Über meine Erfahrungen in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau sowie eine Filmempfehlung

Heute gedenken wir am 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch die rote Armee. Im Spätsommer des Jahres 2006 besuchte ich im Rahmen meines ersten Aufenthaltes in Polen das staatliche Museum Auschwitz-Birkenau. Eine Dame zeigte uns die Stätte des Grauens. Die Führung wurde anfangs durch einen Jugendlichen gestört, der seine Eltern davon in Kenntnis setzte, dass ihm „langweilig“ sei. Er faselte immer wieder vor sich hin, bis es seinen Erziehern offenbar zu bunt wurde, wodurch die Besichtigung des Museums nicht mehr gestört war.

Ich ließ mich aber nur kurz von diesem Rabauken beeinflussen. Zu intensiv waren die Eindrücke, mit denen ich konfrontiert wurde. Anfangs blieb mir buchstäblich die Luft weg, ich glaubte schon, frühzeitig die Führung verlassen zu müssen. Doch nach einigen Minuten wich das Gefühl des Entsetzens tief empfundener Trauer. In jenen Gebäuden, auf dem Areal, wo ich mich für einige Stunden bewegte, waren über eine Million Menschen auf bestialische Weise umgekommen. Die Hinrichtungsstätten, die Folterkeller und insbesondere die Überreste der Gaskammern zu betreten löste Gefühle in mir aus, die mich zu einem anderen Menschen werden ließen.

Ich verließ die Gedenkstätte auf dem Areal der ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau im Bewusstsein, vielleicht irgendwann wieder dorthin zurück zu kehren und mich genauer damit auseinander zu setzen.

Jahre später konfrontierte ich mich mit dem Dokumentarfilm Shoah von Claude Lanzmann. Der Filmemacher hatte Zeitzeugen interviewt, sowohl Täter als auch überlebende Opfer des Holocaust. Insgesamt 12 Jahre dauerten die Arbeiten an diesem Film. Die Konzentrationslager Auschwitz und Birkenau sind hierbei über mehrere Kapitel im Bild. Lanzmann zeigt die Überbleibsel der Stätten des Grauens sowie die Stadt Auschwitz drei bis vier Jahrzehnte nach den Gräueln, während Zeitzeugen sprechen. Es ist bedrückend, doch gleichermaßen von enormer Bedeutung, dass dieser fast 10 Stunden umfassende Dokumentarfilm entstanden ist. Niemals vergessen! Wer diesen Film gesehen hat, der kann unmöglich zur üblichen „Tagesordnung“ übergehen. Es ist eine Verpflichtung für uns, die wir über diese Gräuel Bescheid wissen, ohne direkt davon betroffen gewesen zu sein, gegen jegliche Form von Rassismus, Antisemitismus und Kriegstreiberei aufzutreten und ein friedliches Miteinander als höchste Maxime menschlichen Lebens anzustreben.

Den Wahnsinn der Shoah zu relativieren, ja sogar gute Seiten daran zu sehen, gilt vielen Menschen immer noch als legitim. Auch heute noch ist Antisemitismus weltweit verbreitet, eine Tatsache, vor der wir unsere Augen nicht verschließen sollten. Auch in Österreich ist Judenfeindlichkeit fest in der Gesellschaft verankert. Am heutigen Gedenktag sollten wir in uns gehen und uns bewusst machen, dass Österreich und insbesondere Wien durch die Ermordung und Vertreibung jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger kulturell und intellektuell stark an Substanz und Identität verloren hat. Diese immense Lücke prägt die Geschichte unseres Landes.

4
Ich mag doch keine Fische vergeben
Meine Bewertung zurückziehen
Du hast None Fische vergeben
6 von 6 Fischen

bewertete diesen Eintrag

fishfan

fishfan bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

Rudi

Rudi bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

Silvia Jelincic

Silvia Jelincic bewertete diesen Eintrag 14.12.2015 23:16:59

Noch keine Kommentare

Mehr von Jürgen Heimlich