenmaßnahmen: Entwicklung von Medikamenten bzw. Impfstoffen, und solange die nicht verfügbar sind, fragt man sich, mit welchen Methoden man den Erreger in Schach halten kann. Beides mit umso höherer Priorität, je mehr Leid und Tod die Seuche (pro Woche / pro Monat / pro Jahr) verbreitet.
Über Letzteres scheint es bei Covid-19 immer noch keinen Konsens zu geben, und daher möchte hier nochmal die Sterblichkeit beleuchten.
Wer Informationen zu Covid-19 eher im Vorbeigehen wahrnimmt, wird vielleicht auch die Sterblichkeits-Studien von Prof. Dr. John Ioannidis überflogen haben, in Diskussionen die von ihm behaupteten 0,15% nennen und sich dabei schlau fühlen.
Denn Ioannidis ist ein international bekannter und angesehener Gesundheitswissenschaftler und Statistiker, der in seiner Studie "Reconciling estimates of global spread and infection fatality rates of COVID-19: An overview of systematic evaluations" vom 26.03.2021 unter Highlights schreibt: "Global infection fatality rate is approximately 0.15% with 1.5-2.0 billion infections as of February 2021."
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Übersetzt: "Die globale Infektionssterblichkeitsrate beträgt ca. 0,15 % bei 1,5-2,0 Milliarden Infektionen (Stand: Februar 2021)". Ohne Begleitinformationen in den Highlights wird so suggeriert, daß mit den 0,15% alles Wichtige zur Infektionssterblichkeit (IFR) gesagt sei.
In diesem Sinne berichtet u.a. auch der tkp-Kanal, der aber wenigstens nicht nur auf Stammtischniveau schreibt. Denn immerhin wird kurz angedeutet (Zitat): "...eine IFR von 0,15 bis 0,20% kam... Anders als Grippe, die auch sehr Junge stark betrifft und gefährden kann, besteht bei SARS-Cov-2 ein Unterschied zwischen Jungen und Alten um einen Faktor 1000 oder noch mehr." Zitat Ende.
Was das aber in der Praxis bedeutet, wird bei tkp komplett ausgeblendet.
Tatsächlich beschreibt die IFR, welcher Anteil einer zu 100% infizierten Studiengruppe an der Infektion stirbt; bei IFR = 0,15% gibt es 15 Tote auf 10.000 Infizierte. Mehr als 100% Infektionsquote (pro Welle) ist unmöglich, und daher nennt die IFR gleichzeitig den Worst Case des Bevölkerungsverlustes in % als Folge einer Infektionswelle mit dem jeweiligen Erreger.
Somit dürften nach Ioannidis' oben zitiertem Studien-Highlight während einer Coronawelle nirgendwo mehr als ca. 0,15% der Bevölkerung an Covid-19 sterben.
In der Realität findet man allerdings unter den heftig getroffenen Regionen einige, die während der ersten Coronawelle einen erheblich höheren Bevölkerungsverlust (= kumulierte Übersterblichkeit) hatten als 0,15%:
eigene Auswertung
Beim traurigen Spitzenreiter Nembro (eine Stadt mit ~ 11.500 Einwohnern in der italienischen Provinz Begamo) starben innerhalb von 6 Wochen insgesamt 147 statt der saisonal üblichen 15 Personen (Quelle, siehe Table 1), was eine Übersterblichkeit von 132 Fällen ergibt.
Mit Ioannidis' 0,15% IFR hätte es dort bei einer Covid-19-Infektion aller Einwohner nur ca. 17 Covid-19-Sterbefälle geben dürfen. Somit verbleibt eine rechnerische Erklärungslücke von 115 Todesfällen, für deren Größenordnung keine anderen plausiblen Gründe (Naturkatastrophen, Terroranschläge, andere Seuchen...) zu finden sind. Die nächstliegende Annahme sind daher 132 statt 17 Coronatote in Nembro, was dem 7,8-fachen der globalen Ioannidis-IFR entspricht!
Auch z.B. in ganz Bergamo und New York City mit 1,1 bzw. 8,8 Millionen Einwohnern (Letztere entsprechen schon einem Land wie Österreich!) liegen die Bevölkerungsverluste während der 1.Coronawelle um den Faktor 3,7 bzw. 2,2 höher als die 0,15% von Ioannidis - trotz Lockdowns, die eine Ausbeitung des Virus in der ganzen Bevölkerung verhinderten!
Die Daten aus Nembro, Bergamo und New York City sind schon seit fast 1 Jahr vor der verlinkten Ioannidis-Studie bekannt und zeigen, daß er mit seiner pauschalen 0,15%-IFR für Covid-19 zumindest in diesen Beispielen viel zu niedrig liegt.
Aber zum Glück ist Ioannidis nicht der Corona-Nabel der Welt, sondern es gibt noch andere Studien zur IFR von Covid-19 - z.B. diese Metastudie vom 08.12.2020 (also noch ohne Einfluß der Massenimpfungen gegen Covid-19) auf der Grundlage von 27 Einzelstudien in 34 verschiedenen Regionen der Welt. Dort findet man als Table 3 folgende Aufstellung:
https://link.springer.com/article/10.1007/s10654-020-00698-1/tables/3
Diese Tabelle greift das o.g. Streiflicht von tkp auf und bestätigt, was schon fast jeder über Covid-19 weiß:
Die Anzahl der Sterbefälle während einer ungebremsten Covid-19-Welle in einem bestimmten Land oder Region hängt hochgradig vom Bevölkerungsanteil alter Menschen ab!
