Kafka: Robert Crumb und David Zane Mairowitz

Das Leben von Franz Kafka als Comic, gezeichnet von Robert Crumb, Text von David Zane Mairowitz. Hier wird sichtbar und lesbar, dass zwei Großmeister ihrer Metiers am Werke waren. Die Zeichnungen sind gleichermaßen markant wie zurückhaltend, der Text hervorstechend wie sanft dahingleitend. Der Balanceakt breitflächiger Darstellung von Franz Kafkas Leben gepaart mit auf den Punkt gebrachten Comic-Versionen seiner wichtigsten Werke einerseits, familiären Konflikten, Liebesgeschichten, inneren Zerwürfnissen und jüdischer Geschichte andererseits gelingt prächtig. In diesem Comic-Band ist auf engstem Raum die in die Unendlichkeit hinstrebende Suche nach Kafka, wie er vielleicht gewesen sein kann, eingebunden.

Auf der Suche nach dem Unmöglichen findet sich ein Ergebnis, das in der Comic-Geschichte zweifellos einen Ehrenplatz verdient. Und das hat einen konkreten Grund: Dieser Comic fügt dem Wissen über Kafka etwas hinzu, und zwar die Unmittelbarkeit. Kafka lebte wie wir alle in seiner eigenen Welt, war in Kontakt mit seiner Familie, mit Freunden, mit geliebten Frauen, interessierte sich für allerlei, träumte viel, spielte auch schon mal Theater und wollte Konflikten stets ausweichen. Seine so schwer zu deutende Welt muss in Scherben zersplittert gewesen sein, wenn er nicht den ständigen Versuch unternommen hätte, eine Ordnung herzustellen. Das Schreiben selbst ist sicher auch das Bemühen, dem chaotischen Leben mit Ordnungs-Herstellung zu begegnen. Bei Kafka mag es so gewesen sein, dass er sein Leben in den Dienst dieser unmöglich zu erreichenden Ordnungs-Herstellung stellte. Somit geriet ihm das Leben vielleicht umso unordentlicher, auch wenn er mit Inbrunst bemüht gewesen ist, nicht in seiner Vorstellungswelt gefangen zu bleiben, sondern die Wirklichkeit mit seinem scharfen Blick zu decodieren suchte. Crumb und Mairowitz entwerfen ein Mosaik eines Kafka-Universums, das Nähe und Distanz zu Kafka offenbart. Es sind wohl die intimen Momente, durch die Kafka besonders deutlich in den Fokus gerät. Seine sexuellen Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht spiegeln seine Unsicherheit, seine Weltflucht, seine innere Zerwürfnis. Er kann sich selbst nie seine Schwächen und Ängste verzeihen, wird dadurch immer wieder auf sein zerbrechliches Ich zurückgeworfen, das nur im Schreiben Heil finden kann.

Die Welt des Franz Kafka war weitgehend Prag. Er eroberte die Stadt spazieren gehend im Sturm, kannte vielleicht jeden Stein, über den er stolperte. Aber er näherte sich nie sich selbst, verbarg sich vor jener Persönlichkeit, zu der er zu werden aufgerufen war. Sein Scheitern war vorprogrammiert, schließlich konnte er nur dadurch seine Figuren in jener Schärfe erschaffen, die ihm ein Vorbild gewesen sind. Ein mit sich selbst halbwegs im Reinen befindlicher Kafka hätte auch wunderbar geschrieben, aber es hätten die Verletzlichkeit, das Ausgeliefert sein in einer unbarmherzigen Welt und die Verstörung gefehlt. Kann der Mensch überhaupt mit sich selbst im Reinen sein angesichts einer Welt, die keine Rücksicht auf seine Befindlichkeiten nimmt? Kafka erging es nicht viel anders als uns, die wir ihn so gerne verstehen wollten. Sind wir uns nicht immer wieder selbst im Weg, verlangen Unmögliches, sind von Zeit zu Zeit verbittert über die eigene Unvollkommenheit? Crumb und Mairowitz stellen Facetten von Kafka in den Blickpunkt, die uns dazu gemahnen, selbst genauer hinzuschauen, woran es uns mangelt. Mehr kann ein Comic nicht leisten, der als literarisches Glanzstück dem nach Wahrheit suchenden Menschen gewidmet zu sein scheint.

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Silvia Jelincic

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Bluesanne

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Claudia Braunstein

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fischundfleisch

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Bernhard Juranek

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irmi

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