Da haben wir es ja! Ein längst verloren geglaubtes Gut unserer Gesellschaft, die Demokratie, ist immer noch da und lebt.
Wieso ich das schreibe? Ganz einfach. Auf Facebook habe ich viele, viele Kommentare zu meinem Blog bekommen, viele davon kritisieren, viele davon bestätigen. Und ich kann aus tiefster Überzeugung sagen: Ich freue mich über jeden einzelnen davon von ganzem Herzen. Denn jeder einzelne Kommentar, ob hier oder auf Facebook zeigt, dass unsere Demokratie, trotz aller Bemühungen der Politiker, noch lange nicht tot ist.
Die Grundidee der Demokratie, der Herrschaft des Volkes, bestand seiner Tage darin, Vertreter in ein Parlament, eine Volksversammlung, richtiger, eine Versammlung der Vertreter des Volkes (81 Mio. Menschen passen auch kaum in einen Raum ;) ) zu entsenden. Die Aufgabe der Vertreter war es, die Meinung derer zu vertreten, die ihn oder sie dazu auserkoren hatten, dem ihm oder ihr vertraut wurde, die Meinung der Wähler, des Volkes, zu vertreten.
Soweit die Theorie.
Das schwierige daran war und ist jedoch, diese Meinungen dann, so unterschiedlich sie auch seien oder sind, "unter einen Hut" zu bekommen, aus der Vielfalt der Meinung eine Richtung zu bilden, einen Weg zu finden, auf dem dann alle geeint mitgehen. Dafür muss freilich jeder ein Stück weit von seiner Meinung abrücken und sich auf das Gegenüber zubewegen. Aber in einer "perfekten" Demokratie sollte auch dies möglich sein.
Soweit die Theorie.
Schaue ich mich in meinem Land um, meinem Land, auf das man zurecht stolz sein kann, wie viele sagen, deren Meinung ich auch ganz klar teile, dann sehe ich ein Land, dass nach der größten humanitären Katastrophe des vergangenen Jahrhunderts, dem Zweiten Weltkrieg mit aber und aber Millionen von toten Menschen (wir hören Juden, wir hören Russen, wir hören amerikanische GIs, aber zum Erstaunen vieler gab es auch Millionen tote deutsche Zivilisten - und alle waren Menschen!), mit Hilfe von außen und dem Mut der Menschen von innen, aus Ruinen zu altem Glanz gefunden hat. Eine innovative Wirtschaft, brillante Wissenschaftler, exzellente Philosophen, mutige Forscher..., die Liste ist nahezu unendlich verlängerbar.
Schaue ich mich in meinem Land um, dann sehe ich tausende und abertausende Menschen, die freiwillig ehrenamtlich und aus eigenen Mitteln sich derer annehmen, die zu uns kommen, um Schutz vor Krieg, Tod, Verderben, Verfolgung, aber auch vor Armut und menschenunwürdigen Lebensumständen suchen. Diese Bilder sind so unendlich schön, jeder kann sehen, jeder kann dabei mitmachen, Menschen ein Stück ihrer Würde zurückzugeben, die sie, warum auch immer, in ihrer Heimat unter Trümmern oder Müll vergraben hatten.
Schaue ich mich in meinem Land um, dann sehe ich Menschen, die demonstrieren, die sich gegen Asyleinrichtungen wehren, ja sogar Menschen, die diese niederbrennen und "Ausländer raus" skandieren.
ABER: es sind alles Menschen! Und für mich, wie für jeden anderen gilt als höchste Rechtsnorm: das Menschenrecht! Wer dagegen verstößt, gehört bestraft, jeder einzelne, ob braunes "Pack" oder Politiker im Anzug, jeder einzelne.
Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts habe ich mich oft mit meinem damals noch lebenden Opa über den "Krieg" (wie er sagte) unterhalten, da man ja auf dem Gymnasium sehr ausführlich darüber unterrichtet hat. Er hat nicht viel darüber geredet. Ich denke, er hat als Unteroffizier im Russland-Feldzug genug Grauen gesehen, dass es für mindestens fünf Leben reichen sollte. Aber einen Satz habe ich nie vergessen
"Ich habe dem Arschloch aus Braunau vertraut."
Und dieser Satz, genau diesen einen Satz, kann ich heute auf die Gegenwart transferieren. Denn ich habe auch jemandem vertraut, war sogar Parteimitglied, und muss eigentlich nur Braunau durch Uckermark ersetzen.
Ich selber war es, der es zugelassen hat, eben diesen Grundgedanken der Demokratie, nämlich Vielfalt der Meinungen, die man zu einem Konsens führt, in die Hände derer zu legen, die ihn zerstören.
Ich selber war es, der es zugelassen hat, dass die Vertreter unserer Meinung, die Vertreter des Volkes eben diesem Volk ihre eigene Meinung vordiktieren und uns sagen, was wir zu sagen und zu denken haben.
Ich selber war es, der zugelassen hat, dass unsere führenden Politiker nun bestimmen, wer "helles Deutschland" und wer "Dunkeldeutschland" ist.
Und ja, dafür schäme ich mich!
Ja, ich schäme mich dafür, es zugelassen zu haben, dass die Grundwerte einer Demokratie Stück für Stück der Macht und Gier der politischen Elite zum Fraß vorgeworfen werden.
Ja, ich schäme mich dafür, nicht schon viel früher den "braunen Mopp", den linken "Extremist", den freiwilligen ehrenamtlichen Helfer und den Flüchtling genau da abgeholt zu haben, wo er steht, und mir ihre Meinung, ihre Sorgen, ihre Ängste und ihre Hoffnungen angehört zu haben und daraus mit allen zusammen den einen Weg gefunden zu haben.
Denn wir sind alle Menschen und alle der m.E. höchsten Rechtsnorm der Welt verpflichtet, dem Menschenrecht. Und wir haben uns nicht spalten zu lassen in Gut und Böse, in Hell und Dunkel, in Willkommen und Nicht-Willkommen, wie es die Politik mit aller Macht versucht. Wir sind 81 Millionen MENSCHEN! in unserem Land.
Und genau das hole ich jetzt nach. Denn wer im September 2015 in Deutschland noch glaubt, die Politik will und wird diese Aufgabe schaffen, der sollte dann wirklich über den Satz "Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein!" nachdenken.