Mit den Daten der beiden linken Spalten läßt sich problemlos die ungefähre Sterbezahl bei Infektion aller Bewohner eines Landes / einer Region usw. abschätzen, indem man die Prozentdaten der 2.Spalte mit der Bevölkerungszahl der entsprechenden Altersgruppe multipliziert und die Ergebnisse aufaddiert.
Für die weltweite IFR sieht das in Millionen Menschen so aus (Kommata sind hier Tausender-Trennzeichen):
eigene Auswertung
Die IFR für 2020, die den Namen "global" verdient, liegt nach dieser Berechnung bei ~ 55 Mio. Toten in einer Bevölkerung von 7,8 Mrd., also 0,71% - das ist fast das Fünffache der Zahl von Prof. Dr. Ioannidis!
Allerdings starben laut Worldometer bis zum ungefähren Wirksamkeitsbeginn der welteiten Massenimpfungen "nur" rund 1,9 Millionen Menschen statt der grade berechneten 55 Millionen.
Liegt Ioannidis also doch richtiger? Nein, denn weltweit wurden bis Ende Dezember 2020 "nur" ~ 84 Millionen Covid-19-Infektionen festgestellt, was rund 1% der Weltbevölkerung entspricht. Das liegt nicht nur an den Dunkelziffern unerkannter Infektionen, sondern auch an Kontaktbeschränkungen bis hin zu Lockdowns rund um den Globus, die die Verbreitung des Virus ausbremsten, bevor es die Bevölkerungen ganzer Länder infizieren konnte.
Die Erfolgsquote der Kontaktbeschränkungen auf Grundlage der verfügbaren Daten von Ende 2020 (mit allen Unsicherheiten) ergibt sich aus dem Verhältnis von tatsächlichen 1,9 Millionen Coronatoten und den berechneten 55 Millionen Coronatoten bei Infektion der ganzen Weltbevölkerung, was bedeutet: Weltweit haben ca. 96% der möglichen Todesopfer das Coronajahr 1 überlebt.
Aber sind denn 0,71% als globale IFR überhaupt eine realistische Größenordnung? Schauen wir in die entsprechende IFR-Tabelle für Nembro:
eigene Auswertung
Schlimmstenfalls wären demnach 230 Coronatote bzw. 2% Bevölkerungsverlust zu erwarten gewesen (der Grund für die Diskrepanz zu den 0,71% IFR der Weltbevölkerung liegt in dem viel höheren Anteil alter Menschen in Italien).
Wie oben gezeigt, erreichte die Übersterblichkeit während der 1.Coronawelle in Nembro "nur" 1,14% der Bevölkerung, und das lag höchstwahrscheinlich an den Regierungsmaßnahmen: "Seit Beginn des Ausbruchs wurde eine Reihe von Eindämmungsrichtlinien sowohl auf nationaler als auch auf lokaler Ebene umgesetzt. Die italienische Regierung hat am 21. Februar die Quarantäne von elf Gemeinden in Norditalien ausgerufen, die dann am 8. März auf die gesamte Region Lombardei und am nächsten Tag schließlich auf das ganze Land ausgeweitet wurde. Danach wurden strenge Sperrmaßnahmen ergriffen, darunter soziale Distanzierung, Reisebeschränkungen, Schließung aller nicht wesentlichen Unternehmen und Branchen und Bestellungen für den Aufenthalt zu Hause. Die meisten der strengsten Maßnahmen wurden erst Anfang Mai veröffentlicht." (übersetzt aus https://academic.oup.com/ije/article/49/6/1909/5923437).
In Nembro gelang es also vermutlich, rund 43% der potentiellen Todesopfer vor dem Virus zu verstecken.
Diese Betrachtungen zeigen: Mit den altersgestaffelten Daten der o.g. Studie lassen sich auch extreme Corona-Sterbezahlen plausibel erklären - ganz im Gegensatz zur Pauschal-IFR von Ioannidis.
Daraus folgt:
Die Behauptung einer global-pauschalen 0,15%igen IFR für Covid-19 ist realitätsfremd, nutzlos und gehört auf den Müllhaufen der Corona-Ära!
Einige User werden sich vielleicht fragen, welche Bedeutung das alles für Österreich bzw. Deutschland hat. Auch für hier lassen sich leicht die Sterbezahlen für 100% Infektionsrate berechnen:
eigene Auswertung
Wenn man bereit ist, "böse Zahlen" anzunehmen anstatt sie mit "Es kann nicht sein, was nicht sein darf" wegzuleugnen, sieht man anhand der o.a. Metastudie:
Eine Coronawelle mit kompletter Durchseuchung der ungeimpften Bevölkerung hätte in Österreich vermutlich runde 1,7% der Bevölkerung = 151.000 Menschen getötet, und in Deutschland ca. 2% der Bevölkerung = 1,64 Millionen Menschen.
Die berechneten Schutzwirkungen zeigen wieder die Überlebensquote potentieller Covid-19-Opfer bis Ende 2020.
Und wer oder was hätte das Virus angesichts der "Sterbebeschleunigung" in Nembro, Bergamo oder NYC daran hindern sollen, ohne Kontaktbeschränkungen vermutlich innerhalb weniger Monate die komplette Bevölkerung Österreichs und Deutschlands zu infizieren?
Welche Dimensionen von Unsinn sich stattdessen aus dem Internet (auch "dank" Akademikern wie Ioannidis!) in die Köpfe von Coronaleugnern und Impfgegnern gefressen haben, finde ich in diesem Cartoon gut dargestellt:
Ruthe/Distr. Bulls