Die Eltern unter uns kennen das sicherlich: Da kommt der/ die liebe Kleine daher, voller Stolz etwas entdeckt/ festgestellt/ herausgefunden zu haben. Und Sie müssen lächeln, weil diese weltumspannende neue Erkenntnis natürlich ein alter Hut ist.

Gute Eltern geben sich dann ganz erstaunt und stolz auf ihre klugen, entdeckerfreudigen Kinder und lassen es dabei bewenden. (Nicht so die größerem Geschwister, die einem ganz schnell allerhand Illusionen rauben und am Selbstbewusstsein nagen können, weil ihnen selten pädagogische Ambitionen innewohnen.)

Die Frage ist, wann hebt man die lieben Kleinen auf Augenhöhe?

Bei meinem Sohn kam dieser Moment, als er mir darlegte, dass meine Sch...musik viel zu laut sei und er das "nicht ertragen" könne, diesen "Mist" sich anhören zu müssen. Das alles, so das i-Tüpfelchen, sei ja sowas von vorgestern.

Ich fand das Thema unverfänglich genug, um einmal über Entwicklung zu sprechen. Ich machte das nicht gleich so hart, dass ich in Bezug auf seine Musik auf die Sklaven auf den Baumwollfeldern verwiesen hätte, ohne die es auch seine Musik wohl nicht gegeben hätte. Ich fing vorsichtig an. Mit Jean Michel Jarre, der doch in Sachen der von meinem Sohn so heiß geliebten elektronischen Musik so eine Art Wegbereiter gewesen war und durch seine Zeitlosigkeit besticht.

Sohni war erstaunt, was da alles vor seiner und selbst seiner großen Schwester Geburt schon alles passiert war.

Zu der Zeit seiner alten Mutter.

Die Tatsache, dass er ohne meinen Hinweis gar nicht hätte sagen können, wann das entstanden und dass der Komponist sogar einiges älter als seine Mutter war, verwirrte ihn sichtlich, ersparte mir aber fürderhin manchen pädagogischen Hinweis auf Vergangenes, auch jenseits der Musik.

Seitdem äußert mein Sohn, der auch heute gelegentlich noch manchmal so tut, als hätte seine Generation die Welt erfunden, sich deutlich sparsamer kritisch über die Altvorderen. Ob ihm in jedem Fall klar ist, dass die Dinge einer Entwicklung unterliegen, das Eine das Andere gebiert und nichts aus sich selbst heraus entsteht ... ich wage es zu bezweifeln. Allerdings hatte ich vermutlich in seinem Alter auch keine solch weltumspannenden Gedanken. Ich schätze, so etwas kommt erst ab einem bestimmten (älteren) Alter. Jedenfalls tut er nun auch andere Dinge, die ich ihm als must-have im kulturellen Bereich anempfehle, nicht mehr grundsätzlich ab, so dass der Streit um die Fernbedienung inzwischen gen Null geht.

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Warum ich das schreibe?

Gestern sagte einer von den Jungen, dass Emanzipation seit ca. 50 Jahren ja irgendwie und sowieso kein Thema mehr sei.

Wie kommt der da drauf?

Weil es den Minirock gab und die sexuelle Befreiung?

Und wen hat denn diese sexuelle Befreiung befreit? Rainer Langhans und die Männer der Kommune 1, die jetzt noch viel ungehemmter rumvögeln konnten als vorher? Als sich diese und andere Kommunen auflösten, war der Schwangerschaftsabbruch immernoch vollständig verboten. Während man auseinander ging und etwas Neues anfing, waren die Kinder, die diese Freiheit hervorgebracht hatte, immernoch da.

Aber es lebten ja nur die Allerwenigsten in Kommunen. Der Rest der Republik lebte nicht viel anders als man es immer getan hatte. Und es gab Männer, die durchaus von ihrem Vetorecht Gebrauch machten, wenn es um die Berufstätigkeit ihrer Frau ging. Das konnten sie von Rechts wegen bis Mitte der Siebziger, als J.M. Jarres Oxygene entstand.

Sieht man einmal von linken Kinderläden ab

(in die man seine Kinder erst nach allergenauester Begutachtung hätte hinbringen wollen: http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-32062/report-jetzt-reden-die-kinder_aid_998699.html )

gab es zu dieser Zeit noch sehr wenig Kindergärten, Betreuung in den Schulen praktisch gar nicht.

Auch als ich Ende der Achtziger in den Westen kam, war das Hausfrauenmodell noch üblich. Und ich, die ich immer gearbeitet hatte, stand nun vor dem Problem, dass meine Halbtags-Arbeitszeit und die Öffnungszeit des Kindergartens genau gleich waren. Ohne eine freundliche Nachbarin, die dennoch ihre Missbilligung nicht verhehlte, hätte mir der Kindergartenplatz nichts genützt. Auf der Bank wurde ich bei meiner Kontoeröffnung nach meinem Mann gefragt.

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Um es kurz zu machen:

Ich sehe mit Freude, dass meine Tochter viele von diesen Problemen nicht hat und nicht kennt. Aber ich sehe auch, wie fragil dieses Konstrukt ist. Kaum haben wir Frauen Strukturen erreicht, die uns ein wirklich eigenständiges Leben möglich machen, kommen Männer daher und tun so, als wären SIE die Unterdrückten. Soweit ich sehen kann, sind noch immer wir es, die die Kinder kriegen. Und wenn ich sehe, dass da schon wieder diskutiert wird, dass wir dazu gezwungen werden sollen, wo auch immer in Europa und auf der Welt ... da wird mir himmelangst. Und ich wünsche mir, dass die jungen Frauen begreifen, wie anfechtbar alles ist. Streicht im StGB den 218a und der 218 steht wieder allein. Streicht die Grundsicherung für Alleinerziehende; dann wird sich manche/R zur Adoption entscheiden und manches gutsituierte kinderlose Ehepaar kriegt sein Kind freihaus geliefert, denn nur die werden sich noch Kinder leisten können.

Zwei, drei Weichenstellungen, und alles ist, wie es immer schon war.

Ist die Gleichberechtigung der Frau in Deutschland wirklich ein historischer Fakt?

Seit wann und wie lange noch?

Lasst uns wach bleiben.

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William Faulkner: "Das Vergangene ist nicht tot. Es ist nicht einmal vergangen."

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