Sehr geehrter Bundeskanzler Christian Kern
First things first. Sie sind nicht so schlimm wie ihr Vorgänger. Den Tag, als Werner Faymann abtrat, werde ich noch lange als einen sehr glücklichen im Gedächtnis behalten. Es tat gut, neben Reinhold Mitterlehner wieder jemanden in der Regierung zu haben, dem es im Spiel mit der Macht um Politik zu gehen schien. Ich wollte zwar nicht ganz auf den Hype um Ihre Person und den abermaligen „Neustart“ aufspringen – aber ich hatte dennoch ebenfalls Hoffnungen in Sie.
Ihre Reden gefielen mir. Ihr Sager zur „Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit“ wird immer wieder gerne zitiert, und Ihre Entschuldigung für die SPÖ bei der Vorstellung der „Plan A“ rechne ich Ihnen hoch an. Es gab viele gute Worte und Reden von Ihnen. Man hatte das Gefühl, dass Sie den Zuständen, die Österreich so schaden, den Kampf ansagen würden. Und auch, wenn ich ideologisch nicht wirklich in die SPÖ-Klientel passen mag: Ich sage auch offen, dass ich den Kern ganz cool finde. Denn ich bin für diesen Kampf.
Aber heute ist es wieder so weit. Heute bin ich wieder so frustriert wie damals, damals wegen Faymann, heute wegen Ihnen, Herr Kern. Denn ein Antrag der NEOS, der Wort für Wort aus Ihrem eigenen „Plan A“ stammte, wurde von Ihrer eigenen Partei abgelehnt.
Die Situation muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die SPÖ ist seit Jahren in einer sinnlosen und verheerend tatenlosen Zwangsehe gefangen. Ihre „Soziale Gerechtigkeit“-Forderungen werden von der ÖVP entweder abgelehnt oder durch teure, unfassbare Kuhhändel erkämpft. In der Flüchtlingspolitik hat sich die SPÖ längst vom „Team Haltung“ (das im Wien-Wahlkampf ein Bollwerk gegen die FPÖ war) abgewandt, und der Innenminister Ihrer Regierung ist eine Gefahr für die Grundrechte. Das ist keine Lage, in der man die eigenen Vorschläge ablehnt.
Das ist eigentlich eine Lage, die sich eine Partei mit Idealen und ein Mann mit Format nicht gefallen lassen muss. Längst hätten sich nicht nur die Journalisten des Landes, sondern auch die Bürger, Neuwahlen erwartet. Von 15 Mitgliedern der Bundesregierung sind nur noch fünf seit 2013 dabei. Der Rest wurde schlechten Umfragewerten geopfert und munter herumverschoben. Kurz: Die Regierung ist nicht wiederzuerkennen.
Ihre guten Umfragewerte, aber auch Ihre Ideale wären ein guter Anhaltspunkt gewesen, auf einen Neustart zu hoffen. Und zwar nicht auf einen Neustart á la SPÖ-ÖVP. Auf einen Neustart, bei dem die SPÖ das Heft in die Hand nimmt, sich auf sozialdemokratische Werte zurückberuft und den Anspruch erhebt, mit Abstand stärkste Partei zu werden. Eine progressive Politik zu machen. Eine echte Entschuldigung für das Dilemma zu liefern, das die SPÖ seit guten zehn Jahren darstellt.
Aber nein. Sie machen weiter. Die Koalition beleidigt sich, blockiert sich in wichtigen Reformfragen, richtet sich Inhalte über die Medien aus und enttäuscht die Wähler auf ganzer Linie. Der Stillstand ist nicht mehr ganz so schlimm wie unter Werner Faymann – aber nicht nur das zu geringe Ausmaß an echter Politik, sondern vor allem diesen politischen Stil will längst keiner mehr.
Wer profitiert davon? Sicher nicht Sie. In Umfragen wird „Kanzler Kurz“ schon als fixe Nummer 1 gesehen, Sie hingegen wirken immer verbrauchter, da keine Veränderung spürbar ist. Nutznießer ist nicht nur Kurz, sondern auch Wolfgang Sobotka, der ohne jegliche Grundlage mit seinem Überwachungspaket unsere Freiheit beschneiden will. Ich fürchte, Sie werden das zulassen. Genau, wie Sie eben alles zugelassen haben. Sogar, dass Ihre Partei Ihr eigenes Programm im Ausschuss vertagt.
Ich hatte wirklich große Hoffnungen in Sie, Herr Kern. Mehr, als ich anfangs in meiner grundlegend skeptischen Rolle als Journalist zugeben wollte. Aber die habe ich wieder verloren. Mit dieser ÖVP ist kein Staat zu machen. Und mit einer SPÖ, die so weit weg von irgendetwas ist, das man echte Politik nennen kann, erst recht nicht.
Die einzige Lösung, Herr Kern, die ich subjektiv sehe, wird Ihnen nicht gefallen. Denn es sind wieder einmal Neuwahlen. Auf das große Reformprogramm, auf die große Einigung und den wirklich echten Neustart der ÖVP brauchen Sie nicht mehr zu hoffen – und selbst wenn, wären anderthalb Jahre zu wenig, um die letzten Jahre in den Augen der Bevölkerung wettzumachen. Sich jetzt mit dem anzulegen, wovon ich glaube, dass Sie es auch ablehnen – der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit – sehe ich als letzten Ausweg für eine SPÖ, die sich selbst ernst nimmt.
Natürlich wird dieser Vorschlag nicht durchgesetzt. Vielleicht erreicht er Sie nicht einmal. Anders als beim letzten Mal werde ich Ihnen diesen Brief auch wirklich schicken und hoffen, dass Sie sich Gedanken machen, wie Sie aus dieser Koalition ausbrechen können. Ich weiß, dass Sie das ähnlich sehen. Aber ich fürchte, auch Sie werden an den Zwängen der Politik scheitern. Sie haben verloren, Herr Kern.
