"Was man so allgemeine Meinung nennt, ist, beim Lichte betrachtet, die Meinung Zweier oder Dreier Personen; und davon würden wir uns überzeugen, wenn wir der Entstehungsart so einer allgemeingültigen Meinung zusehen könnten. Wir würden dann finden, dass Zwei oder Drei Leute es sind, die solche zuerst annahmen oder aufstellten oder behaupteten, und denen man so gütig war zuzutrauen, dass sie solche recht gründlich geprüft hätten: auf das Vorurteil der hinlänglichen Fähigkeit dieser nahmen zuerst einige Andere die Meinung ebenfalls an; diesen wiederum glaubten viele andere, deren Trägheit ihnen anriet, lieber gleich zu glauben, als erst mühsam zu prüfen. So wuchs von Tag zu Tag die Zahl solcher trägen und leichtgläubigen Anhänger: denn hatte die Meinung erst eine gute Anzahl Stimmen für sich, so schrieben die Folgendem dem dies zu, dass sie solche nur durch die Triftigkeit ihrer Gründe hätte erlangen können. Die noch Übrigen waren genötigt, gelten zu lassen, was allgemein galt, um nicht für unruhige Köpfe zu gelten, die sich gegen allgemeingültige Meinungen auflehnten, und naseweise Burschen, die klüger sein wollten als alle Welt. Jetzt wurde die Beistimmung zur Pflicht. Nunmehr müssen die Wenigen, welche zu urteilen fähig sind, schweigen: und die da reden dürfen, sind solche, welche völlig unfähig eigene Meinung und eigenes Urteil zu haben, das bloße Echo fremder Meinung sind; jedoch sind sie desto eifrigere und unduldsamere Verteidiger derselben. Denn sie hassen am Andersdenkenden nicht sowohl die andere Meinung, zu der er sich bekennt, als die Vermessenheit, selbst urteilen zu wollen; was sie ja doch selbst nie unternehmen und im Stillen sich dessen bewusst sind. Kurzum, Denken können sehr Wenige, aber Meinungen wollen alle haben: was bleibt da anderes übrig, als dass sie solche, statt sie sich selber zu machen, ganz fertig von anderen aufnehmen? - Da es so zugeht, was gilt noch die Stimme von hundert Millionen Menschen? - So viel wie etwa ein historisches Faktum, das man in hundert Geschichtsschreibern findet, dann aber nachweist, dass sie alle einer den anderen ausgeschrieben haben, wodurch zuletzt alles auf die Aussage eines Einzigen zurückläuft."
(Schopenhauer "Die Kunst, Recht zu behalten" Kunstgriff 30)
(zum Thema Geschichtsschreibung lese man u.a.: "Der König David Bericht" Stefan Heym, nur antiquarisch)
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