Meinungsfreiheit: Wie scheinheilig sind wir?

Seit einigen Tagen steht die Meinungsplattform fischundfleisch unter Beschuss. Auf Twitter wurde f+f vorgeworfen, dass in den Beiträgen einiger User viel Unsinn zu finden sei. Dazu folgendes: Kritik ist gut und wichtig, denn nur Kritik bringt uns alle weiter, sofern sie konstruktiv vorgebracht wird.

Wir möchten nun alle konstruktiven Einwände aufgreifen und sie gemeinsam mit Euch diskutieren. Denn wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir mit fischundfleisch, einem Startup, einen Schritt weiter gehen müssen.

Daher wollen wir von Euch wissen, was Meinungsfreiheit ist, wo sie beginnt und wo sie aufhört. Was, das soll leicht sein? Glaubt ihr? Ja, das dachten wir auch, aber dem ist nicht so.

Als wir f+f ins Leben riefen, sagten wir uns: Alles ist erlaubt, was gesetzlich erlaubt ist. Doch so einfach ist es offenbar nicht.

Was, wenn jemand einen Beitrag schreibt, in dem er sich gegen das Impfen ausspricht?

Was, wenn jemand für die Todesstrafe ist?

Was, wenn jemand an UFOS glaubt?

Sollen diese Beiträge sofort gelöscht werden? Welche ja, welche nein? Wo sind die Grenzen?

Jeder redet von Meinungsfreiheit, doch offenbar hört für viele die Meinungsfreiheit anderer dort auf, wo die eigene beginnt.

Ehe wir unsere Journalisten sprechen lassen zur Klarstellung:

Nur eine vergleichsweise sehr geringe Zahl der Beiträge auf fischundfleisch stammt von Esoterikern, Impf-Gegnern u.ä. In #jetztich wollen wir allen Usern weiterhin die Möglichkeit geben, ihre Sicht der Dinge darzustellen. Wenn jemand zum Beispiel an Homöopathie glaubt, soll er das Recht haben, das zu sagen. Wir haben nach internen Diskussionen beschlossen, künftig stärker zu kontrollieren und zu moderieren – im großen Bestreben, die Meinungsfreiheit NICHT zu gefährden. Allerdings müssen wir aufpassen, dass gefährliche Ansichten nicht an Dynamik gewinnen, Ansichten, die sogar dazu führen können, Menschen zu gefährden und anderen Schaden anzurichten.

Genaue Richtlinien abzustecken, das wird eine große Herausforderung sein und wir hoffen sehr auf Eure Hilfe. Denn mit Eurer Hilfe und den Statements unserer Blogger (Rohrer, Rabl, Milborn & Co) können wir verbindliche Posting-Regeln erarbeiten. Das Konzept von fischundfleisch ist neu, daher können wir auch nicht die Regeln anderer Forenbetreiber einfach so abkupfern. Also, bitte helft mit! Was geht und was geht nicht?

Peter Rabl, Journalist, f+f-Blogger: "fischundfleisch versteht sich als offene Plattform für alle Meinungen innerhalb der Grenzen des Strafrechtes. Und das ist gut so und soll so bleiben."

Georg Sander, Sport-Journalist und f+f-Blogger:

"Es gibt Gesetze, an die man sich halten muss. Etwa das Verbotsgesetz oder § 297 des Strafgesetzbuches, die Verleumdung. Innerhalb dieser Schranken gibt es mit der Political Correctness (früher: Sitte, Moral, Ethik) weitere Einschränkungen. Aber alles, was die formellen und die informellen Schranken nicht berührt, muss gesagt werden dürfen. Und sei es noch so dämlich oder an den Haaren herbei gezogen. Es ist aber auch immer eine Sache, wie ich mit Meinungen, die von meiner weit entfernt sind, umgehe. Ich mag sie blöd, falsch oder sonstwie nennen - aber sie zu formulieren würde ich dennoch nie verbieten wollen."

