Wir lassen uns das Singen nicht verbieten

Zunächst: Ich lebe auf dem Land. Und zwar gern.

Nach Kindheit und Jugend in der Stadt habe ich den Reiz der Provinz für mich entdeckt.

Ich mag es, von meinen Balkonen aus über die Stadt (14000 EW) und die angrenzende Natur schauen zu können.

Und ich mag es, sehr schnell fußläufig in der Natur zu sein.

Zwischen meinem Lebensmittelpunkt und Lidl und Aldi liegt dieser Bach, der sich großartig Fluß nennt, einen schnuckeligen Namen hat und an den Natur angrenzt, die Vogelarten hervorbringt, die der Städter längst ausgestorben glaubt. (Wenn er sie denn überhaupt kennt.)

Ich denke mir, wenn so ein Blödmann irgendwas in die Luft jagen will, dann kommt er nicht hierher.

Denn wen würde es interessieren, wenn dieses Kaff E. im O. ein Fiasko erlebte?

Sowieso würden die Bewohner ein Auge darauf haben, wenn ein Fremder daher käme, um Dinge zu tun.

Aber ich habe auch Kinder, die noch unternehmungslustig sind, die nahe einer größeren Stadt leben und gern in die nahe gelegene noch größere fahren, um Dinge zu erleben.

Natürlich möchte sich keine Mutter vorstellen, dass eines ihrer Kinder Opfer von wasauchimmer wird.

Keine Mutter, die all ihre Kraft daran verwendete, ihren Kindern dieses Urvertrauen von "mir kann nichts passieren" und "ich kann alles, was ich will" zu vermitteln, möchte ihre Kinder auch nur als Zeugen von etwas wissen, das eben dieses Urvertrauen in eine Lebensangst verwandelt.

Natürlich wissen wir Älteren, dass im Leben allerhand passieren kann. Und nicht immer Gutes.

Dass Menschen in Lebenslagen geraten, in denen sie hilflos sind.

Aber wir wünschen unseren Kindern, sie mögen diese Erfahrung nie wirklich machen müssen.

In Wahrheit leben und denken meine Kinder ganz anders.

Sie liefern keine Bekenntnisse ab wie "Jetzt erst recht!".

Oft genug bekommen sie gar nicht mit, was so in der Welt passiert ist.

Während ich jeden Morgen voller Sorge die Nachrichten anmache, um zu sehen, was wieder passiert ist (und irgendwie passiert immer öfter etwas, das keiner gewollt haben kann), machen sie einfach weiter. So wie immer. Weil das Leben kein ganz einfaches ist. Und weil alles so kommt, wie es kommen soll.

Als meine Tochter letztes Jahr auf diesem Straßenfest war, auf dem Typen rumliefen, die die Frauen genauso belästigten wie damals in Köln, sagte sie hernach, dass sie davon gehört habe. Angst, nicht einmal im Nachhinein, hatte sie nicht.

Manchmal finde ich mich selbst zu kopflastig. Aber das gehört wohl zum Leben dazu, jedenfalls zum Älterwerden.

Wenn meine Kinder nicht bewusst behaupten:

"Wir lassen uns das Singen nicht verbieten", dann deshalb, weil sie eben nicht so kopflastig sind wie ich.

Was nicht bedeutet, dass sie dumm sind.

Spreche ich sie auf dies und jenes an, können sie gute Statements abgeben.

Aber sie sind nicht ängstlich.

Und sie finden Hassan oder Aisha doof, weil die eben doof sind.

Aber nicht, weil sie Moslems sind.

Mich beruhigt das, dass Hassan und Aisha doof sein können und meine Kinder doch keine Rassisten sind.

Und mich beruhigt es, dass Urvertrauen nicht so leicht erschüttert werden kann.

Natürlich lasse ich mir das Singen nicht verbieten, auch wenn ich eine grauenhafte Stimme habe.

Da müssen die anderen eben durch.

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Fischler

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