Von Mamas, Muttis und Zeichen, die wir setzen

Mein Babymädchen hat mir auf den AB gesprochen. Morgens um halb fünf. Und sie hat mich "Mama" genannt. Das hat sie seit 35 Jahren nicht mehr gemacht.

Ich war besorgt und rief sofort zurück.

Kind hat Probleme. Große.

Die ich nicht erzählen werde. Es sind ihre. Die nicht einmal ich mildern kann, sieht man einmal vom Zuhören ab.

Nach drei Stunden des Telefonierens blieb mir nur die Hoffnung, dass es irgendwie gut ausgehen wird. Für alle Beteiligten.

Und ich wunderte mich, was dieses "Mama" mit mir gemacht hat.

Mama war bei uns im Osten wirklich Babysprache. Denn wir versuchten stets, mit den Kindern zu sprechen wie mit den Großen. So dass sie beizeiten richtig sprechen lernten. Mit Grausen wandte ich mich ab, wenn Kolleginnen ihre Kinder befragten, ob sie die "Hausis" schon gemacht hatten. So viel Zeit muss sein, dachte ich, um Hausaufgaben als das zu benennen, was sie eben sind.

So fanden die Kleinen beizeiten von der "Mama" zur "Mutti". Und blieben dabei. Wenn, ja, wenn sie nicht so eine Schar größerer Geschwister hatten wie ich. Die ihre Freunde/ Freundinnen mit nach Hause brachten, weil Mutti meinte, es sei gut, den Umgang ihrer Kinder zu kennen.

Mutti, bei längerfristigen Freunden, mochte nicht ewig als Frau N. angeredet werden. Und ob sie deren Schwiegermutter werden würde, stand ja nie fest.

So ergab es sich, dass alle Welt Mutti mit ihrem Vornamen, Ursel, anredete.

Die Geschwister fanden es komisch, dass die anderen Ursel sagten und sie selbst Mutti. Und am Ende blieb ich, die Jüngste, fern vom Alter, in dem intime Freundschaften geschlossen werden, die Einzige, die Mutti sagte.

Und hörte irgendwann, so mit 12 oder 13 auch damit auf. Was Mutti nicht wirklich gefiel.

Aber was sollte sie machen?

Autoritär werden, obwohl sie es gar nicht war?

Allerhand Jahre blieb sie Ursel für diesen ganzen Rattenschwanz von Kindern und Schwiegerkindern, welchletzteren auch ich das Meine zufügte. Sie war keine Mutti mehr, wurde aber Oma.

Irgendwann wurde es seltener, dass wir sie Ursel nannten. War die Zeit der Revolte vorbei oder stellten wir uns vor, wie es wäre, würden unsere Kinder uns beim Vornamen nennen? Keine Ahnung.

Wir Mädchen sagten wieder Mutti, der Junge Mutts, die Schwiegerkinder blieben beim Vornamen, weil ja doch jeder einsehen musste, dass Mutti nicht ihre war, also ihre Mutti. Obwohl manche Schwiegermütter sich Mutti nennen lassen. Was ein einziger Blödsinn ist.

https://de.wikipedia.org/wiki/Verwandtschaftsbeziehung#/media/File:Baby_Mother_Grandmother_and_Great_Grandmother.jpg

Ich habe nie jenseits des Babyalters zu meiner Mutti Mama gesagt, aber die Probleme meiner Tochter sind mir nicht fremd. Ich hatte sie ungefähr im gleichen Alter. Und auch wenn ich nie Mama sagte, wusste ich doch, dass Mutti auf die gleiche Art mit mir fühlt wie ich heute mit meinem Mädchen. Nicht, dass wir - in die eine oder andere Richtung der Generationen - albern aneinander geklammert hätten. Man muss schon einsehen, wenn und dass der andere erwachsen und für sich selbst verantwortlich ist. Zugewandtheit, Mitgefühl, Bestärkung und - so erforderlich - der Einwurf bislang ungesagter Aspekte sollen und dürfen jedoch sein.

Eine Kollegin, ungefähr im Alter meines Kindes, erzählte mir letzthin, ihre Mutter habe sie schwerst kritisiert ob ihres Handelns. Sie sei enttäuscht, weil ihr Kind alle moralischen Wasauchimmer verloren hätte. Und was sie den Leuten antworten sollte, wenn sie fragten, ob ...

Ihr Kind ist zum ersten Mal seit Jahren glücklich bis zufrieden. Vielleicht tanzt sie dabei ein wenig auf dem Vulkan. Aber: Tun wir das nicht alle von Zeit zu Zeit? Sie bewegt sich im Bereich des Legalen und ist ein ordentliches, sogar beruflich erfolgreiches Ding.

Damals, als ich so ähnlich fühlte und dachte wie diese beiden jungen Frauen, telefonierte ich beinahe täglich mit meiner Mutti. Die ja ganz anders gelebt hatte als wir. Aber nie, niemals wäre es ihr in den Sinn gekommen, mich falsch zu finden, mich gar zu attackieren. Immer konnte ich mir sicher sein, dass sie auf meiner Seite steht, mich richtig findet und unterstützt. Und sei es nur mit dreistündigen Telefonaten.

Wenige Jahre später, als ich ihr über den Kopf strich und sagte, wie gut ihr die nachgewachsene Kurzhaarfrisur stünde, nannte ich sie manchmal Urselchen. Sie war so klein und so schmal geworden. Und, ja, ich fühlte ihr gegenüber etwas Mütterliches ...

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Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 08.10.2016 23:26:33

Globetrotter

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