Ein Jahr Pegida - Im Abendspaziergang zur politischen Trendmarke

Justizminister Heiko Maas hat es getan und Innenminister Thomas de Maiziere auch. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ebenso wie Linken-Chefin Katja Kipping. Vizekanzler Sigmar Gabriel war dabei und Merkel-Sprecher Steffen Seibert sowieso. Kein ranghoher Politiker, der sich nicht zu Wort gemeldet hat. Keine Partei, die nicht ihren Senf dazu gab. Und die Massenmedien hyperventilieren! Was für ein Zirkus, was für eine Schau! Extase. Eskalation. Ekel. Deutschland, so scheint es, befindet sich im kompletten politischen Ausnahmezustand. Die "patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes", kurz "Pegida", ziehen das ganze Land in ihren schaurigen Bann und sind das beherrschende politische Thema. Aber hat sich die Bewegung rund um ihren Anführer Lutz Bachmann diese Aufmerksamkeit überhaupt verdient? Und steht die öffentliche Bedeutung, die Pegida beigemessen wird, noch in irgendeiner Relation zu ihrem tatsächlichen innenpolitischen Gewicht in Deutschland?

Ein paar Hundert waren es, die genau vor einem Jahr begannen, mit Abendspaziergängen durch die Dresdner Innenstadt ihren Unmut über angebliche und tatsächliche Missstände und Fehlentwicklungen in der deutschen Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik zu artikulieren. Die wenigsten von ihnen hatten damals wohl damit gerechnet, dass ihre Spaziergänge sich zu einem Sturm entwickeln würden, der die halbe Republik aus den Angeln hebt und um den Verstand bringt. Haben diese Spaziergänge in Wahrheit auch gar nicht! In der Hochphase der Pegida-Bewegung waren es um die 25.000 Teilnehmer, die an den Montags-Demonstrationen teilnahmen. Dem nicht genug, drohte Pegida von Dresden aus wie eine rechte Welle auf andere deutsche Großstädte überzuschwappen.

Am Jahrestag der Pegida, Montag dieser Woche, war mit rund 20.000 Teilnehmern die Größenanzahl gleich geblieben, wenn nicht sogar etwas geschrumpft. Die drohende Welle in Richtung anderer deutscher Städte blieb überhaupt aus und ist inzwischen längst verebbt. Während also die Zahl der Pegida-Teilnehmer im Wesentlichen konstant und mit Blick auf Gesamt-Deutschland in überschaubarem Rahmen blieb, hat sich hingegen die Zahl des staunenden Publikums in den versifften Polstersesseln der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und der an ihren schmutzigen Fingernägelen kauenden "Pegida"-Konsumenten des Boulevards vervielfacht. Kein TV-Sender, keine Zeitung, kein Feuilleton kann der bösen Versuchung widerstehen, Pegida eine überdimensionierte mediale Bühne zu bieten und ihr somit das Feld der Öffentlichkeit zu bereiten. Davon lebt Pegida. Von der übertriebenen öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit. Von der übersteigerten Empörung, der Abneigung und nicht zuletzt vom gut gemeinten Protest gegen sie. Das Böse hat eben mehr Sex als das Gute! Ihre Gegner nützen der rechten Bewegung damit aber mehr, als sie ihr schaden. Das wissen Pegida und ihr Anführer Lutz Bachmann nur zu gut.

Daher dreht Pegida munter weiter an der Schraube der öffentlichen Empörung. Ein Galgen für Merkel und Gabriel? - Skandal! Ein von Gegnern zusammen geprügelter Pegida-Anhänger? - linker Terror! Ermittlungen wegen Volksverhetzung - Meinungsdiktatur! Ohne viel Aufwand, vor allem aber ohne viel finanziellen Einsatz, den man zur Etablierung einer Marke, gerade einer politischen braucht, ist es Werbefachmann Lutz Bachmann so gelungen, Pegida in nur einem Jahr zu DER politischen Trendmarke in Deutschland zu machen. Im Abendspaziergang! Keiner, der Pegida nicht kennt. Niemand, der nicht weiß, was Pegida sagt und tut. Pegida ist omnipräsent. Pegida ist überall. Alles Pegida in Deutschland!

Zum ersten Geburtstag seiner Bewegung hat Lutz Bachmann also allen Grund zu feiern. Das müsste nicht so sein. In meinem Buch "Haiders Schatten" weise ich darauf hin, dass die Empörungsmaschinerie der etablierten Parteien und des medialen, linken Mainstreams der Treibstoff für rechtspopulistische Bewegungen wie Pegida ist. Ohne die Empörung und die mit ihr einhergehende Aufmerksamkeit funktioniert ihr politisches Modell nicht. Deutschland aber kriegt sich gar nicht mehr ein vor lauter Empörung. Diese Empörung wiederum ist genau jener Dünger, den Pegida braucht, um zu blühen und zu gedeihen, anstatt im Schattendasein von demokratischen Parlamentsmehrheiten und verminderter Medienaufmerksamkeit langsam zu verdörren.

In der Konsequenz plädiere ich daher für mehr Gelassenheit und nüchterne Sachlichkeit im Umgang mit Pegida. Das heißt nicht, dass ich Pegida unterschätze oder gar verharmlose, ich rede aber einer realistischen politischen Einordnung und Bewertung dieses Phänomens das Wort. Und realistisch gesehen sind 25.000 Wutbürger in einer mittelgroßen deutschen Stadt wie Dresden gegenüber fast 80 Millionen Bundesbürgern in Restdeutschland eine überschaubare Größe.

Richtiger wäre es, sich weniger dem Symptom Pegida zu widmen, sondern vielmehr den auslösenden Ursachen, die hinter dem Symptom stecken. Die Bundesrepublik weist seit Jahren massive Defizite im Bereich der Integration von Zuwanderern auf. Das hat zu Spaltungstendenzen und einer Radikalisierung der Gesellschaft geführt, wobei die Religion - Stichwort Islam - eine der Hauptrollen spielt. Hohe Zuwanderungszahlen schürten Ängste und Sorgen vor einer kulturellen Überfremdung, Entheimatung und Überforderung der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes. Dringend nötige Anpassungen in der Asyl-Gesetzgebung, wie schnellere, unbürokratischere Verfahren und konsequente Rückführungen von Wirtschaftsflüchtlingen, wurden verschlafen und verpasst. Stattdessen hat die Politik geschwiegen, tabuisiert, weg gesehen. Weiten Teilen der Bevölkerung blieb das alles nicht verborgen. Unverstanden und ungehört wandten sich viele ab. Und Pegida zu.

Denn zu offensichtlich ist, wie viel im Argen liegt. Zu groß sind daher die Zweifel, dass Merkels jüngst verabreichte Beruhigungspille, "Wir schaffen das!", auch tatsächlich wirkt. Die aktuelle Flüchtlingskrise ist es denn auch, die das jahrzehntelange Nichtstun, Schweigen und Versagen der etablierten Parteien in der Asyl- Zuwanderungs- und Integrationspolitik schonungslos offenlegt. Nur wenn es der Politik gelingt, das Gesetz des Handelns in der Flüchtlingskrise zurück zu gewinnen und die angesprochenenen Defizite und Versäumnisse rasch zu korrigieren, kann Pegida in Schach gehalten werden. Drohungen, Beschimpfungen, Belehrungen und das Schwingen der Nazikeule von oben gegen die Anhänger der Pegida unten auf der Straße hingegen werden nur das Gegenteil bewirken. Schafft Merkel das?

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