Anfangs ist die Lehrzeit eine große Herausforderung für ihn. Er lernt gern, und fällt in der Berufsschule durch herausragende Leistungen auf. Innerlich fühlt er sich unwohl. Irgendetwas fehlt in seinem Leben. Etwas, das er nicht erklären kann. Eine Berufsschulkollegin wird noch im ersten Lehrjahr schwanger, und taucht erst ein Jahr später in der Klasse mit dem Baby in den Armen wieder auf. Ihre Freundin ist die Freundin seines Banknachbarn.

Er freundet sich mit drei Mädchen an, und spricht in den Unterrichtspausen mit ihnen. Nie würde es ihm einfallen, einen kleinen Flirt zu wagen, oder sie mit Namen anzusprechen. Überall spritzen die Funken; Sebastian lässt sich bewusst auf nichts ein, und hört dann abends traurige klassische Musik.

Er besucht in seinem zweiten Lehrjahr eine Tanzschule, und hat mehrere Tanzpartnerinnen. Doch innerlich sieht er ständig die schwarzhaarige Fee vor sich, der er in Liebe ergeben ist. Nur mit ihr will er glücklich sein. Die Avancen anderer Mädchen muß er abblocken. Doch eines Tages gibt er sich geschlagen.

Dorothea ist ein hübsches, ein wenig burschikoses Mädchen. Es bändelt jede Tanzstunde mit einem anderen Burschen an. Auch Sebastian kommt an einem herrlich grauen Herbsttag an die Reihe. Wenn er sie berührt, ist er wie elektrisiert. Er glaubt, sein Herz könnte zerspringen. Sie tanzt als einziges Mädchen barfuß. Wenn er mit ihr zwischendurch promeniert, starrt er ihr ständig auf die Füße. Für sie mag es Macht der Gewohnheit sein, ihre Liebreize auszuspielen. Er ist von der Situation überfordert. Da flüstert sie ihm einen erstaunlichen Satz ins Ohr:

„Treffen wir uns zur Perfektion am Samstag, und lassen mal so richtig die Sau raus!“

So einen Satz hätte er von einem Mädchen nie erwartet. Er sieht sie an, starrt dann wieder auf ihre Füße, und nickt.

Sebastian ist kein besonders guter Tanzschüler. Er kann nicht intuitiv sein, sondern plant jeden Schritt, und jede Figur im voraus. Eine Partnerin führen kann er nicht. Zumindest ist es ihm bislang so ergangen, bis er Dorothea kennengelernt hat. Sie lässt sich spielend leicht führen, und scheint jeden seiner Gedanken lesen zu können. Ja, er ist sich fast sicher, die perfekte Partnerin gefunden zu haben. Und da passt der Ausdruck „Perfektion“ ja voll und ganz!

Er schwitzt zum ersten Mal so richtig beim Tanzen! Zu Songs von Elton John und George Michael bewegt er sich mit Dorothea in einer Weise, die ihn glücklich sein lässt.

„Wie heißt du eigentlich?“

Er tut so, als hätte er die Frage nicht gehört.

„Ich meine; wir kennen uns jetzt ein paar Tage, und ich kenne nicht mal deinen Namen.“

„Der ist nicht wichtig“, sagt er.

„Hm; so einer wie du ist schwer zu knacken“, sagt sie und küsst ihn auf den Mund.

Als sie ihn an der Hand nimmt, und zu einer Party schleppt, weiß sie immer noch nicht seinen Namen. Spielt wahrscheinlich auch keine Rolle für sie. Er trinkt vier halbe Bier. Leicht angetrunken bemerkt er Petra, die er von der Berufsschule kennt. Dorothea sitzt auf dem Schoß eines jungen Mannes, und kichert vor sich hin.

Er landet mit Petra in einem winzigen Zimmer. Sie zieht sich unbeholfen aus, und lallt unverständliches Zeug. Sebastian schaut sich selbst dabei zu, wie er ihr aus der Jean, und aus dem Tanga hilft. Für einen Moment hat er die Kontrolle verloren. Er bemerkt es nicht einmal, als sie nackt vor ihm steht. Sie ist das kleinste Mädchen der Schule, und trägt immer hochhackige Schuhe.

Am nächsten Tag sieht er sie in der Berufsschule, und möchte einen weiten Bogen um sie machen. Sie geht sexy auf ihn zu, sieht ihn abschätzig an, und bläst ihm Zigarettenrauch ins Gesicht.

„Eigentlich kann ich dich ja gar nicht leiden. Aber gefallen hat´s mir doch ein bisschen.“

Er blickt wortlos zu Boden, und spürt eine Hand auf seiner Schulter.

„Du hast es ihr sicher so richtig besorgt, Basti.“

Ein namenloser Klassenkamerad gratuliert ihm, und versinkt bald darauf in Zungenspielen mit der Braut, die Sebastian in die Welt der Sexualität eingeladen hatte.

Es wird lange dauern, bis er wieder seine Kontrolle verliert. Er kann es sich viele Wochen nicht verzeihen, so unüberlegt gehandelt zu haben. Nicht mal ein Kondom hatte er verwendet!

Seine Selbstgespräche werden intensiver, und er geht nie wieder in die Samstagsperfektion der Tanzschule.

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Claudia Braunstein

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fischundfleisch

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Silvia Jelincic

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