Oben ansetzen, nach unten durchziehen.

Ansetzen, durchziehen.

Wasser.

Oben, unten.

Alois ist fertig mit dem Bart kämmen.

eigenes bild

Im Schlafzimmer auf der zweiten, unberührten Betthälfte liegt seine Kleidung für den Tag.

Zum Schluss noch den Binder vor dem Spiegel zurecht rücken. Fertig.

"Du musst auf dich achten.", hört er Marie-Luises Stimme. "Immer. Auf meine Liebe kannst du dich verlassen. Ich mag dich auch mit verstrubbelten Haaren und im Schlafanzug. Aber die anderen sehen nur, was sie sehen."

Als Alois vom Bäcker zurück kommt, legt er die Brötchen achtsam, beinahe liebevoll in die Holzschale. Während das Kaffeewasser durch den Filter tropft, deckt er den Tisch.

Beim Frühstück sieht Alois, wie sich draußen der allzu frühe Herbstnebel aufzulösen beginnt. Ein erster Sonnenstrahl glitzert auf den feuchten Blättern des knorrigen Apfelbaums.

"Der Tag kann gut werden.", denkt Alois. Er stellt das Geschirr neben die Spüle, Butter und Marmelade in den Kühlschrank. Noch die Krümel mit der hohlen Hand vom Tisch wischen, in den Mülleimer schütteln. Dann macht er sich auf zum Zeitungskiosk.

Natürlich wäre es einfacher, ein Abonnement zu haben, nur zum Briefkasten gehen zu müssen, die Zeitung gleich am Frühstückstisch zu haben. Aber, das weiß Alois, dann liefe er Gefahr, bis zum Mittag dort sitzen zu bleiben. Der nächste Schritt wäre, sich Toastbrot oder Aufbackbrötchen zu kaufen. Gar nicht mehr aus dem Haus zu müssen. Gleich im Schlafanzug zu bleiben.

"Wir müssen in Bewegung bleiben.", hatte Marie-Luise gesagt. Sie hatte "WIR" gesagt, aber ihn gemeint. Denn ihr eigener Radius war da schon sehr eingeschränkt durch die Krankheit.

Die Zeitung unterm Arm steht Alois auf der Brücke über dem kleinen Flüsschen und beobachtet die Enten. Später, wenn die feuchten Bänke abgetrocknet sind, wird er sich einen Platz in der Sonne suchen und seine Zeitung lesen.

Alois greift in die Tasche, klappt die Brieftasche auf, betrachtet das Bild von Marie-Luise. Da war sie dreiundfünfzig, aber faltenfrei wie eine Dreißigjährige. Das linke Auge ist zum Zwinkern zusammen gekniffen und der Mund deutet ein Lächeln an.

"Lass uns ein paar Schritte gehen.", sagt er. Und geht los.

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Globetrotter

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Petra vom Frankenwald

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