"Ich habe Angst – und Du?"

Vor wenigen Wochen habe ich einen Text mit dem Titel "Ich habe Angst" geschrieben. Ich habe darin, sehr emotional, über meine Ängste vor den Flüchtlingsströmen geschrieben. Der Text entstand aus Gesprächen mit Menschen, die mit dem Thema unmittelbar verbunden sind, Psychiater, Flüchtlingshelfer und Angestellte des Verteidigungsministeriums. Es war ein Text, der subjektive Wahrnehmungen wiedergab – ein Text, für den ich heftige Kritik, und auch viel Beifall erntete. Angst schüren, das war nie meine Absicht, doch schäme ich mich für meine Angst nicht. Viele Fragen gehen mir und Tausenden anderen durch den Kopf, "welche Werte haben diese Menschen, werden sie meine akzeptieren?", "haben wir Arbeit für sie?", "wie steht es um mögliche Radikalisierungstendenzen?"

Es war mir ein Anliegen, mich mit Klaus Schwertner von der Caritas zu treffen. Schwertner hatte meinen Text kritisiert und meinte, er würde Angst machen. Ich traf ihn im Magdas Hotel in Wien. Das Hotel wird unter der Schirmherrschaft der Caritas von Flüchtlingen betrieben, ein außerordentlich schöner Ort der Begegnung. Schwertner war sehr offen, er bot mir das Du-Wort an und antwortete auf unsere Leser-Fragen und meine eigenen.

FuF: Mein Text über Angst polarisierte heftig. Viele Menschen schrieben mir, meine Angst sei irrational, ich solle sie erst dann haben, wenn es berechtigte Gründe dafür gäbe; andere wiederum dankten, weil sie das Gefühl hatten, endlich offen über ihre Ängste sprechen zu können. Wenn ich mir die Flüchtlingssituation durchdenke, mache ich mir tatsächlich Sorgen. Viele dieser Menschen haben andere Werte, gelten als nicht sonderlich tolerant; wir haben auch nicht ausreichend Jobs für sie und wissen noch zu wenig über Gewaltbereitschaft, Radikalisierungstendenzen u.ä. Klaus, ich habe nun einmal Angst, und Du?

Schwertner: Als Kind hatte ich Angst, ja, vor der Dunkelheit, aber vor Flüchtlingen? Nein, vor Menschen habe ich keine Angst. Angst verbreitet sich rasend schnell wie ein Krebsgeschwür, das macht sie so gefährlich. Derzeit haben viele Menschen Angst vor dem Fremden, weil sie das Fremde nicht kennen. Die meisten haben jedoch noch nie mit einem einzigen Flüchtling gesprochen, hatten keinen persönlichen Kontakt. Sie kennen Flüchtlinge höchstens aus den Medien. Diese Ängste sind daher konfus, abstrakt. Wie kann ich vor etwas, das ich nicht kenne, Angst haben? Das beschäfigt mich. Hier wird nicht reflektiert, ob diese Ängste berechtigt sind oder, ob es nur diffuse Behauptungen sind. Kann diese eine Wahrheit auf alle Menschen übertragbar sein? Angst vor all diesen Menschen? Natürlich nicht. Social Media, das Internet, ist hier ein Problem. Informationen und oft nicht überprüfbare Behauptungen werden zehntausendfach verbreitet. Informationen, die danach schwer zu relativieren sind und für lange Zeit die vermeintliche Wahrheit bleiben. Aber es gibt sie nicht, die eine Wahrheit.

FuF: Uns hat über Facebook eine Frau geschrieben, die in Österreich einen bekannten Verein für Frauen leitet. Sie schreibt, dass es bereits Fälle gibt, wo Frauen von Asylwerbern angestänkert werden, eine konnte von einem Security-Mann am St. Pöltener Bahnhof gerade noch in Schutz genommen werden. Warum werden solche Fälle nicht offen angesprochen? Darf man nicht? Soll man nicht?

