Die Arbeitslosenzahlen in Österreich explodieren. Doch das ändert nichts an den Vorurteilen, die arbeitslosen Menschen angedichtet werden. Einige, die das Glück haben, einer Erwerbsarbeit nachzugehen, ziehen über Arbeitslose her. Da geht es nicht nur darum, diese als Sozialschmarotzer, arbeitsscheu, unflexibel etc. zu bezeichnen. Sondern es spielt auch Neid mit, der völlig unangebracht ist.
Nicht wenige Zeitgenossen sind der Auffassung, dass arbeitslose Menschen über Zeit im Übermaß verfügen. Diese Vorstellung leitet sich von der irrigen Annahme ab, das Fehlen einer Erwerbsarbeit ließe sich nicht kompensieren. Wer keine Erwerbsarbeit habe, wisse mit seiner Zeit nichts anzufangen. Wobei die Anzahl der Erwerbsarbeitslosen ja in Wirklichkeit noch viel höher ist als angenommen: Denn alle Kinder sowie der Großteil der Pensionisten gehen keiner Erwerbsarbeit nach. Heißt das, diese beiden riesigen Gruppen hätten Zeit im Übermaß?
Das Fehlen einer Erwerbsarbeit lässt manche Menschen in die Depression sinken. Alles erscheint sinnlos. Die Tage werden lang und länger. Alle paar Monate irgendein Kurs oder etwas in der Art ändert an dieser Lebensunlust auch nichts. Keine Ahnung, wie viele erwerbsarbeitslose Menschen in dieser Sinnlosigkeits-Spirale gefangen sind. Es sind aber wahrscheinlich deutlich weniger als allgemein angenommen wird.
Wie wir an Kindern und Pensionisten ersehen können, tun diese Zeitgenossen mehrheitlich Dinge, die ihnen Spaß machen. Zwar wird heutzutage auch das Lernen erschwert, doch Zeit für die schönen Dinge des Lebens sollte allemal bleiben. Kinder lernen Tag für Tag neu dazu, und zwar Dinge, die in keinem Schulbuch stehen. Pensionisten beschäftigen sich mit Dingen, für die sie während des Erwerbsarbeitslebens oft keine Zeit hatten. Und jetzt kommt´s: Auch Arbeitslose haben die Möglichkeit, Neues zu lernen, auszuprobieren, sich dort und da zu versuchen. Ein erwerbsarbeitsloser Mensch kann die ihm zur Verfügung stehende Zeit möglichst optimal nutzen oder aber sinnlos verstreichen lassen.
Jeder Mensch hat gleich viel Zeit zur Verfügung. Es kommt nur darauf an, wie er sie nutzt. Das Vorurteil des Zeit tot schlagenden Erwerbsarbeitslosen ist Schnee von gestern. Oder gehen derzeit Hunderttausende Erwerbsarbeitslose in Österreich im Kreis herum, weil sie mit ihrer Zeit nichts anzufangen wissen? Es ist an der Zeit, Erwerbsarbeitslosigkeit als keine Ausnahme von der Regel mehr zu betrachten. Viele Menschen müssen sich damit auseinander setzen, dem Erwerbsarbeitsleben entrissen zu sein. Die freie Zeit ist das kostbarste Gut, über das sie verfügen.
Ich habe bewusst nicht von den Problemen geschrieben, die Erwerbsarbeitslosigkeit mit sich bringen kann. Mir ging es darum, das Märchen von der Zeit im Übermaß, mit der erwerbsarbeitslose Menschen konfrontiert sind, aus der Welt zu schaffen. Zeit ist kostbar und Zeit verplempern sollte auch vielen Menschen bekannt sein, die noch an keinem einzigen Tag die Erfahrung gemacht haben, wie es ist, im „klassischen Sinne“ erwerbsarbeitslos zu sein.