Anneliese Rohrer (die Presse), f+f-Bloggerin:

"Für mich hat Meinungsfreiheit nicht nur rechtliche Grenzen, sondern endet auch dort, wo andere Schaden nehmen können und nur an Dummheit allein kann man wohl nicht Schaden nehmen. Ich sehe die Frage nicht so schwierig: fischundfleisch hat sich einem gewissen Niveau verschrieben. Alles, was darunter liegt, muss fischundfleisch nicht nehmen. Es ist nämlich schon schwierig zu entscheiden: Was wird aus reiner Einfältigkeit geschrieben, was aus reiner Provokation?"

Susanne Scholl (Autorin, ORF-Korrespondentin), f+f-Bloggerin:

"Ich denke, ein gewisses, sehr geringes, Mass an Kontrolle ist schon nötig. Man kann das aber zum Beispiel so machen, dass man die betreffenden Beiträge kennzeichnet oder etwa sagt, dass man überhaupt nicht damit einverstanden ist. Man kann auch den Nutzern sagen, dass man Beiträge über die Unsterblichkeit der Maikäfer zb eher unnötig findet."

Isabelle Daniel (ÖSTERREICH), f+f-Bloggerin:

"Meinungsfreiheit ist weit gefasst und das ist gut so. Ich würde von Fall zu Fall verschieden bewerten: Bei Impfgegnern – kann das (siehe Masern) Leben von Kindern kosten – so etwas sollte meiner Meinung nach mit einer redaktionellen Einleitung oder mit einem Nachtrag versehen werden. Dort würde ich dann etwa einen Artikel von einem Arzt über das Impfen teilen. Bei Chemtrails und Verschwörungstheoretikern: da würde ich generell vor Postings von Usern „Inhalte, Meinungen müssen nicht unseren entsprechen" gut sichtbar bringen. Verschwörungstheorien können rasch ins Gefährliche münden und beinhalten häufig Vorurteile und Diskriminierungen, etwa "die jüdische Weltverschwörung". Das ist nicht gesetzlich verboten, würde ich aber trotzdem nicht veröffentlichen oder lesen wollen. Leute, die an Aliens glauben wollen, sollen das hingegen dürfen, aber da würde ich einen klaren redaktionellen Hinweis anhängen: "persönliche Meinung, die nicht unseren Meinungen entspricht".

Corinna Milborn (Puls 4), f+f-Bloggerin:

"Meinungsfreiheit bedeutet, dass jeder veröffentlichen kann, was nicht verboten ist - überall im Internet. Es bedeutet aber überhaupt nicht, dass f&f gezwungen ist, alles zuzulassen. Wo ist der Mehrwert von f&f, wenn dort derselbe Mist steht wie in jedem beliebigen Esoteriker/Verschwörungstheoretiker/Hausfrauenforum? Wenn ein Medium nicht alles veröffentlicht, heißt das natürlich nicht Zensur, sondern Redaktion. Das ist der Inbegriff von Journalismus. Dazu gibt es Medien: Dass sie Informationen auswählen."

Conny Bischofberger (Kronenzeitung), f+f-Bloggerin:

"Meinungsfreiheit verlangt Großzügigkeit, Vielfalt, Offenheit – auch gegenüber Haltungen, die mir nicht passen. Auf  fischundfleisch finden Blogger all das. Es ist genau die Qualität dieser Plattform – und ihr Erfolg bei den Usern."

