Wenn man irgendwann auch hauptberuflich Politik-Journalist werden will, muss man sich einiges antun. Neben meiner freiberuflichen Arbeit gehören dazu zwei Studien und sehr viel Social Media.
Dabei stößt man nicht nur auf die politische und journalistische Elite Österreichs, sondern ab und zu immer noch auf Leute, die man irgendwann ohne großes Politisieren in einer Bar kennengelernt hat. Die sind ein sehr gemütlicher Ausgleich zu jenen, die einfach kein lustiges Bild genießen können, ohne etwas Politisches dazu zu sagen.
Mittlerweile bin ich es gewohnt, jeden Tag über irgendetwas zu diskutieren. Muss nicht immer wichtig oder nützlich für mich sein. Ist oft nur der Laune wegen. Aber was mich mehr und mehr an letztgenannten Personen - die eben das politische Interesse meinerseits nicht teilen - ankotzt, ist dieser eine Spruch, der sich durch die Gesellschaft zieht:
"Scheiß Politiker!"
Was soll man dazu noch sagen? Ich prangere hier auf Fischundfleisch auch regelmäßig Politiker an, manche sogar persönlich - aber ich würde nie so weit gehen, einen ganzen Berufsstand per se zu diskreditieren.
Vor allem nicht den des Politikers. Denn ich habe eine Hochachtung vor diesem möglicherweise wichtigsten aller Berufe.
Politiker ist nämlich kein Beruf wie jeder andere. Politiker wird man nicht eben, indem man die Ausbildung dazu macht. Manche Unpolitische reagieren schockiert darauf, dass es das nicht gibt - viele denken nach wie vor, ich studiere Politikwissenschaft, weil das die Voraussetzung ist, um später in die Politik zu gehen. Politiker aber sind Menschen wie wir alle. Der Unterschied ist, dass sie die Missstände in unserer Gesellschaft (worunter jeder Politiker etwas Anderes verstehen dürfte) nicht mehr hinnehmen und selbst etwas verändern wollen.
Viele Politiker in Österreich sind Berufspolitiker. Sie sind von klein auf bei einer Partei - meist bei einer der ehemaligen Großparteien - und arbeiten sich hoch. Gemeinderat, Landesregierung, Nationalrat - so könnte eine Karriere in der Politik zum Beispiel aussehen. Dabei gibt es viel mehr Institutionen, die (auch parteipolitisch) besetzt gehören: Die zahlreichen Bünde der Sozialpartnerschaft, die quasi Kleinorganisationen der Regierungsparteien sind. Die "unabhängigen" Institute. Banken und andere Unternehmen, denen eine gewisse Nähe zu Parteien nachgesagt wird. Und nicht zuletzt die zahlreichen Arbeitsgruppen, Think Tanks und (offiziellen) Parteiorganisationen.
Ich denke, dass das eine Entwicklung ist, die zu diesem "Scheiß Politiker" geführt hat. Auch mit dabei spielen sicher echte politische Standpunkte. Die Hitlergrüße und Hetzereien mancher rechter Politiker schrecken mich ab. Viele andere reagieren erbost, wenn die Grünen vorschlagen, Diesel höher zu besteuern. Steigende Gehälter für Politiker, höhere Steuern auf Tabak und Schaumwein, die Hypo Alpe Adria - das sind alles Themen, die bei vielen der oft genannten "gewöhnlichen Menschen" negative Emotionen hervorrufen.
Dass dasselbe Parlament am U-Ausschuss zur Hypo arbeitet, wissen sie oft nicht. Dass im Parlament auch schlaue Anträge in Sachen Bildungsreform landen (und leider viel zu oft von einer Klubzwang-Mehrheit der Koalition abgewehrt werden), wissen sie auch nicht. Wenn der junge Julian Schmid, Nationalrat der Grünen, mit Lehrlingen redet, bekommt das keiner mit - in der öffentlichen Wahrnehmung sind Politiker nach wie vor geldgeile, egoistische Säcke, die das Volk schröpfen und unterdrücken.
Dabei würde vermutlich keiner mehr "Scheiß Politiker" schreien, wenn man sich mit den Parteien Österreichs auseinandersetzen würde. Es gibt inklusive Kleinparteien eine recht akzeptable Auswahl in Österreich, die meisten Meinungsspektren werden parteipolitisch bedient. Das wissen leider nicht alle. Und viele schreien da nach wie vor "Scheiß Politiker" - und können nicht einen von ihnen nennen. Sie wissen nicht, wie der Bundespräsident heißt - aber sie wissen, dass ausnahmslos alle Politiker scheiße sind. Woher sie das wissen, ist unwichtig - denn sie fühlen, dass es stimmt. Und es sagen immerhin auch alle.
Es gibt Scheiß Politiker in Österreich. Was das ist, mag jeder für sich entscheiden, aber man kann Inkompetenz in gewissem Ausmaß nicht leugnen - siehe Steuerreform. Dennoch: Die meisten Politiker haben meinen Respekt für ihre wichtige Arbeit - gerade, wenn sie eigentlich aus der Privatwirtschaft kommen und sich schon vorher etwas aufgebaut haben. Ich unterstelle beinahe jedem Politiker nur beste Absichten bei dem, was er tut - auch, wenn ich nicht immer einverstanden bin. Und ich würde mir wünschen, dass mehr Leute, die ich mal in einer Bar kennengelernt habe, sich mit Politik beschäftigen würden. Denn Politikverdrossenheit - das ist Teil vom Problem.