Am Donnerstag war ich zu Gast beim zweiten Semifinale des Eurovision Song Contests. Ein Event, das viel gescholten wird. Am Samstag war ich dann bei einer Song Contest-Party und feierte den Sieg der Schweden. „Da kann eh keiner singen“ hört man von Leuten, die den Contest nicht verfolgen. Viele reduzieren den Wettbewerb auf Windmaschinen, nuttige Outfits und pseudoromantische Balladen.
Ich habe ein Problem damit. Auch mit so einigen Beiträgen, die hier auf fischundfleisch zum Thema veröffentlicht worden. Und zudem mit denen, die sich nicht mit der Geschichte und dem Sprit des Song Contests auszukennen, aber gleichzeitig haten. (ja, haten – wenn ich über Pop-Themen schreibe, kann man dieses Wort mal auspacken, oder?)
Also gestern live in der Stadthalle. Bei einem Contest, mit dem ich aufgewachsen bin – meine Mutter ist ein riesiger Fan und so kenne ich auch die alten Klassiker wie „Fly on the wings of love“, „Ein bisschen Frieden“ oder „Dancing Lasha Tumbai“ … auch wenn Letzteres eher einer meiner persönlichen Lieblinge ist. Für mich als angehenden Polit-Journalisten steht natürlich immer die politische Dimension des Song Contests im Vordergrund – auch, wenn ich die tollen Bühnenshows (OMG, Schweden anyone?!) natürlich genießen konnte.
Und jetzt sagen Leute „Was, nein, der Song Contest ist nicht politisch. So ein Scheiß. Man kann überall Politik reininterpretieren, wenn man so ein Nerd ist“. Das Letzte ist richtig, der Rest falsch. Eher war der Song Contest immer schon politisch. Das „Russia Goodbye“ im oben angesprochenen ukrainischen „Dancing Lasha Tumbai“. Und bei „Ein bisschen Frieden“ allein der Titel. Das alles ist aber nichts gegen die Story, dass der portugiesische Beitrag 1974 zum Sturz der salazarischen Diktatur durch das Militär führte. Das Lied war eines von zwei öffentlichkeitswirksamen Signalen zum Putsch.
Auch das Voting ist politisch. Böse Zungen sagen, dass Serbien 2007 nur durch die 12 Punkte aller ex-jugoslawischen Lieder gewinnen konnte. Seitdem werden die Teilnehmerländer in den Semifinali aufgeteilt, um sicherzustellen, dass Lieder eine gewisse internationale Qualität haben müssen.
Die Votes dieses Jahr sprachen eine eindeutige Sprache: Russland bekam vor allem von den osteuropäischen und asiatischen Ländern viele Punkte. Die Halle jubelte, als Georgien Russland nur wenige Punkte zusprach. Litauen verzichtete gar auf eine Punktevergabe – vor kurzem hat das baltische Land die Wehrpflicht eingeführt, aus Angst vor Russland. Und wie auch sonst bekam der serbische Beitrag Big Points aus dem Balkan. Vorhersehbar.
Der Song Contest ist also durchaus politisch. Und das ist absolut nicht schlimm. Denn während man sich bei diesem Event trifft, vergisst man schnell die ganzen Rivalitäten – die Halle tobte, als beim zweiten Semifinale als letzter Beitrag Israel aufgerufen wurde. Ein Land, das politisch eher wenige Sympathien genießt. Der Eurovision Song Contest steht für Toleranz.
Leider kann man das von Europa nicht sagen. Während dem „Building Bridges“-Wettbewerb mussten Flüchtlinge in Österreich in Zelten schlafen, weil die Aufteilung auf die Bundesländer nicht funktioniert. Während homosexuelle Ampelpärchen nach Wien kommen und nun auch in Salzburg geplant sind, wird dort wieder das Bettelverbot eingeführt von drei Parteien, die eigentlich alle drei die FPÖ sind. Und während Europa ein Fest des Friedens und der Toleranz feiert, benimmt sich Europa blamabel, was genau das angeht – mit xenophoben Parteien und einer feigen, zynischen Flüchtlingspolitik.
Ein Wehmutstropfen: Der schwedische Sänger, der den Song Contest gewonnen hat, bedankte sich in einer Pressekonferenz beim „Gay-Publikum“, nachdem er vorhin als homophob verschrien war. Und im katholischen Irland wurde mit klarer Mehrheit die Homo-Ehe per Volksentscheid durchgesetzt. Es ist nicht alles schlecht in Europa. Dennoch ist es wichtig, dass Veranstaltungen wie der Song Contest auch eine politische Bühne bieten, um ein großes Publikum auf gewisse Reizthemen aufmerksam zu machen.