Kinder, studiert unbedingt Politikwissenschaft

Mittlerweile studiere ich ein Jahr. Am Ende des letzten Semesters war ich damit „beschäftigt“, für Publizistik-Prüfungen zu lernen. Nach nur zwei Tagen Lernzeit – der Rest ging für mein „Zweitfach“, aber eigentlich eher Hauptfach, drauf – habe ich den ersten Teil der Studieneingangsphase mit 2er-Durchschnitt bestanden. Dass diese STEOP ein ganzes Jahr damit verscheißt, auf das Fach vorzubereiten, hat mich so genervt, dass ich einen Artikel namens „Kinder, studiert nicht Publizistik“ veröffentlicht habe. Nach einem Jahr wird es auch Zeit für ein paar positive Worte. Kinder, studiert unbedingt Politikwissenschaft.

Es ist ein Unterschied zwischen Publizistik und Politikwissenschaft. Erstere legt großen Wert auf das Attribut „empirisch“ – was sich unter anderem in einjähriger STEOP zeigt, die vor allem Bulimie-Lernen fördert und durch wenige Multiple Choice-Prüfungen abgefragt werden kann. In Politikwissenschaften dagegen geht es eher ums Verstehen.

Mancher aus der Wissenschaft mag jetzt argumentieren, dass Empirie wichtig ist und alles – dennoch finde ich es öde, jedes Wissen sofort quantifizieren zu müssen. So gestalten sich nicht nur die Prüfungen mit offenen Fragen, sondern auch das Lernen an sich interessanter.

Ein Beispiel: Eine übliche Publizistik-Prüfungsfrage lautet: „Welche Begriffe können dem privaten Rundfunksystem zugeordnet werden?“ – die Antworten dazu lauten „Wettbewerb“ und „wirtschaftliche Rentabilität“. Schön und gut, schnell gelernt, muss man sich halt merken. Meine Prüfung in Politik und Ökonomie beschäftigte sich hingegen nicht nur damit, wie hoch die Arbeitslosigkeit in Österreich ist und wie sie berechnet wird, sondern auch, wodurch sie entsteht.

In einer Rechtsvorlesung wiederum war es Aufgabe, zu argumentieren, ob Verfassungsrecht das politischste aller Rechte sei. Klingt sperrig, aber nachdem das auch in der Vorlesung zu einer Diskussion geführt hatte, ist das durchaus eine interessantere Frage als die von Publizistik.

Enter the Matrix

Der wichtigere Unterschied aber ist, dass Politikwissenschaft auch wirklich etwas Neues bietet. Permanent beleuchtet das Fach mehrere Theorien zu einem Thema. Einerseits führt das dazu, dass mich Marx nur noch mehr nervt als vor dem Studium – andererseits bietet es neue Sichtweisen zu Themen, die ins tägliche Denken einfließen.

Es ist wie in „Matrix“, falls das jemand gesehen hat. „Nimm die blaue Pille – die Geschichte endet, du wachst in deinem Bett auf und glaubst, was du auch immer glauben willst. Nimm die rote Pille – du bleibst hier im Wunderland, und ich werde dir zeigen, wie tief das Kaninchenloch reicht“. Das heißt nicht, dass alles eine totale Verschwörung ist – zumindest ist das nicht Gegenstand des Faches. Sondern eher, dass man lernt, über seine eigene Bubble hinauszudenken und Dinge auf andere Standpunkte hin zu hinterfragen. Meine Ansichten zu Feminismus und zu Wirtschaftspolitik haben sich um 180 Grad gedreht. Meine Definition von Freiheit hat sich geändert.

Und auch mein Begriff von Politik hat sich geändert. Denn egal wie sehr ich auch abschalte – es ist einfach alles politisch. Sogar das unpolitisch sein. Ich sehe die Leute mit der „Heute“ und „Österreich“ in der U-Bahn und denke politisch, ich setze alles in Kontext, ich bilde mir ständig neue Meinungen zu Themen. Politikwissenschaft mag nicht das anwendbare Fach sein, das dir auf jeden Fall einen gut bezahlten Job einbringt – aber es bereichert dein Leben ungemein.

Vor dem Studium der Politikwissenschaften hatte ich einige Fragen – ich habe noch nicht viele Antworten, aber noch viel mehr und bessere Fragen. Anders als in Publizistik bereue ich nichts. In diesem Sinne, falls das jemand liest, der gerade maturiert hat: Das wäre meine Empfehlung.

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Veronika Fischer

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fischundfleisch

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