Zuerst mal wieder ein Vorspann.
Die klarsten Daten zum Verlauf einer Epidemie liefern tägliche und wöchentliche Sterbezahlen, wenn sie deutlich über dem langjährigen Mittel liegen. Die Relation der "zuvielen Toten" (unabhängig von der Todesursache!) im Vergleich zum langjährigen Mittel wird als Übersterblichkeit bezeichnet.
Die Grafik der 1.Coronawelle in Deutschland sieht so aus:
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Destatis+ eigene Ergänzungen
Die Untersterblichkeit bis zur Woche 11 resultiert aus den ungewöhnlich wenigen Grippetoten.
Aus dem Daten-Download von Destatis läßt sich per Tabellenkalkulation die folgende Grafik erstellen:
eigene Auswertung
Die prozentual höchste Übersterblichkeit (rote Kurve geteilt durch grüne Kurve) in der 15.KW betrug 14,5%. Nicht allzu hoch und fast lächerlich z.B. gegenüber Spanien oder Großbritannien, aber es reicht für ein paar grundsätzliche Betrachtungen.
Im Frühjahr 2020 gab es in Deutschland außer der 1. Coronawelle keine Ereignisse, die eine deutliche Übersterblichkeit erklären könnten. Daher kann man die knapp 10.000 "zuvielen Toten" mit der gleichen Berechtigung dem Covid-19-Virus zuschreiben, wie die medizinische Fachwelt seit jeher alle Winter-Übersterblichkeiten mit der Grippe bzw. Influenza erklärt.
Die mittlere Dauer zwischen Infektion und tödlichem Ausgang bei Covid-19 beträgt rund 3 Wochen, siehe Abschnitt i hier. Folglich müssen die meisten Infektionen 3 Wochen vor dem Peak der Übersterblichkeit passiert sein - also in Deutschland in der 12. Woche.
Ende des Vorspanns.
Nun gibt es Studien z.B. von Thomas Wieland und von Ben Israel, die zeigen sollen, daß Lockdowns keinen nennenswerten Einfluß auf den Verlauf einer (Corona-)Epidemie haben.
Die Fehler der Wieland-Studie für Deutschland
Im gesamten Text in englischer Sprache taucht nirgendwo das Wort "Excess mortality" (= Übersterblichkeit) oder Ähnliches auf. Folglich baut Wieland seine Studie ausschießlich auf den offiziellen deutschen Infektionszahlen auf ("Dates of infections were estimated from official German case data" . . .) und fängt sich damit schon rund um die PCR-Tests diverse mögliche Fehlerquellen ein - Stichworte falsch-positiv, falsch-negativ, Positivrate, Dunkelziffer, symptomlos Infizierte, wöchentliche Testzahlen, getesteter Personenkreis, Test(un)willigkeit angesichts drohender Quarantänemaßnahmen bei positivem Ergebnis . . .
Daher arbeitet Wieland mit etlichen Vermutungen und "Korrekturen" der Infektionszahlen, um das gemeldete Maximum in der Woche 14 (gelbe Kurve) . . .
Thomas Wieland + eigene Ergänzungen
. . . durch ein konstruiertes Infektionsmaximum in der Woche 11 (blaue Kurve) zu ersetzen.
So glaubt er zu beweisen, daß der Lockdown am Ende der Woche 12 erst kam, als die Infektionen schon irgendwie von selbst oder aus anderen Gründen zurückgingen.
Prof.Dr.Rieck erklärt die Wieland-Studie ausführlich hier ab 1:05 Minuten . . .
. . . und sieht ebenfalls ein Indiz für die Nutzlosigkeit des Lockdowns darin, daß er keinen erkennbaren Einfluß im Verlauf der Daten hinterlassen habe (ab 5:00 Minuten im Video) - wobei mit den Daten nur die konstruierte blaue Wieland-Kurve gemeint sein kann.
Hätten beide "die Toten gefragt", dann wüßten sie, daß das Infektionsmaximum in der Woche 12 gelegen haben muß - siehe Vorspann.
Aber schauen wir trotzdem noch genauer hin. Beim Vergleich des Übersterblichkeits-Verlaufes aus der 2. Grafik oben mit den positiven Testergebnissen laut RKI-Download (grau: tägliche Rohdaten wochenweise addiert) fällt sofort die fast perfekte Korrelation beider Kurven mit 1 Woche Zeitverschiebung auf - trotz aller o.g. Fehlerquellen bei den Testzahlen:
eigene Auswertung
So liegt es wegen der o.a. 3 Wochen zwischen Infektion und Tod auf der Hand, die Kurve der gemeldeten Positiv-Tests so zu verschieben, daß sie 3 Wochen vor der Übersterblichkeitskurve liegt. Das ergibt bei minimalem Aufwand eine verläßliche Kurve des Infektionsverlaufs (schwarz) mit einem klaren Maximum in der Woche 12.
Genau am Ende der Woche 12 kam der harte Lockdown (blaue Linie), und sofort anschließend begannen die Infektionszahlen zu sinken - in Woche 13 schon um 27%.
Zudem begann auch die Übersterblichkeit ab 3 Wochen nach dem Lockdown zu sinken, und alles paßt logisch zusammen. Nicht nur in Deutschland, sondern rund um den Globus.