Sylvia Steinitz (stern), f+f-Bloggerin:

"Die Frage, wo Meinungsfreiheit endet, beschäftigt jeden und jede, der/die publiziert. Dort, wo strafrechtliche Verfolgung beginnt? Wo der gesunde Menschenverstand endet? Dort, wo die Wissenschaft gerade steht? Die Aufgabe, diese Grenze auf einer Meinungsplattform zu ziehen, ist keine einfache. fisch + fleisch geht den in meinen Augen richtigen Weg: Diese Grenze wird sich mit der Entwicklung von fisch+fleisch möglicherweise immer wieder verschieben. Warum das gut ist? Es bedeutet, dass fisch + fleisch ständig in Bewegung bleibt, sich entwickelt, Kritikfähigkeit zeigt und vor allem eines: den Willen besser zu werden. Nicht jedes Medium zeigt diese Bereitschaft. Für mich ein weiterer Grund, hier zu publizieren."

Claudia Weber, f+f-Redakteurin, Journalistin, Autorin:

"Jeder Mensch hat die Freiheit, seine Meinung zu äußern, sofern er niemand anderen mit Absicht schaden möchte oder gegen das Gesetzt verstößt. Ob die Meinung gut oder schlecht, wahr oder unwahr ist, lässt sich durch fundierte Argumentation und Beweise festigen. Somit hat jeder das Recht, mich davon zu überzeugen, dass es Ufos gibt oder dass Homöopathie wirkt. Wie ich schließlich darauf reagiere, hat wiederum damit zu tun, wie aufgeschlossen ich anderen Meinungen gegenüber bin und ob ich intelligent genug bin, diese zu reflektieren. Denn zu einer Meinungsäußerung gehören immer Zwei: einer, der eine Meinung hat und ein anderer, der sie zulässt und über das Gesagte ohne Vorurteile nachdenkt."

Alex Feuerherdt (Journalist, Autor), f+f-Blogger:

"Manchmal ist es gewiss schwierig, diesbezüglich die Grenzen zu finden und zu setzen. Sie sollten in jedem Fall dort verlaufen, wo der Glaube in abstruse Verschwörungstheorien übergeht. Wenn jemand sagt, er glaube an die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung (oder gar, er könne sie beweisen), überschreitet das unzweifelhaft eine Grenze, weil es antisemitisch ist. Wenn dagegen jemand einen Gott oder das fliegende Spaghettimonster anbetet, würde ich erst mal sagen: Lass ihn doch, er tut ja niemandem weh.Offensichtlichen Unsinn wie der über Chemtrails, Bilderberger, Rothschilds, Aluhüte, 9/11 als 'Inside Job' etc. halte ich nicht mehr für diskutabel (oder für harmlosen Quatsch), sondern für gefährliches verschwörungstheoretisches Gedankengut, das unter die von f+f genannte Rubrik 'Antisemitismus und ähnliche Idiotien' fällt. Hier solltet ihr tatsächlich entschieden eingreifen. Vielfalt heißt ja nicht Beliebigkeit."

Saskia Jungnikl (Autorin), f+f-Bloggerin:

„Ich finde es nicht in Ordnung, dass jeder alles schreiben darf, wenn also jemand z.B. über Chemtrails schreibt und wissenschaftlich widerlegte Impfgegner eine Plattform bekommen. Das hat für mich nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Und es bedeutet auch nicht, dass es fundierte Berichte über einen gegenteiligen Standpunkt gibt, sondern, dass jemand irgendwelche Theorien in die Welt setzen kann, die im schlimmsten Fall auch noch gefährlich sind. Ich denke, die Redaktion von F+F muss sich vorbehalten, gewisse Texte nicht zu publizieren und eine Art von Kontrollmechanismus schaffen."

Bernhard Jenny (Autor), f+f-Blogger:

