Als Kind hatte ich es viel mit den Ohren. Was mich dazu brachte, Menschen mit weißen Kitteln zu hassen. Sie konnten die alberne Nierenschale, in der die riesige Spritze lag, noch so gut verstecken; ich hörte das Klappern. So schlecht waren meine Ohren dann doch nicht. Vielleicht hätten sie einfach nur so einen Gummiball nehmen sollen. Denn an der Spritze war keine Nadel und drinnen nur Wasser. Zum Ohren ausspülen. Was zwar auch nicht schön, aber nicht so beängstigend war wie diese riesige Spritze. In diesem Punkt war ich sehr vergesslich. Ich fürchtete mich jedes Mal, so dass es zuweilen fünf Leute brauchte, mich festzuhalten.

Später, mit 5, nahmen sie mir, aus demselben Grund, die Mandeln heraus. Mit örtlicher Betäubung, die noch dazu nicht richtig wirkte. Ich merkte, was sie taten, und sah diese blutigen Kullern in die Tasche der Gummischürze plumpsen, die sie mir vorgebunden hatten.

Danach durfte ich eine Woche lang ganz viel Eis essen, aber kein Schokoladeneis, nur Vanille und Frucht. Der Höhepunkt des langweiligen Krankenhausalltags. Als ich wieder sicher auf den Beinen war, schlich ich über die Station, was ich ganz sicher nicht durfte, und landete in einem Zimmer voller alter Männer (in diesem Alter scheinen alle Männer alt), die sich ihre Langeweile damit vertrieben, mir Geschichten zu erzählen.

Das Alles hat übrigens nichts geholfen. Nach zwanzig Jahren Tinnitus und vier Hörstürzen höre ich nicht mehr besonders gut. (Dass die Bässe an der Stereoanlange nicht richtig eingestellt sind, hörte ich allerdings vor 30 Jahren schon nicht. Das scheint mehr so ein Männerding zu sein. Dafür hörte ich die Kinder in der Nacht immer viel, viel früher als ihr Vater.) Was mich aber nicht sonderlich betrübt, also das schlechte Gehör. Nur das Nicht-Hören während der Hörstürze fand ich beängstigend. Es gibt so vieles, was man besser nicht hört, denke ich inzwischen. Und für die Dinge, die man hören will, reicht es allemal. Schlimmstenfalls, wenn man die Umwelt nicht belästigen will, gibt es Kopfhörer. Schon seit einer ganzen Reihe von Jahren kabellos. Und manchmal, wenn jemand merkwürdige, freche, uninteressante Sachen sagt, mache ich mir den Spaß nachzufragen, auch ein zweites und drittes Mal. Die meisten geben dann auf und erkennen die Unwichtigkeit ihrer Äußerung, die nur beim ersten Mal hätte witzig sein können.

Ich denke, das Prinzip ist ausbaufähig und könnte dann, wenn ich richtig alt bin, einigen Spaß verheißen.

Inzwischen pflege ich die Sucht: Bei fast allem, das ich tue, habe ich die Kopfhörer auf. So stört es zum Beispiel nicht, wenn ich etwas im Haushalt machen muss und gerade etwas Interessantes im Fernsehen läuft. Obwohl (oder weil?) mir die Bilder fehlen, hat das etwas Entblößendes. Schlechte Texte in Filmen offenbaren sich so sehr viel schneller. Spitzenreiter bei dieser Parade schlechter Texte sind Krimis, ganz vorne amerikanische. Da strotzt es nur so von Testosteron (auch bei den Frauen), Coolness und Klischees. Diese Drehbücher könnte ich selbst schreiben, wenn ich denn nicht so eine Abneigung gegen schlechte Literatur hätte. Allzu oft weiß ich, was als nächstes gesprochen wird, noch ehe sie es sagen. Aber wahrscheinlich schafft das jeder Gewohnheitskonsument.

Kein Wunder, dass ich letztlich Hörbücher bevorzuge. Da gibt es großartige Sprecher. Und großartige Bücher gibts sowieso, wenngleich ich einen Horror vor Bestenlisten habe. Nur selten ist was sich gut verkauft, auch zwingend gut. Wenn ich, genau wie damals in der Kindheit, wo ich unter der Bettdecke mit der Taschenlampe weiter las, im Buch versinke, dann ist das Buch gut.

Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.

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MartinMartin

MartinMartin bewertete diesen Eintrag 22.11.2017 00:07:45

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