100 Jahre ist es her, dass unter Verantwortung der Regierung des osmanischen Reiches ein Völkermord an den Armeniern geschah, dem hunderttausende Menschen zum Opfer fielen. Die Mehrzahl kamen bei Todesmärschen um. Bis heute wird dieser Genozid von der Türkei nicht als solcher anerkannt. Es ist bezeichnend, dass etwa auch Österreich und Deutschland fast 100 Jahre vergehen ließen, ehe sie die Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern aussprachen. Offenbar war dieses unfassbare Verbrechen an einem unschuldigen Volk für lange Zeit keiner geschichtlichen Aufarbeitung umfassenderen Ausmaßes unterzogen worden, anders lässt sich diese „Verspätung“ nicht erklären.
Franz Werfel hat es sich zur Aufgabe gemacht, den heroischen Kampf jener Armenier, die den Musa Dagh, einen 1355 Meter hohen Berg in der Türkei, als Fluchtpunkt wählten, in einen Roman zu gießen. Der Autor wurde im Rahmen einer Reise im Jahre 1929, die ihn über Kairo bis nach Jerusalem und Damaskus und hernach bis in das libanesische Gebirge führte, mit der Geschichte der Kinder jener Armenier konfrontiert, die dem Genozid zum Opfer gefallen waren. Die vierzig Tage des Musa Dagh sind weitgehend von historischen Berichten sowie Zeugnissen des evangelischen Pastors Johannes Lepsius inspiriert. Die Niederschrift erfolgte innerhalb nicht einmal eines Jahres zwischen 1932 und 1933.
Über diesen Roman ist schon viel geschrieben worden, dennoch kann nicht damit aufgehört werden, auf ihn hinzuweisen. Er hatte und hat für die Armenier eine große Bedeutung. Es ist davon auszugehen, dass einige tausend Armenier den Abwehrkampf gegen die Türken am Musa Dagh überlebt haben. Sie wurden schließlich von einem französischen Kreuzer nach Alexandrien gebracht.
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Das im Roman beschriebene Gespräch zwischen Johannes Lepsius und dem Kriegsminister des osmanischen Reiches Enver Pascha fand tatsächlich statt, dafür gibt es Belege. Johannes Lepsius, evangelischer Theologe und Orientalist, hat sich viele Jahre mit der Geschichte des armenischen Volkes beschäftigt. Er gründete zudem das armenische Hilfswerk. Sein Bemühen, für die Armenier einzutreten, auch wenn er sich damit in große Gefahr begab, ist beispiellos.
Die Figur des Tomasian entspricht dem aus Yoghonoluk stammenden Pastor Dikran Andreassian. Er war als Teilnehmer in den Abwehrkampf auf dem Musa Dagh verwickelt.
Franz Werfel hat die Geschichte so entworfen, dass die Relation zwischen den einzelnen Menschen auf die Gemeinschaft beleuchtet worden ist. So gibt es viele Schicksale, die in den Fokus geraten. Die Hauptfigur Gabriel Bagradian ist eine Erfindung von Werfel. Bagradian gerät „zufällig“ in die Situation, Anführer zu sein und erfüllt diese bis zum Ende mit Bravour. Kritische Geister stört die Theologisierung, wie sie nicht von der Hand zu weisen ist. Dies lässt sich allein schon an den für die Juden heiligen Zahlen sieben und vierzig ablesen, welche den Roman kennzeichnen. Die Belagerung des Musa Dagh dauerte wahrscheinlich 36 oder 53 Tage, und es ist verbrieft, dass sechs Gemeinden sich auf den Berg zurück zu ziehen gedachten, und somit gegen die allgemeine Verschickung entschieden. Bei Werfel sind es sieben. Auch das Ende des Romans ist in einen alttestamentarischen Kontext zu setzen. Einige Züge von Bagradian gemahnen an Mosis.
Wenngleich ein gewisses Pathos den Roman durchziehen mag, ändert dies nichts an der enormen Größe, die diesen kennzeichnet. Eingearbeitet sind zahlreiche Details, an denen deutlich wird, wie schrecklich die Armenier unter der Herrschaft des osmanischen Reiches gelitten haben. Wobei es schon zwischen 1894 und 1896 Massaker gegeben hat, denen Armenier zum Opfer fielen. Es ist also geschichtlich erwiesen, dass die Armenier – harmlos ausgedrückt – nicht erwünschte Gäste waren. Die Erinnerung an den Genozid gemahnt daran, dass solcherlei Grauen nie wieder passieren dürfen. Aber hat die Menschheit je aus ihrer Geschichte gelernt? Heute finden an vielen Orten auf der Welt Verbrechen statt, die seinesgleichen suchen. Die Situation scheint zu eskalieren. Frieden und Pazifismus nur ein schöner Traum zu sein, der nie und nimmer seine Erfüllung finden wird.
Im Sommer 1915 war es sehr heiß, darunter haben die Armenier auch noch zu leiden gehabt. Sich vorzustellen, wie Menschen in dieser Hitze Tage lang durch Gebiete getrieben werden, die kein Ende nehmen, und in dieser Endlosigkeit nur den für sie erlösenden Tod ersehnen konnten, ist grauenhaft. So viele Menschen starben einen sinnlosen Tod, bloß weil sie als Christen aus Sicht des osmanischen Reiches „gebrandmarkt“ waren. Franz Werfel hat mit Die vierzig Tage des Musa Dagh den Toten und Überlebenden des Genozid gedacht, und uns Lesern ermöglicht, ein wenig in die Geschehnisse einzutauchen. Wer dieses Bild erweitern möchte, dem sei der Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei von Johannes Lepsius empfohlen.