Eindeutiger kann sich die Wirkung eines Lockdowns doch wohl kaum in den Daten zeigen, Herr Professor Dr.Rieck?
Die banale Israel-Studie
Auch diese Studie basiert auf tendenziell unsicheren Infektionszahlen; aus der hohen Korrelation von gemeldeten Infektionen und Übersterblichkeit in Deutschland läßt sich nicht folgern, daß das weltweit so ist!
Im oben verlinkten Video bespricht Professor Dr. Rieck von 9:05 bis 10:53 Minuten die Israel-Studie und bestaunt ihre triviale Hauptaussage, daß die Infektionszahlen nach ein paar Wochen gegenüber dem theoretischen exponentiellen Anstieg zurückbleiben, und zwar weltweit und unabhängig von den Regierungsmaßnahmen bzw. Lockdowns:
https://www.timesofisrael.com/the-end-of-exponential-growth-the-decline-in-the-spread-of-coronavirus/
Dabei hat er gerade 6 Minuten vorher (ab 2:50 bis 4:46 Minuten) schon selbst die Erklärung geliefert: Sobald sich in einer Bevölkerung herumspricht, daß eine gefährliche ansteckende Krankheit durchs Land rollt, ändern die Menschen von sich aus ihr Verhalten so, daß die exponentielle Ausbreitung der Epidemie gebremst wird.
Das funktionierte bei Covid-19 anfänglich besonders gut, weil es eine neue Krankheit ist, deren Gefährlichkeit für jeden einzelnen noch nicht verläßlich abschätzbar war. Daher ging man lieber vorsichtig mit der Sache um und hielt eher mehr Abstand als zu wenig. Hier zeigt sich, wie leicht sich Völker mit der Angst vor unbekannten Gefahren lenken lassen – über den ganz natürlichen Weg des eigenen Überlebenswillens.
Ben Israel scheint ein langes exponentielles Wachstum der Infektions- und Todeszahlen als normal anzusehen. Aber wegen der o.g. Reaktionen der Menschen auch ohne Lockdown ließe sich so etwas nur in totalitären Staaten beobachten, die die Bevölkerung von jeglichen Informationen über die Seuche abschirmen und sämtliche Whistleblower radikal stummschalten. Ungefähr so, wie es z.B. Rußland in der ersten Zeit nach der Tschernobyl-Katastrophe praktizierte.
Mit seinen Grafiken für einzelne Länder zeigt Ben Israel prinzipiell das Gleiche wie in Deutschland - hier z.B. für Italien, wo die die gemeldeten Infektionszahlen ebenfalls ca. 2 Wochen nach dem Lockdown zu sinken begannen:
https://www.timesofisrael.com/the-end-of-exponential-growth-the-decline-in-the-spread-of-coronavirus/ + Ergänzungen
Zusammengefaßt beschreibt die Israel-Studie ganz normale Abläufe als etwas Erstaunliches.
Was nach dem 13.April 2020 weltweit passierte, kann man z.B. bei Worldometer sehen . . .
https://www.worldometers.info/coronavirus/worldwide-graphs/#daily-cases
. . . und spätestens angesichts des Anstiegs in der 2.Oktoberhälfte die Ben-Israel-Studie in Gedanken schreddern, weil sie von der Realität überholt wurde.
Dann gibt es noch eine Grafik von Prof. Dr. Stefan Homburg:
https://twitter.com/SHomburg/status/1304411128471183360
. . . die Professor Dr. Rieck ebenfalls in seinem Video ab 5:40 Minuten bespricht. Auch er fällt auf den Denkfehler herein, die Zeit zwischen der Ankunft des Virus in einem Land und dem Lockdown zu ignorieren. Anders ausgedrückt für eine angenommene Todesrate (IFR) von 1 Prozent:
Wenn bis zu einem wirksamen Lockdown 1 Prozent der Bevölkerung infiziert sind, werden mindestens 0,1 Promille sterben.
Wenn bis zu einem egal wie harten Lockdown schon 10 Prozent der Bevölkerung infiziert sind, werden mindestens 1 Promille sterben. Ungefähr so etwas könnte bei den Ländern rechts-oben in der Grafik passiert sein, ohne daß deswegen eine pauschale Wirkungslosigkeit von Lockdowns bewiesen wird.
Aber Prof. Dr. Homburg scheint zumindest zeitweise gewisse Verständnisprobleme mit den Auswirkungen der Größe "Zeit" zu haben. So versuchte er schon in diesem Video
ab 11:15 Minuten anhand der Kurvenmaxima in Übersterblichkeits-Grafiken von Euromomo zu zeigen, daß Covid-19 nicht tödlicher wäre als die Grippe:
Youtube
Auch hier hat er die Zeit ignoriert: Zeit, die es brauchte, bis die 1.Coronawelle durch ganz Europa gerollt war und die Sterbedaten aller 26 teilnehmenden Länder und Regionen bei Euromomo eingepflegt waren. Denn seitdem sieht die unterste All-Ages-Kurve (im neuen Euromomo-Design) so aus:
https://www.euromomo.eu/graphs-and-maps + eigene Ergänzungen
Eventuelle Folgerungen über die allgemeine Relevanz von Äußerungen des Prof. Dr. Homburg möge jeder für sich ziehen . . .