Die Griechenland-Krise ist unüberschaubar geworden. Zum 100. Mal hört man von den Deadlines, die diesmal wirklich über das Schicksal Griechenlands entscheiden. Während es in diesen Stunden so aussieht, als wäre eine vermeintliche Lösung gefunden, geht es in Wahrheit schon um viel mehr als um eine Schuldenkrise. Zuerst noch ein paar kurze Worte zur Lösung, wie sie momentan skizziert wird. Danach zum Wesentlichen.
Weiterwurschteln statt „New Deal“
Ich hab’s in meinem letzten Griechenland-Artikel schon prophezeit – entweder es gibt einen „New Deal“, mit dem der zerstörerische Sparkurs endlich beendet wird, oder es gibt ein Weiterwurschteln wie bisher. Das scheint es jetzt zu werden.
Long story short: Die Griechen haben zu Neuwahlen aufgerufen, um eine linke Anti-Austeritätspartei in die Regierung zu wählen. Diese verhandelte dieses Anliegen monatelang und stellte klar, dass das nicht gegen den Euro oder die Union gehe. Dafür wurde die griechische Regierung vor allem in der unerträglich einseitigen deutschen Medienlandschaft gescholten. Nun gab’s sogar extra ein Referendum, um das „Nein“ zum Sparkurs nochmal klarzustellen.
Und jetzt? Die Grexit-Drohung – Griechenland sollte bei einem Nein zum Sparkurs aus der Eurozone ausscheiden (bzw. „ausgeschieden werden“) – hat gefruchtet. Der Anti-Sparkurs-Chef der Anti-Sparkurs-Regierung mit Anti-Sparkurs-Referendum in der Hinterhand hat dem Sparkurs zugestimmt. Diese „Lösung“, die schon zweimal nichts gebracht hat außer finanziellen Schaden hier und humanitären Schaden dort, wird also erneut versucht. Wetten, in zwei Jahren gibt’s wieder einen Gipfel?
„Die macht mir mein Europa kaputt“
Nur so viel dazu. Man merkt, mich regt dieser fehlende politische Wille für neuartige Ansätze auf. Und damit bin ich nicht alleine. So sagte auch Helmut Kohl – ehemaliger Bundeskanzler Deutschlands und einer der vielen Väter des Euros – jüngst über Angela Merkel: „Die macht mir mein Europa kaputt“.
Damit wäre eigentlich alles gesagt. Auch viele andere ehemalige Größen Europas sprechen sich gegen den momentanen Kurs Deutschlands aus.
Und in der Tat mutet es absurd an – wenn sich die EU zu einem Krisentreffen wegen Griechenland versammelt, warum spricht der deutsche Finanzminister Schäuble für die Gläubiger? Wieso verhalten sich Merkel und Schäuble nicht wie ihre Ämter auf nationaler Ebene, sondern wie die Europa-Kanzlerin mit ihrem Finanzminister?
Diese deutsche Macht beschränkt sich auch nicht nur auf das Griechenland-Thema. Auch am Balkan gilt die Umsetzung der deutschen Pläne als Kriterium für die Aufnahme in die Europäische Union. Im Europaparlament ist Deutschland am stärksten vertreten – während bei uns 8 % nötig sind, um eine Neos-Abgeordnete nach Brüssel zu schicken, reicht einer deutschen Satire-Partei 1 %.
Das alles wäre halb so wild, wenn nicht jeder damit einverstanden wäre. Zum ersten Mal seit Jahren zeigt sich Frankreich zumindest skeptisch gegen den deutschen Kurs der EU. Aber starken Widerstand gibt es nicht. Die nicht-gewählte Kommission, große Teile des Europaparlaments und die meisten Regierungschefs stehen strikt hinter dem Sparkurs – Ausnahmen findet man vor allem dort, wo er seine verheerende Wirkung zeigt. Wird spannend, wie Spanien diesen Herbst abstimmt.
Trotz Widerstand einiger Links- und Rechtsparteien scheint der Kurs der EU eindeutig. Und das nicht nur in Sachen Griechenland – auch in Bereichen wie Freihandel (TTIP), Massensterben im Mittelmeer oder der Ukraine-Krise lässt diese EU momentan sehr zu wünschen übrig. Man kann das nicht alles an Angela Merkel festmachen – dennoch ist sie die Schlüsselfigur der Union, die Veränderung in die Wege leiten könnte. Vielleicht tut sie das noch. Bis dahin sage auch ich: Die macht mir mein Europa kaputt!