Dass die ÖVP nach der Nationalratswahl 2013 in ein Beliebtheitstief fiel, dürfte jeder mitbekommen haben. Dass Spindelegger ("Wehrpflicht, weil es schon immer so war") seinen Posten räumte, war die positivste Konsequenz, die Österreich erwarten konnte. Es machte mich so glücklich, wie einen ein Rücktritt glücklich machen kann.
Wenig später war ich zu Gast beim vorletzten ORF-Sommergespräch, das jetzt spontanerweise doch nicht mit Spindelegger, sondern mit Reinhold Mitterlehner stattfinden sollte. Nach der Sendung nutzte ich meine Chance für eine einfache Frage, die in keiner Diskussion ausarten sollte. Ein kurzer Dialog:
Schett: "Herr Mitterlehner, wieso sollte ein junger Mensch die ÖVP wählen, und nicht die Neos?"
Mitterlehner: "Weil wir die unternehmerische und wirtschaftliche Kompetenz haben, die für die Jugendlichen ja auch extrem wichtig ist."
Schett: "Unternehmer haben die Neos auch."
Mitterlehner: "Ja, aber wir machen das besser. Wir schau'n, dass da jetzt ein bissl Bewegung reinkommt."
Schett: "Ich hoffe es!"
Mitterlehner: "Passt, dann wähln'S uns beim nächsten Mal."
Die Performance war, wie ich heute vermutlich besser beurteilen kann, typisch für Mitterlehner. Sehr direkt, mit sehr lässigem Slang, wenig Politsprech und keinerlei Panik. Dennoch stellte mich die Antwort nicht zufrieden. Denn was danach kam, sollte meine Sicht zum Verhältnis Neos/ÖVP noch öfters ändern.
Nach den medialen Ausrutschern der Neos war ich teilweise gefrustet von der bisherigen Partei meines Vertrauens - ich hatte mich zuvor bei der Gründung der Salzburger Neos engagiert. Nachdem nun alle Seiten Eingeständnisse in die Richtung der Neos gemacht hätten, wozu bräuchte man sie noch? Für Cannabis und Wasserprivatisierungs-Debatten?
Mittlerweile ist wieder einiges an Zeit vergangen, und mir wird klar, dass irgendjemandes Plan in der ÖVP ganz schön aufgegangen ist. Die Neos sind innerhalb eines halben Jahres von "neuer politischer Kraft mit charismatischem Obmann" zur "Fettnäpfchen-Partei ohne Programm" avanciert - obwohl sich an ihren Inhalten und teilweise sachlich brillanten Reden im Parlament nichts geändert hat.
Ich habe oft mit dem Gedanken gespielt, "Spin Doctor" wäre ein interessanter Job. Dass ich diese geniale Taktik nicht durchschaut habe, ist in dieser Hinsicht eine Schande. Der Plan, mit dem die ÖVP wieder beliebt werden konnte, sieht folgendermaßen aus:
- "Die Neos sind nicht die neue ÖVP!"
- Personal austauschen.
- Konzepte der Neos Schritt für Schritt übernehmen.
- "Wir sind die neue ÖVP!"
- "Die Neos? Die haben kein Programm!"
Auch, wenn die ÖVP nach wie vor eine Veranstaltung von Interessensvertretungen ist, die noch immer keine Reformen umgesetzt hat - eine gute Taktik muss man ihnen lassen. Durch (Ankündigen von) Bewegung in den Bereichen Bildung, Steuern, Gesellschaftspolitik liegt Mitterlehner vor dem Bundeskanzler. Okay, das ist nicht so schwer … seine Partei liegt vor der SPÖ. Ja, vor der mit den 300.000 Senioren.
Zu hoffen bleibt, dass die Leute nicht wie ich den Fehler machen, der ÖVP dieses Kopieren abzukaufen und die Neos zu vergessen. Und: Vielleicht setzt die Mitterlehner-Partei sogar wirklich etwas um. Es wäre das erste Mal, dass ich positiv von der ÖVP denken würde. Aber wählen würd ich sie wohl trotzdem nicht.