Österreichs Schüler schneiden bei PISA weiterhin schlecht ab. Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt. In Traiskirchen müssen Menschen am Boden schlafen. Hat irgendjemand den Kanzler gesehen?
Vermutlich nicht. Denn zeitgleich mit den vielfachen Problemen Österreichs laufen gerade zwei Wahlkämpfe. Unter anderem die wichtigste Landtagswahl in Wien. Die SPÖ wird ihre Lektion gelernt haben – mit Faymann kann man nur verlieren, am besten (endgültig) ruhig stellen und abwarten. Keine schlechte Taktik, wenn man ihn kennt. Denn so viel man Häupl auch vorwerfen kann – mangelndes Charisma und Feigheit kann man ihm nicht vorwerfen.
Dennoch ist es ein Armutszeugnis, dass der Bundeskanzler nicht mehr zu den bestimmenden Persönlichkeiten der österreichischen Politik gehört. In ein paar Monaten – wenn sich wieder Nachfolger positionieren – wird er sich wohl wieder melden, Strache vorwerfen, zu viel auf Ibiza zu sein, noch mehr Inserate schalten und wieder abtauchen. Ja, so ist er, der Faymann. Unser großer Anführer.
Darf man Führungslosigkeit kritisieren?
Es ist schlicht und einfach zum Kotzen. Ich scheine nicht der Einzige zu sein, der eine schlechte Meinung von unserem Kanzler hat – wer ihn denn überhaupt noch kennt. Mein Offener Brief an Werner Faymann ist mein meist geteilter Beitrag und hat recht hohe Wellen geschlagen – sein damaliger Pressesprecher und heutiger SPÖ-Kommunikationschef Euler-Rolle hielt es für angebracht, eine Stellungnahme zu veröffentlichen.
Jetzt stellt sich nur die Frage, wie wir mit der Führungslosigkeit unseres Landes umgehen. Die meisten fordern Neuwahlen, viele einen HC Strache als Nachfolger im Bundeskanzleramt. Die momentane Bundespolitik ebnet letzterem Szenario den Weg.
Deshalb argumentieren viele, man dürfe doch nicht immer alles schlecht reden. Wenn ich den Kanzler kritisiere, mache ich Wahlwerbung für die FPÖ und bin selbst schuld, wenn ich irgendwann mal in einer rechten Diktatur lebe. Fair enough – Kritik an der Regierung ist Werbung für die Opposition. Aber ich sehe nicht ein, dass man nicht kritisieren soll, wenn die demokratisch legitimierte Volksvertretung ihren Job nicht ausreichend erfüllt. Man darf und muss Führungslosigkeit kritisieren.
Globaler Trend zur Lustlosigkeit
Aber anstatt erneut Kanzler-Bashing zu betreiben können wir uns auch fragen, warum Österreich führungslos ist. Wie kann es sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt und einem der stabilsten Länder Mitteleuropas, das vor Jahren noch von Deutschland als Vorbild genannt wurde, das Chaos regiert und eine Regierungsspitze sämtlichen Führungsanspruch aufgegeben hat?
Es ist sicher eine Mischung aus generellen globalen Trends und innerösterreichischen Gründen. Dass Regierungen den Stillstand verwalten und bei jeder Aktion – auch außenpolitisch – auf ihre Wahlergebnisse schauen, ist kein allein österreichisches Phänomen. Ähnlich traurig wie unser „selbst erzeugter Pseudo-Notstand“ in Traiskirchen ist, dass Großbritannien jeden Anspruch auf die Gestaltung der Weltpolitik aufgegeben hat. Oder dass die Eurozone im Fall Griechenland neue Ansätze nicht einmal andenken will. Oder dass im Wahlkampf des wohl wichtigsten Staates der Welt – den USA – keine politischen Grundsatzdebatten mehr stattfinden, sondern durch „Big Data“ personalisierter Wahlkampf geführt und Geld in Milliardenhöhe verbrannt wird.
