Der Tod eines Mannes in einem Lift einer U-Bahn-Station mitten in Wien hat auch eine Debatte über Zivilcourage hervorgerufen. Fünf Stunden lang lag er nach einem Herzinfarkt da, viele Benutzer des Aufzugs haben ihn buchstäblich übergangen. Unterlassene Hilfeleistung in diesem Ausmaß ist unfassbar.
Angesichts dessen erinnere ich mich an eine Geschichte, die im Sommer des Jahres 1993 passiert ist. Ich war in einem Autobus in Wien unterwegs. Unmittelbar vor mir saß ein Mann regungslos wie ein Toter da, der Kopf hing über die Rückenlehne. Ich zögerte keinen Moment und sprach den Mann mit den Worten: „Entschuldigen Sie, kann ich Ihnen helfen?“ an. Hernach rüttelte ich leicht an seiner Schulter. Die Reaktion seinerseits erfolgte prompt. Er brüllte mich an, beschimpfte mich. Also ein Betrunkener, der geräuschlos wie ein Stein seinen Rausch in einem Autobus ausschlief, und diesen Vorgang sogleich fortsetzte.
Ich war nicht erbost über die Worte des Mannes, sondern froh, dass es ihm gut ging. Immerhin hätte er bewusstlos oder tot sein können! Es lässt sich nie voraussagen, was von einem reglosen Menschen zu erwarten ist. Doch das Mindeste ist es wohl, sich zu vergewissern, ob er ansprechbar ist. Im Fall des Falles ist dann die Rettung zu verständigen oder der Notrufknopf in einem Aufzug zu drücken. Aufmerksam auf die Nöte seiner Mitmenschen zu reagieren kann doch nicht zu viel verlangt sein?
Menschen beweisen immer wieder Zivilcourage, das muss auch mal geschrieben sein. Das sind gar nicht so wenige. Aber es gibt Menschen, denen nur die eigene Jacke und Hose nah sind. Im Grunde ein Skandal. Es muss sehr kalt in den Herzen von Menschen aussehen, die einen zusammen gesackten Mann einfach seinem todbringenden Schicksal überlassen.