Und plötzlich war alles anders

ich liebe filme, besonders gute (natürlich!), obwohl da die meinungen stark auseinander gehen.

und weil das so ist, sehe ich mir auch gelegentlich diese making of ... -sachen an. denn natürlich interessiert es mich auch, wie die dinge zustande kommen. das nimmt mir den zauber kein bisschen. im gegenteil. hernach meint man, manches besser zu verstehen. auch wenn derlei letztlich nichts anderes sagen will als: GEH INS KINO!, schau dir das an! (damit wir noch mehr verdienen.)

worüber ich, ehrlich gesagt, noch nie nachgedacht hatte, das war das casting. bis neulich.

da erfuhr ich von marion dougherty, die eine reihe sehr bekannter schauspieler für den film entdeckt hat. erst für paramount und dann für die warner bros-studios. bis man sie - nach ein paar jahrzehnten sehr erfolgreicher arbeit - auf sehr unschöne weise vor die tür gesetzt hat.

ein satz ist mir ganz besonders im gedächtnis geblieben. eben dieser: "und plötzlich war alles anders."

während sie speziell vom filmgeschäft sprach, davon dass nunmehr die filminhalte vollkommen andere waren (und ihr oft sehr flach vorkamen) und der gewünschte schauspieler-typus auf sein äusseres reduziert wurde, kamen mir ganz andere dinge in den sinn.

ich höre es ja immer wieder, dass die zeiten seit unserer jugend so anders geworden sind. und manchmal empfinde ich das als schlecht. weil sich das gefühl von oberflächlichkeit aufdrängt, weil alles schneller geht. und weil ich hin- und her gerissen bin vom drang mitzuhalten (und meine kopf-jugendlichkeit zu beweisen, die ich durchaus häufig empfinde) und andererseits diese kluft zu überbrücken, die sich zwischen unseren ehemaligen und den neuen wegen, idealen usf. auftut. und im hintergrund lauert immer der gedanke: werde ich nun unwiederbringlich alt und unverständig oder sind die zeiten wirklich schlechter geworden? denn ich heiße das neue gelegentlich nicht gut.

ich kann und werde hierauf keine antwort liefern. und keinesfalls werde ich mich auf diskussionen einlassen mit jenen, die solche gedanken und befindlichkeiten nicht (zu) haben (vorgeben). mag jeder sich so jung fühlen und die heutige welt so toll finden wie er will.

aber für mich steckte da alles drin: die dinge rundum sehen, sogar verstehen und auch mithalten können, aber irgendwann feststellen, dass die wertvorstellungen sich grundlegend geändert haben. so sehr, dass man womöglich nicht mehr mithalten will, weil das geschehen allem zuwider läuft, was man selbst einst als gut und richtig zu befinden gelernt hat, einschließlich der wertschätzung, die älteren wiederfahren sollte.

marion dougherty ist 2011 im gesegneten alter von 88 gestorben. das erscheinen des films CASTING BY über sie und ihre zunft im jahr 2013/ 2014 hat sie nicht mehr erlebt. und den oscar für ihr lebenswerk hat sie nicht erhalten, weil es einen fürs casting nicht gibt. und auch vorschläge, extra für sie einen ehrenoscar auszugeben, stießen auf heftigen widerstand. einer der jüngeren regisseure erklärte dazu, dass so ein film letztlich immer in der verantwortung des regisseurs läge. er würde über die besetzung entscheiden usf. einer vom übrigen personal meinte, dass am ende ja niemand sagen könne, ob der kameramann oder der regisseur vorgeschlagen habe, die szene in jenem licht zu drehen; ob der cutter (einen oscar für den schnitt gibt es allerdings) für den schnitt verantwortlich zeichnet oder der regisseur selbst, weil ebender daneben gestanden hat; ob der oscar für szenenbild und kostüme gerechtfertigt seien, wenn doch der regisseur jederzeit entscheiden könne, dass da eine wand entfernt und dort eine schleife zugefügt werden soll.

und ganz von selbst und sehr weit weg vom thema kam mir dann das in den sinn:

FRAGEN EINES LESENDEN ARBEITERS

Wer baute das siebentorige Theben?

In den Büchern stehen die Namen von Königen.

Haben die Könige die Felsbrocken herbeigeschleppt?

Und das mehrmals zerstörte Babylon,

Wer baute es so viele Male auf ? In welchen Häusern

Des goldstrahlenden Lima wohnten die Bauleute?

Wohin gingen an dem Abend, wo die chinesische Mauer fertig war,

Die Maurer? Das große Rom

Ist voll von Triumphbögen. Über wen

Triumphierten die Cäsaren? Hatte das vielbesungene Byzanz

Nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis

Brüllten doch in der Nacht, wo das Meer es verschlang,

Die Ersaufenden nach ihren Sklaven.

Der junge Alexander eroberte Indien.

Er allein?

Cäsar schlug die Gallier.

Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?

Philipp von Spanien weinte, als seine Flotte

Untergegangen war. Weinte sonst niemand?

Friedrich der Zweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer

Siegte außer ihm?

Jede Seite ein Sieg.

Wer kochte den Siegesschmaus?

Alle zehn Jahre ein großer Mann.

Wer bezahlte die Spesen?

So viele Berichte,

So viele Fragen.

(Bertold Brecht 1935)

so sachen bringen manchmal ein ganzes heer von gedanken auf.

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Globetrotter

Globetrotter bewertete diesen Eintrag 18.08.2016 21:19:13

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