Es ist also schon wieder passiert. Der rechtsextreme „Einzelfall“ der Freiheitlichen Partei Österreichs Nummer 100.000. Viel wurde darüber geschrieben, vor allem an Rücktrittsaufforderungen und offenen Briefen vonseiten der zahlreichen Anti-FPÖ- und Anti-Strache-Seiten auf Facebook.
Dass die Aussagen von Dagmar Belakowitsch-Jenewein – der Gesundheitssprecherin der FPÖ im Nationalrat – zum Thema Flüchtlinge, unter aller Sau sind, muss man nicht weiter ausführen. Wer fordert, Menschen in Hercules-Maschinen abschieben zu lassen, weil sie da „so laut schreien“ könnten „wie sie wollen“, ist keine würdige Volksvertreterin, sondern zeigt eine zynische und menschenverachtende Einstellung.
Rein taktisch gesehen: Wieso?
Die Frage, die ich mir dabei stelle, ist aber nicht mal mehr, warum Personen wie Belakowitsch-Jenewein für die FPÖ im Parlament sitzen. Ich frage mich viel mehr: Wieso sagt die das trotzdem so?
Wieso trotzdem? Nun ja. Dass Ausländerfeindlichkeit in der FPÖ groß geschrieben wird – metaphorisch gesprochen, denn die Blauen hatten ja schon öfters Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung – dürfte mittlerweile jedem bekannt sein. Mein Lesezeichen-Ordner zu den „Einzelfällen“ ist etwa so groß wie jener zu den Nachrichten zur Finanzkrise in Griechenland. Denn ich werde regelmäßig versorgt. Ob „Erd- und Höhlenmenschen“, „Negerkonglomerat“, „Afrikaner aus der Stadt jagen“ – die FPÖ ist für alles gut, was böse ist.
Und in der Tat hat Hanna Herbst von der „VICE“ auf Twitter ein Video von 2008 geteilt, in dem der heute so staatsmännische Parteichef Heinz-Christian Strache dasselbe fordert wie Belakowitsch-Jenewein. Heute kaum vorstellbar. Denn Strache und seine FPÖ haben einen Wandel vollzogen: Nicht nur das serbische Freundschaftsarmband und die regelmäßigen Discobesuche, nein, das ganze Design der Partei wurde verändert. Man fordert nicht mehr „Daham statt Islam“ und stellt sich damit gegen eine Religion, sondern man ist gegen die „Islamisierung“. Das klingt viel bedrohlicher. Und überhaupt: Man spricht ja nur die Forderungen und Ängste des kleinen Mannes und der kleinen Frau (die man aber nie dazu nennen würde) aus!
Straches Einzelfall-Politik
Auch die „Einzelfälle“ hat Strache in den Griff bekommen. Bei verkraftbaren Fällen wie Erd- und Höhlenmensch („Überspitzt formuliert“ natürlich) Christian Höbart stellt sich Strache hinter jene, die immer noch aussprechen, was die Partei denkt.
In schwerwiegenderen Fällen rudert Strache zurück. Legal hier lebende Ausländer abschieben? War eine Privatmeinung. Eine 88 mitten im Titel der Presseaussendung? Das war die Tochter eines Mitarbeiters. In einer anderen Aussendung mit fünf Rechtschreibfehlern darüber schreiben, wie schlecht Ausländer Deutsch können? Schweigen.
Und mehr noch: Strache hat den sarkastischen Unterton im Wort „Einzelfall“, das als Kritik an seine Partei verwendet wurde, sogar nutzen können. Nun sprechen FPÖ-Politiker auf Facebook selbst von „Einzelfällen“ – allerdings verweisen sie damit auf Verbrechen, die von Migranten begangen wurden. Längst haben sich die Kommentare "Sicher nur ein Einzelfall“ und „War sicher ein Facharbeiter!“ unter Beiträgen der FPÖ, aber auch in den schlecht moderierten Kommentarsektionen des Boulevards – ja, „Heute“, vor allem dich mein ich! – etabliert.
Wir sollten uns Sorgen machen.
Das klappt. Strache schafft den Spagat zwischen „neue Volkspartei“ und „neue Juden“, zwischen Angriff und Verteidigung, zwischen „Partei für den Mittelstand“ und „Protestwähler-Lager“. Während er staatsmännisch im Fernsehstudio von den Problemen der kleinen Leute redet, spricht die Armee an Einzelfällen aus, was sie wirklich denkt. Und zwar, dass Ausländer ein Problem sind, das dringend „weggehört“.
Die FPÖ hat ein Problem mit dem Rechtsextremismus. Straches Taktik ändert nichts daran. Aber es scheint, als würde sie zumindest dafür sorgen, dass es mehr und mehr akzeptiert wird. Wir sollten uns Sorgen machen.