Das Fest der Bedeutungslosigkeit

Milan Kundera hat doch noch einen Roman vorgelegt. 14 Jahre war es still um ihn geworden und dann fasst er sich ein Herz. Ist dies das letzte Werk eines auf die 90 zugehenden Autors oder wird Milan Kundera noch etwas nachlegen? Jedenfalls sorgt der kleine Roman für Schmunzeln und Ratlosigkeit.

Ein literarisches Werk bedarf keines Inhalts. Das haben schon viele Autorinnen und Autoren bewiesen. Die Sprache macht oft die Qualität aus. Ein Roman braucht keine strengen Muster zu verfolgen. Dahingehend ist Kundera von Anfang an ausgeschert. Essayistische Einsprengsel sind in allen Werken auffindbar. Kundera wäre nicht Kundera, hätte er diese Vorgangsweise plötzlich geändert. „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ strotzt von philosophischen Überlegungen, schert sich nicht darum, den Leser fest an der Leine zu führen.

Vier Protagonisten feiern das Leben und den Tod. Sie reflektieren und erzählen Geschichten. Es sind allesamt Männer, denen das Leben allerlei Erkenntnisse beschert hat, an denen sie sich die Zähne ausbeißen. Das liest sich nicht immer leicht, doch eine Quintessenz lässt sich dennoch feststellen.

Zwei Komponenten möchte ich hervorheben. Da ist einmal die Kraft des Augenblicks. Eine Engelsfeder schwebt langsam zu Boden. Dieser Vorgang erstreckt sich auf mehrere Seiten, mit Hingabe beobachtet und ein eigenes Universum bildend. Details fallen meist nicht auf. Dabei präsentiert sich die wahrgenommene Welt von Augenblick zu Augenblick neu. Nur genau jetzt beschreibt der Flug der Feder diese Kurve, werden die Blätter der Bäume vom Wind in eine bestimmte Daseinsweise gestellt, ergibt sich irgendwo im weiten Ozean eine bestimmte Strömung. Einmalig alles, und nicht wiederholbar. Der Flug der Engelsfeder ist Poesie vom Feinsten.

Und dann „das Fest der Bedeutungslosigkeit“ an und für sich. Ja, das Leben höchstselbst ist damit gemeint. Wir sind zu diesem Fest eingeladen worden, ohne dass wir es unbedingt ersehnt hätten. Auf die Welt gestellt nehmen wir Anteil an diesem Fest. Unser Spielraum ist gering. Wir konnten uns nicht aussuchen, wo, unter welchen Umständen, mit welchen Attributen ausgestattet wir geboren werden. Doch da gibt es diesen Spielraum, der winzig und gleichermaßen unser ein und alles ist. Persönlichkeit, Charakter, wie immer dieser Spielraum genannt werden mag: Das macht jeden einzelnen Menschen aus. Nur der Mensch mag sich darüber Gedanken machen, warum er eigentlich eingeladen worden ist. Für die anderen Geschöpfe auf Erden ist es einfach so, wie es ist.

Milan Kundera gehört seit Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins zu meinen Lieblingsautoren. Als Romancier ist er großartig. Wenn er ausschließlich essayistisch agiert, hat auch er seine Schwächen. Das Fest der Bedeutungslosigkeit besticht dadurch, dass es absichtslos geschrieben scheint, jedoch die ganze Welt, ja das Universum und die großen Fragen nach dem woher, warum und wohin, in sich einbindet. Ein großer, kleiner Roman.

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Herbert Erregger

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Bernhard Juranek

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