Seit geraumer Zeit ist regelmäßig von Meinungsfreiheit die Rede. Ob wir sie haben oder nicht und ob wir sie äußern dürfen.
Nur sehr selten jedoch wird diskutiert, wie Meinungen zustande kommen. Anscheinend geht die Mehrzahl der Diskutanten davon aus, dass ihre Meinung ihr Eigenes ist, das sie nach einem - ihrer Einschätzung nach - intensiven Prozess der Informationsbeschaffung "gebildet" haben.
Eine zunehmende Anzahl derer, die sich über einen Mangel an Freiheit ihrer Meinung beklagen, findet die Beschaffung von Informationen in alternativen Medien richtiger und wichtiger, weil sie sich für staatlich gelenkt und beeinflusst halten.
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Lese ich jedoch nach, was Meinungsbildung ist, nämlich:
... ein Begriff ... welcher die Vorgänge bezeichnet, die zu Entscheidungen führen ... (wiki)
wird klar, dass Meinungen höchst selten etwas Eigenes sind und außerdem höchst abhängig von den Quellen, die mir zur Verfügung stehen. Denn keiner verbreitet Informationen losgelöst vom eigenen Kontext. Niemand berichtet vollkommen subjektiv oder ohne Subtext.
Was ja nur legitim ist. Wir sind Menschen, die mental in einem subjektiven Universum leben. Wir vermengen eigene Erfahrungen mit dem, was an Informationen an uns herangetragen bzw. von uns zunehmend bewusst ausgewählt wird. Weil das bewusst Ausgewählte entweder von vornherein in unser Denkgebäude passt oder sich mindestens als passendes Neues einfügen lässt.
Dass und wie sehr wir von äußeren Einflüssen geprägt sind, wird aus folgenden Zahlen klar:
1983 gaben Firmen 100 Millionen US-Dollar für Werbung für Kinder aus; 2006 waren es 17 Milliarden. (Wir reden allein von den USA.)
Da mag man sagen: Werbung halt.
Aber: Wird da nicht schon den Kleinsten (Inzwischen, ergeben Forschungen, haben bereits unter Einjährige Zugang zu Werbung.) mehr als nur der "Spaß" an einem Produkt vermittelt? Transportiert Werbung darüber hinaus nicht auch die Botschaft, dass alt schlecht und neu gut ist; dass Markenerzeugnisse (teuer) besser als Billigwaren sind; dass überdies nur die Kids cool und beliebt sind, die den (Werbungs-)Anforderungen genügen?
Wird durch die Hintertür nicht auch den Eltern vermittelt, dass sie hart arbeiten müssen (koste es, was es wolle), um ihren Kindern diese Dinge zu ermöglichen? Und wird den Kindern nicht indirekt auch vermittelt, dass Arm-Sein doof ist und sie später einmal viel Geld verdienen müssen, um dazu zu gehören?
Kurzum: Wird nicht durch die Hintertür des gutgläubigen Kindes bereits die Botschaft vermittelt: "Konsum ist gut." und wenn du nicht mithalten kannst, bist du es nicht wert?
Wird nicht auf diesem Weg die Konsumgesellschaft und das stete Wachstum außer jeder Alternative dargestellt?
Sie sehen: Selbst die scheinbar unpolitischsten medialen Botschaften enthalten weitaus mehr als das, was über eine normale Werbebotschaft ("Kauf mich") hinausgeht. Unterschiedslos JEDEM, egal ob arm oder reich, wird vermittelt: Füge dich in das System ein, damit du dir Waren des nächsthöheren Preissegments leisten kannst und jeder sieht, dass du dazu gehörst.
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Und nun kommen sie daher, die sechs- und siebenstelligen Verdiener, die Manager, Banker, die Mitmacher und sagen, dass sie nicht mehr mitmachen und aussteigen. Dass sie nie davon träumten, in einem festen System, das ihnen Gefügigkeit, Loyalität bis zur Selbstaufgabe, überbordende Flexibilität und damit Verzicht auf ein glückliches Privatleben abverlangten, mitzumachen. Das sich ihr Traum von Geld, viel Geld als Basis totaler Freiheit nicht erfüllt hat.
Und sie gehen konsequent in die Gegenrichtung:
Go Minimalism!
Sie bauen Tiny-Häuser und leben auf weniger als 30 Quadratmetern.
Sie minimieren ihr Eigentum. (Ich berichtete von Marie Kondo.)
Sie tragen im Laufe eines Monats nur 33 Kleidungsstücke. (Eine Modedesignerin mit viel Kundenkontakt machte einen Monat lang den Versuch. Keiner hat´s gemerkt. Dann machte sie weiter. Ein Jahr lang. Dann schrieb sie darüber.)
Sie kündigen die Wohnung und kaufen sich eine First-Class-Bahncard 100. Wenn sie ihre Kleidung in irgendwelche Reinigungen geschafft haben, kommen sie ein paar Tage später wieder vorbei.
Sie stellen fest, dass all dieses gesammelte Zeugs irgendwann irgendwo rumliegt und nicht benutzt wird, aber Platz wegnimmt. Sie fangen an, über Notwendigkeiten nachzudenken. Und sie hören, was Soziologen/ Psychologen über Geld sagen: Bis 70 000 Jahreseinkommen kann es tatsächlich glücklich machen oder wenigstens beruhigen. Darüber hinaus, und sei es auch noch so viel, macht NICHT glücklicher.
Jim Carrey, einst erfolgreicher Schauspieler, sagte gar, dass JEDER reich sein sollte, um feststellen zu können, dass es nicht das sei, was glücklich mache.
Und sie kommen nicht umhin, sich in diesem ganzen Konstrukt der Lebensvereinfachung ohne Hauskredit und Zwang zu hohem Einkommen noch ein paar Gedanken mehr zu machen:
Warum sollte ich mich sorgen, wenn ich dieses Verkehrsmittel nicht erreiche, jenen Termin nicht schaffe und diesen Auftrag nicht kriege? Es mag sein, dass einige wenige Dinge wirklich wichtig sind. Aber das gedankliche Durchspielen der allerletzten Konsequenz erweist, dass die meisten Probleme nur gedacht, die meisten Folgen nur marginal und das Allermeiste nur mit vielleicht nur gefürchteten, aber nicht echten finanziellen Folgen verbunden ist. Die mich nicht stören, wenn ich ohnehin nur wenig brauche.
Die Frühmenschen, die noch nicht sesshaft waren, besaßen nur das, was sie tragen konnten. Der Mensch im Mittelalter besaß nur 128 Gegenstände (einschließlich Besteck und Unterwäsche).
Und Sie?