"Ich denke, das ist eine Frage des Selbstverständnisses. Versteht sich f+f als offene Plattform, dann ist das absolut im Sinne der Meinungsfreiheit, wenn etwas, das in den Augen der einen "Blödsinn" ist, dennoch publiziert wird. in diesem Sinne würde ich genau die rechtliche Grenze sehen, wie ihr sie schon beschrieben hattet (Rassismus etc.). Vielleicht ein vergleich mit den von uns veranstalteten PECHA KUCHA NIGHTS in Salzburg (http://pechakuchasalzburg.wordpress.com) - dort lassen wir auch viele auftreten, manche berichten von UFOS, andere von Kornkreisen, aber sehr viele andere sprechen über Ernsthaftes. Aber die Freiheit der Kreativität ist unser Motto. Was die KritikerInnen verwechseln (absichtlich oder nicht): wenn f+f ist kein redigiertes oder kuratiertes Magazin. Natürlich ist es ein gutes Recht von f+f, sich gegen eine Überflutung von negativen/obskuren beiträgen zu schützen. Sonst wird durch eine "überschwemmung" das eigentliche ziel verhindert..."

Martin Borger (Autor), f+f Blogger:

"Erst durch Vielfalt entsteht Buntheit bei Meinungen. Wenn f+f hier eingreift, leidet das Gesamte. Durch Funktionen wie "Autor fischen" und "Freunde" kann man sich ohnehin eine eigene f+f Welt bauen und nur das lesen, was man will. Kommentarfunktion ermöglicht direkte Kritik."

Christian Ortner (Journalist, Autor), f+f-Blogger:

"Mit Meinungsfreiheit hat das nichts zu tun. Meinungsfreiheit ist eine staatliche Konstruktion, die jedem Spinner das Recht geben soll, öffentlich zu spinnen. Gut so und notwendig. Aber es gibt kein Recht darauf, seine Spinnereien auf anderer Leute Privateigentum auszuleben."

Antje Schrupp (Journalistin, Politikwissenschafterin), f+f-Bloggerin:

"Das "Meinungsfreiheit"-Argument stimmt eigentlich nur, wenn man eine staatliche Stelle ist. Wenn ich z.B. in meinem Blog bestimmte Ansichten lösche, dann ist das keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, weil ich ja nicht verhindern kann, dass die woanders publiziert werden. Die Meinungsfreiheit einschränken kann nur jemand, der Publikation unterbinden kann, z.B. durch Löschen von Webseiten."

Dominik Leitner (Nachwuchsjournalist, neuwal.com, Student)

"Gerade in Österreich ist es grundsätzlich eine gute Sache, wenn neue Projekte entstehen, welche zum Diskurs beitragen wollen und Menschen eine Plattform bieten. So etwas ist auch f+f. Weshalb ich mich seit Tagen echauffiere, ist die Argumentationslinie, dass man - aufgrund der Meinungsfreiheit - keine Beiträge zensieren wolle. Es sollte nicht das Ziel einer journalistischen (Meinungs-)Plattform sein, alles veröffentlichen zu müssen. Die Anzahl der Verschwörungsblogs zeigt: Im digitalen Zeitalter ist es einfacher denn je, seine Meinung zu veröffentlichen - und sie wird auch gelesen. Mehr Leser und Aufmerksamkeit bekommen sie hingegen, wenn sie neben Beiträgen von anerkannten JournalistInnen auftauchen. So etwas ist - meiner Einschätzung nach - für die JournalistInnen sowie für die Plattform selbst schädlich. Und: Würde f+f nicht mehr alle Beiträge veröffentlichen, wäre das im Übrigen keine Zensur. Es wäre eine Auswahl, wie sie jedes Medium machen muss. Genausowenig wie jede Kritik an einem Beitrag ein Angriff auf die Meinungsfreiheit ist. Leider wird genau das oft vergessen. Vielleicht wäre ja ein Leitbild oder die Einführung eines Qualitätschecks sinnvoll - so können potentielle "neue" Stars auch was lernen."

WIR DANKEN ALLEN FÜR DIE STATEMENTS AUF DEREN BASIS NUN GENAUE POSTING-REGELN ERARBEITET WERDEN – UND WIR FREUEN UNS SEHR ÜBER EUREN INPUT. WAS GEHT UND WAS GEHT NICHT? WO BEGINNT MEINUNGSFREIHEIT UND WO HÖRT SIE AUF?

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