Schwertner: Nie hat jemand gesagt, dass es keine Probleme gibt. Aber die gibt es überall und die haben nicht per se etwas mit Flüchtlingen zu tun. Die Kriminalitätsrate sinkt trotz steigender Asylwerberzahlen. Das sind Fakten. Laut Ökonomen ist die aktuelle Lage auch eine unglaubliche Chance. Eine Chance in wirtschaftlicher Hinsicht. Aber auch dann, wenn es darum geht, dass wir uns auf unsere eigenen Werte besinnen. Karl Schwarzenberg hat einmal sehr klug gesagt: „Uns bedrohen nicht Minarette und Moscheen, sondern die eigene Orientierungslosigkeit. Das Problem ist nicht, dass jemand anderer für Werte und Überzeugungen einsteht, sondern dass wir eben diese verloren haben.“ Menschen, die Sorgen vor dem Islam haben, haben mit christlichen Werten oft nicht viel am Hut. In der Bibel steht 366 Mal "fürchtet euch nicht". Das ist eine zentrale, wichtige Botschaft für uns. Wir haben ein Rechtssystem, das auf diesen Werten beruht.. Und ich habe großes Vertrauen in diesen Rechtsstaat. Ich vertraue darauf, dass die Exekutive ihre BürgerInnen schützt - egal, wen, und vor wem. Woher ein Mensch kommt, darf nie eine Rolle spielen.

FuF: Du machst dir offenbar gar keine Sorgen...

Schwertner: Du sprichst von Deinen Sorgen, Silvia, ich habe auch welche: Wie gehen wir als Gesellschaft mit den Sorgen und Ängsten der Bevölkerung um? Wir lehnen Dinge ab, die wir nicht kennen. Warum? Ich verbringe täglich viel Zeit mit Flüchtlingen, mit Menschen in Not und kann nur sagen: Überall, wo es Begegnung gibt, funktioniert ein Zusammenleben. Oft gibt es Nachbarschaftsprobleme, keine Frage. Aber diese Nachbarschaftsprobleme werden oft und rasch zu Flüchtlingsproblemen aufgebauscht. Für mich zeigt sich immer wieder ganz deutlich, wie irrational Angst ist: viel mehr Menschen fürchten sich vor dem Fliegen als vorm Autofahren. Auch wenn die Zahl verunglückter Autofahrer deutlich höher ist als jene verunglückter Flugpassagiere. Das ist irrational. Ebenso irrational wie die Behauptungen, wonach viele Terroristen in unser Land kommen würden. Auch das hat sich entgegen jener Stimmen, die unser Land spalten wollen, bis heute nicht bewahrheitet

FuF: Terror ist nicht das Problem, da gebe ich Dir Recht, aber was, wenn diese Menschen keine Jobs finden? Frust ist gefährlich, der macht jedem Menschen zu schaffen.. und wenn der Frust steigt, weil es keine Arbeit gibt, könnte das zu Gewalt führen.

Schwertner: Auch ich sehe die vielen Neuankömmlinge nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Chance. Schon heute haben zwei Drittel der MitarbeiterInnen in unseren Senioren- und Pflegewohnhäusern Migrationshintergrund. Das heißt, diese Menschen, die da kommen, bringen sich ja auch ein mit ihren Fertigkeiten. Sie bringen Wirtschaftswachstum, wie ja auch schon viele Wirtschaftsforscher gesagt haben. Fakt ist, wie ich vorhin schon anmerkte, auch: Die Kriminalität ging zurück – und das bei steigendem Asylanträgen. "Machen uns mehr Flüchtlinge sicherer?", könnte ich nun provokant fragen. Menschen vorzuwerfen, dass sie keine Jobs haben? Wir lassen sie nicht arbeiten! Wir sitzen hier gemeinsam im magdas-Hotel: Hier schaffen wir Arbeitsplätze für Flüchtlinge. Asylwerber dürfen nicht arbeiten, das ist gesetzlich nach wie vor nicht möglich, leider, ich bedauere das sehr, denn viele der Menschen wollen arbeiten. Und wir haben als Caritas zahlreiche Projekte für langzeitarbeitslose Menschen. Egal, ob Flüchtling oder Österreicher, es gilt auf die Not von Menschen Antworten zu finden, ihnen Perspektiven aufzuzeigen und nicht die Not von Menschen gegeneinander auszuspielen. Letzteres hilft niemandem.