In Österreich gibt es noch mehr Gründe für den Stillstand, der nicht sein müsste – und den wir uns auch nicht mehr leisten können. Neben dem generellen Trend, dass Machterhalt und Sonntagsfragen wichtiger zu sein scheinen als politischer Gestaltungsanspruch, kommen in Österreich strukturelle Verflechtungen dazu, die Außenstehenden schwierig zu erklären sind.
Eine Diskussion wird unmöglich gemacht
In jedem modernen, westlichen Verfassungsstaat muss man mehrere Interessen berücksichtigen, wenn man Politik macht. Bei uns allerdings muss man bei einer Wortmeldung bereits die Interessen von Gewerkschaften, Bünden, Vorfeldorganisationen der Parteien, Parteijugenden, Bundesländern und Koalitionspartnern berücksichtigen. Und natürlich muss man darauf achten, was die populistische Opposition plant – die könnte ja alles ausschlachten. Kaum wird eine – ohne Scheiß, irgendeine – Idee geäußert, wird sie von allen Seiten torpediert.
Beispiele gefällig? Wenn die Neos ihren Wahlkampf ehrenamtlich erledigen lassen, ärgert das die Gewerkschaft. Die Gewerkschaft. Würden sie dafür Geld zahlen, würden sie vermutlich zu wenig zahlen. Und wenn nicht, dann würden sie „Steuergeld verbrennen“. Ähnlich zynisch läuft die „Diskussion“ zur Pensionsreform ab – man fordert (vernünftigerweise), dass das Pensionsalter an die Lebenserwartung gekoppelt werden solle. Und sofort kriechen alle Berufssesselfurzer aus ihren Ecken und torpedieren diese Idee. Ein echter politischer Diskurs, wie wir ihn zur Zeit großer europäischer wie amerikanischer Politiker hatten, ist längst unmöglich geworden.
Leadership gesucht
Natürlich sind also die Umstände mit daran schuld, dass „die Politiker“ so generell nichts mehr zusammen bekommen – oder dass zumindest dieser Eindruck entsteht. Dennoch muss man an ein Staatsoberhaupt den Anspruch stellen können, da drüber zu stehen und den Job zu machen. Vermutlich sind deshalb auch Manager oft als bessere Kanzlerkandidaten verschrien.
An dieser Stelle möchte ich mich weder für Neuwahlen, noch für Strache aussprechen. Ich denke, es bräuchte einfach einen neuen Leader. Und zwar einen echten – nicht einen Parteisesselfurzer, der sich durch etablierte Strukturen nach oben geschlafen hat und nun weiter verwaltet. Ohne jeden Anspruch, das Leben der Menschen in Österreich besser zu machen.
Ein echter Leader muss die Qualität haben, unpopuläre Maßnahmen zu entscheiden und auch einmal alleine zu stehen. Er muss das Spiel mit der Macht beherrschen, aber sich gleichzeitig nicht überall einschränken lassen. Das gilt selbstverständlich genauso für Frauen – vermutlich wäre es sogar eine gute Idee, eine Frau das Land führen zu lassen, das momentan von neun Landeshauptmännern und zwei männlichen Parteichefs geführt wird, die von einem Parteichef der Opposition vorgeführt werden.
Obama macht dieses Leadership gerade (ansatzweise) am Ende seiner Amtszeit vor und droht seiner Opposition jedes rechtliche Veto an, um seine Anliegen „Klimaschutz“ und „Iran-Deal“ umzusetzen. Nicht zufällig passiert das genau am Ende – aber es passiert. Auch Faymann ist schon lange am Ende und hat genau nichts mehr zu verlieren – auch er könnte endlich versuchen, Leadership zu zeigen.
In diesem Sinne plädiere ich dafür, dass die echten Leader des Landes sich wieder für Politik begeistern und den etablierten Verweigerungs-Konsens aufzubrechen. Ich weiß, dass es diese Persönlichkeiten gibt – aber noch meiden sie die Politik. Aufwachen, Leute – wir brauchen euch.