Miami, Frühjahr 2016: Floridas Süden ist topfeben, aber das ist hier in keinster Weise spürbar. Kaum zweihundert Meter weit reicht der Blick, bevor nicht in jeder Richtung eine graue Wand die Sicht versperrt: Wir befinden uns in der "Magic City", in der Stadt, die sich so schnell wandelte und wandelt, dass es wie Zauberei wirkt. Im Jahre 1905 war sie nicht mehr als eine Ansammlung von Holzhäuschen am Meer. Einwohner: 5000. Erst wuchs das kleine Miami von der Welt unbemerkt, langsam und beschaulich. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann ein Bauboom, zu dessen Spitzenzeiten mehrere Dutzend Hochhäuser pro Jahr im Eiltempo hochgezogen wurden. Zurzeit leben in Downtown über 400'000 Menschen, Tendenz immer noch steigend: Baukräne, halbfertige Wolkenkratzer und abgesteckte Areale für neue zwanzigstöckige Häuser gehören zum Strassenbild für eh und je. Aber warum? Was ist der Grund, dass solche Kosten und Aufwände in der Menschheitsgeschichte immer wieder betrieben werden. Was veranlasst uns dazu, den Boden in den Himmel zu verschieben?
Nur wenige Kilometer entfernt von den Stadtgrenzen des heutigen Kairos liegen die Pyramiden von Gizeh , die wie nichts anderes für die hochentwickelte Kultur der alten Ägypter stehen. Bis heute ist es der Wissenschaft ein Rätsel, wie diese monumentalen Bauwerke überhaupt errichtet werden konnten. Zwar verfügten die alten Ägypter über relativ gute Kenntnisse der Mathematik; wie sie dieses Wissen genau genutzt haben, ist jedoch nicht bekannt. Sicher ist: Die Pyramiden waren religiöser Natur; sie dienten als riesige Grabkammern für die Paharaonen; nach dem Glauben der damaligen Zeit Mensch gewordene Götter.
Auch die Mayas und Inkas in Zentral- und Südamerika nahmen die Anstrengungen eines Pyramidenbaus ihren Göttern zuliebe auf sich: Auf der abgeflachten Spitze, einer Art Plateau, wurden Zeremonien abgehalten und Menschenopfer dargebracht. Im europäischen Mittelalter war ebenso klar: Die Kirche ist das höchste Gebäude im Dorf. Auch wurde versucht, gigantische Kathedralen immer weiter in den Himmel zu bauen, was zu abenteuerlichen Konstruktionen wie unzähligen Stützpfeilern bei gotischen Kirchen führte. Eine Aushahme dieses Prinzips bildeten die Burgen, wo der höchste Turm - "Bergfried" genannt - eine bedeutende strategische Rolle für den Fall eines Krieges innehatte, während eine kleine Kirche oder Kapelle gut geschützt im Innenhof lag. Über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende, liessen also die verschiedensten Gesellschaften Türme und jede Art von hohen Bauwerken nur aus zwei Gründen zu: Als militärischer Stützpunkt und als Symbol einer Religion. Beim Streifzug durch die Weltgeschichte der Architektur wird klar: Unabhängig von kultureller Prägung, Geschlecht oder Religion sind wir Menschen nach oben, gen Himmel orientierte Wesen. Was oben ist, ist gut - dies zeigt sich schon in unserer Sprache, wo "oben" positiv, "unten" dagegen negati konnotiert ist: In einem "Hoch" geht es uns gut, wenn wir dagegen "ganz unten" sind, stehen wird vor grossen Problemen.
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Mit dem Aufkommen des Humanismus, der den Menschen und seine individuelle Freiheit in den Mittelpunkt stellte sowie der darauffolgenden Säkularisierung brach ein neues Zeitalter an, nicht nur für die Herrscher, den Adel und die Kirche: Hier wurde erst die ideologische Grundlage gelegt, damit der Mensch die göttliche Sphäre Himmel erobern und ohne religiösen Grund, nur für sich selbst, "hoch hinaus" durfte.