FuF: Gut, die Kriminalität ging im Vorjahr zurück, niemand kann aber sagen, wie es unter den neuen Gegebenheiten künftig sein wird.. wie sieht es mit nun mit den Werten der Ankömmlinge aus? Nahost-Expertin Karin Kneissl warnte vor wertekonservativen Moslems im Hinblick auf die Rolle der Frau. Wie sind deine Erfahrungen damit?

Schwertner: Diese Menschen sind nicht so religiös wie wir glauben und generell ist zu sagen: Wir haben Religionsfreiheit in Österreich. Wir respektieren Andersgläubige und wollen selbst respektiert werden. Auch hier geht es um Dialog und nicht um Abgrenzung.

FuF: Du hast die Exekutive angesprochen. Die hat selbst schon gesagt, überfordert zu sein. Ich erinnere an Nickelsdorf...

Schwertner: Die letzten Tage und Wochen haben gezeigt: Gemeinsam schaffen wir das. Auch und vor allem dank der großartigen Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Die Bevölkerung kam und half, das war sehr beeindruckend. Es sind Menschen, die da kommen und Menschen, die da helfen. Wir alle sind jetzt gefordert, jeder kann einen Beitrag leisten. Ich bin Berufsoptimist – und das mit gutem Grund. Dort, wo Flüchtlinge untergebracht werden, da helfen zahlreiche private Initiativen. Mit Deutschkursen, Freizeitangeboten, Workshops, etc. Die Flüchtlinge freuen sich darauf, sie wollen ein Teil der Gesellschaft sein.

FuF: Es heißt sehr oft, vor allem auf Social Media: Wir können nicht alle nehmen, wie siehst Du das Thema?

Schwertner: Klar ist: Nicht jeder, der Asyl beantragt, wird auch Asyl erhalten. Aber jeder und jede hat das Recht auf ein menschenwürdiges Verfahren – und dazu gehört auch, dass man es nicht obdachlos auf den Straßen Griechenlands oder Österreichs durchlaufen muss. Der Zugang zum Asylverfahren muss gewährleistet sein. Aber das ist keine Sache, die Österreich alleine lösen kann. Hier ist ganz Europa gefragt. Wenn derzeit zehn Mitgliedsstaaten – darunter Österreich, Deutschland und Schweden – in 92 Prozent aller Asylanträge bearbeiten, dann macht das deutlich: Einige Staats- und Regierungschefs haben leider nicht verstanden, wie Solidarität buchstabiert, geschweige denn gelebt wird. Das muss sich ändern. Und auch hier bin ich Optimist: Das wird sich ändern. Europa wird an dieser Aufgabe wachsen.

FuF: Also eine Quotenregelung?

Schwertner: Zuerst müssen zwei andere Dinge gewährleistet sein: Wir brauchen einheitliche Betreuungs- und Verfahrensstandards sowie einheitliche Anerkennungsquoten innerhalb der EU. Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann eine Quote in Europa funktionieren. Heute ist es aber so, dass die Wahrscheinlichkeit, Asyl zu erhalten, davon abhängt, in welchem Mitgliedsstaat Asyl beantragt wird. Das kann nicht sein.

FuF: In Deutschland gibt es bereits Probleme bei der Integration, Experten warnen vor Subgesellschaften, vor Ghettobildung. Ich hatte 14 Jahre Flüchtlinge im Haus, ich habe in Wien eine Deutsche aufgenommen, die in Not ist und möchte ins andere Zimmer eine Frau aus Syrerin einquartieren. Ich mache das nicht nur aus Mitleid. Ich denke, es ist wichtig, um Probleme wie in Deutschland zu verhindern.

Schwertner: Das ist auch der richtige Weg, und Österreich zeigt diese Wege auf. Hier wird in vielen Gemeinden bereits Integration gelebt. Wir können es nur gemeinsam schaffen, indem wir gemeinsame Schritte setzen und aufeinander zugehen. Am liebsten würde ich durch Österreich touren, über Ängste reden, Informationen verbreiten und um so möglichst vielen Menschen, die Sorgen zu nehmen.

FuF:Danke Klaus, fürs Gespräch, Du leistest tolle Arbeit und dafür meine Bewunderung.

Schwertner: Dank gebührt nicht mir, sondern den tausenden Österreicherinnen und Österreichern, die in den letzten Wochen an den Grenzen, Bahnhöfen und Notquartieren geholfen haben.

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