(Eine Phantasie)
Während sich der interessierte Teil der Bevölkerung in unregelmäßigen Abständen (z.B. auch jetzt bei der Documenta) immer wieder fragt, was denn nun wirklich Kunst ist und woran man sie erkennt (Ist eine Fettecke denn nun gesellschaftskritische Kunst oder einfach nur eine Herausforderung für die Putzfrauen?), liegt die Sache beim geschriebenen Wort doch um einiges anders.
Wir alle kennen seine Wirkung, wir alle erregen uns, je nach nach eigener Einstellung, über diese und jene Äusserung in den Nachrichten, Zeitungen oder auch hier bei f+f. Denn Worte können zwar literarisch daherkommen, sind aber doch jedenfalls das Mittel der Verständigung gerade über große Entfernungen. Sie überbringen uns Informationen und können unsere Emotionen ausdrücken, wie sie auch Emotionen auslösen können.
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Genauso wie Literatur uns beflügeln, glücklich oder traurig stimmen kann, vermag sie es auch, uns zu ängstigen.
Was, wenn diese oder jene Vision von einer (noch) nicht existierenden Welt einträte?
Was, wenn tatsächlich ein Asteroid auf die Welt herabstürzt?
Was, wenn die Künstliche Intelligenz entscheidet, dass sie den Menschen nicht mehr braucht?
Was, wenn die Welt in der Hitze des Roten Zwerges, der unsere Sonne einmal sein wird, verglüht?
(Sie wird dies zweifellos tun. Aber sind wir dann noch da?)
Was, wenn der Islam die neue Religion hier und auf der ganzen Welt würde?
Je glaubhafter das Szenario, umso größer ist unsere Angst.
Und was könnte glaubhafter sein als eine Geschichte, die bei unserem Status quo beginnt?
Stellen Sie sich also eine Welt vor, in der "linke" Politik längst von ihrem einstigen Auftrag abgewichen und deswegen allgemein unpopulär ist. Stellen Sie sich weiter vor, dass "rechte" Politik von ihrem Schrecken des Konservativismus, Protektionismus, der Ausländerfeindlichkeit etc. nichts verloren hat (Beachten Sie evtl. Querverweise zu europäischer Politik des 20. Jahrhunderts!). Und stellen Sie sich ein Volk vor, dass ein Synonym für Freiheit ist.
Die Franzosen zum Beispiel.
Sie stehen vor der Wahl. Sie sind unzufrieden. Sie ahnen Fürchterliches.
Keiner will Front National an der Regierung haben und doch wurde seine Vertreterin im ersten Wahlgang als stärkste politische Kraft gewählt , weil alle anderen nicht wählbar scheinen.
Es gibt Unruhen, von denen die Regierung nichts nach außen dringen lässt.
Der Versuch eines zweiten Wahlganges wird sabotiert.
Die Noch-Regierung kämpft verzweifelt um eine Lösung, das Land wieder zur Ruhe zu bringen.
Und jetzt stellen Sie sich vor, dass die Moslembrüder ebenfalls zur Wahl standen und zweitstärkste Kraft geworden sind.
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Ungefähr das ist der Ausgangspunkt für Houellebecqs Roman "Unterwerfung", in dem er schildert, wie es in Frankreich zu einer islamischen Gesellschaft kommt und was das aus seiner Sicht bedeutet.
Der Roman erschien am Tag des Anschlags auf Charlie Hebdo. (Oder passierte der Anschlag auf Charlie Hebdo am Tag der Bucherscheinung? Schließlich hatte Hebdo Houellebecq und seinem Roman die Titelseite gewidmet.)
Fangen so nicht Verschwörungsgeschichten an?
Aber sicher doch.
Man stelle sich weiter vor, dass ein paar von den richtigen Leuten plötzlich verstanden, was zu tun ist: Wenn links nicht mehr zieht und rechts eine imgrunde nicht gewollte Notlösung ist, muss etwas Neues her. Etwas, das mindestens neu aussieht. Ein Zugpferd, das allen Wunschvorstellungen entspricht (und möglichst nichts mit dem Islam am Hut hat). Jung (Die Alten müssen weg!), klug, nett, innovativ usf. Obendrein einer, der die richtigen Connection hat und aus dem richtigen Stall (oder sollte man sagen: den richtigen Ställen?) kommt und am Ende alle Kräfte gegen rechts zu bündeln versteht, indem er jedem die richtigen Zugeständnisse macht. Ehemaliger Mitarbeiter des Finanzministeriums, Investmentbanker, Nestlé-Partner, Minister.
Dem richtigen Sympathieträger wird am Ende allerhand verziehen (Probleme mit dem Finanzamt, Probleme mit den Gewerkschaften, "Verrat" an seiner Regierung), wenn er denn nur das Land wieder zu einen vermag in einer Vision.
Macron gründete die Bewegung "En Marche" ein gutes Jahr nach Erscheinen des Romans "Unterwerfung". Beide Ereignisse müssen nichts miteinander zu tun haben.
Wenn es aber so wäre, dann war das genug Zeit, sich Sponsoren und Rückhalt bei den richtigen Leuten zu sichern. Man bedenke, dass ihm - trotz fehlender Mehrheiten - erstaunlich viele Politiker anderer Richtungen ihre Unterstützung zusagten. Zeit auch, um ein Programm mit genug Zugkraft für beinahe jederman zu entwerfen.
Denn auch wenn es so aussieht: "En Marche" ist keine natürlich gewachsene Volksbewegung, sondern ein Geniestreich, um die ganz vielen Unzufriedenen an eben ihrem Standort abzuholen.
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Und wenn Sie denken, dass das reichlich viel Phantasterei war, dann wünsche ich Ihnen lieber keine tieferen Einblicke in das Geschehen hinter politischen Kulissen.

Loic Venance/AFP/Getty Images