Hochhäuser im eigentlichen Sinne kamen zwar mehr durch Zufall in die Welt, doch waren sie auch eindeutig Kinder ihrer Zeit: Die ersten Wohnhäuser mit mehr als ein paar Stockwerken entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts in Chicago - aus der Not heraus. Einem Grossbrand waren ganze Teile eines Stadtviertels zum Opfer gefallen, es mussten rasch und kostengünstig neue Behausungen für die obdachlos gewordenen Menschen errichtet werden. Die Idee des Hochhauses war geboren - und sie verbreitete sich schnell innerhalb der USA. Die boomende Stadt New York, Ankunftshafen für Millionen von Immigranten aus der alten Welt, hatte bald die Vorreiterrolle dafür übernommen: Tausende von Arbeitern wurden in immer höheren Gebäuden übereinandergestapelt, ein Wolkenkratzer wurde neben dem anderen errichtet, Manhattan entstand: Der Wolkenkratzer als handfestes Symbol des Fortschritts und der Effizienz. Hochhäuser waren in und stylish, standen für den Zeitgeist, verkörperten das moderne Leben.
Und so begannen sich auch die Motive der Bauherren langsam zu wandeln: Anstatt dem praktischen Nutzen zu dienen, zelebriert das Hochhaus seit nunmehr einem halben Jahrhundert primär eine Person, eine Firma, einen Machtanspruch; man denke nur an den neuen Roche-Turm in Basel, den Burj Kalifa in Dubai oder den Trump Tower. Es stören sich viele Anwohner beim geplanten Bau eines Wolkenkratzers nicht bloss an dem Schattenwurf, der gefühlten Enge auf der Strasse, sondern auch am starken Symbolcharakter: Der Auftraggeber errichtet sich selbst ein Denkmal, zeigt die Absicht, das Stadtbild nach seinen Vorstellungen zu prägen oder gar zu dominieren und baut sich ganz wortwörtlich in das Alltagsleben der Menschen ein.
Wer erinnert sich nicht an die Geschichte aus der Bibel über den Turm von Babel, mit dem sich die Menschen selbst ein Denkmal setzen wollten und dafür von Gott bestraft wurden? Diese Geschichte ist Realität geworden. Bloss, dass diesmal der Narzissmus die Überhand gewonnen hat. Hochhäuser sind Prestigeprojekte und es ist sicher auch kein Zufall, dass Wolkenkratzer und die masslose Darstellung des Selbst beide aus den USA stammen. In den Industrienationen ist es schwierig geworden, über exklusive Besitztümer zu verfügen: Ein Sportwagen, ein Boot, eine Villa mit Garten sind nicht für jeden erschwinglich, aber für zu viele, um damit angeben zu können. Superreiche mussten sich also nach anderen Möglichkeiten zur Präsentation ihrer selbst umsehen. Diese "Philosophie" herrscht ebenso bei den Firmen vor. Seit Beginn der industriellen Revolution und insbesondere seit der Etablierung der Globalisierung konnten sich immer grössere Unternehmen bilden, die mit der Zeit in der Lage waren, ihre Konkurrenten aufzukaufen und so zu Megakonzernen wurden. Arbeitnehmer und Kapital konzentrieren sich zunehmend auf einige wenige solcher Unternehmungen. Was lag da näher, als sich durch gewaltige Bauwerke der Welt zu präsentieren und zu zeigen, wie wichtig und finanzmächtig man ist? Und was illustriert diese Macht und Wichtigkeit besser, als ein Hochhaus, das niemand übersehen kann und über dem gemeinen Fussvolk thront?
Wer die Architekturgeschichte betrachtet, merkt: Dem höchsten Wert gebührt das höchste Gebäude. Und das ist in dieser Epoche das Selbst. So wenig ein Donald Trump auch mit der Aufklärung zu tun hat, der nach ihm benannte Turm ist eine ihrer Folgen. Und führt zu der ernüchternden Erkenntnis, dass sich im Kern eigentlich nichts geändert hat: Anstelle von Kaisern und Göttern lassen sich heute einfach Firmen und Milliardäre einen alles überragenden Tempel errichten. Höchste Zeit, die abgehobenen Selbstdarsteller ab und an wieder auf den Boden zurückzuholen.