Alles eine Frage der Perspektive von Schuld und Moral

Nichts ist nur schwarz und weiß. Und schon gar nicht ein Krieg. Es gibt Helden auf beiden Seiten. Immer. Ebenso Verbrecher. Immer.

Dass Barack Obama als erster US-Präsident mit seiner Kranzniederlegung in Hiroshima so etwas wie symbolische Wiedergutmachung geleistet hat, ist bemerkenswert, auch wenn der Akt offiziell natürlich nur ein Gedenken an die Opfer war und nie die Rede war von einer Art Entschuldigung oder „Verpflichtung zu einer historischen Verantwortung“. Warum auch? In den USA gelten die Atombombenabwürfe als nichts sonderlich schwerwiegendes. Sie waren ein gutes Mittel den Krieg ohne langes Federlesen zu beenden. Außerdem liegt es vielleicht auch im US-amerikanischen Selbstverständnis, prinzipiell auf der „guten“ Seiten zu stehen, egal was sie tun. Ist dies bei aktuellen Konflikte nachvollziehbar, das macht schließlich jede Kriegspartei, ist es gerade bei den USA schon richtiggehend pathologisch auch noch Jahrzehnte im Nachhinein ihre Kriegsbeteiligungen unter romantisch-verklärte, trotzige „Wir haben das Richtige getan!“-Erklärungen zu stellen. Dies ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass sie aus den meisten ihrer Konflikte als reale Sieger hervorgingen. Wie heißt der schon abgedroschene, aber nichtsdestoweniger wahre Spruch: Die Sieger schreiben die Geschichte. Aber selbst bei den objektiv betrachteten nicht wirklich koscheren Aktionen und schlichten Kriegsverbrechen berufen sie sich immer auf die moralische Instanz und es wirkt in der Öffentlichkeit: Sie sind die Speerspitze gegen die britische Unterdrückung, die Sklaverei, den Kolonialismus, den Nationalsozialismus, den Faschismus, den Kommunismus, den Islamismus,... Wie könnte man also erwarten, dass die „größte Nation der Welt“ Eingeständnisse macht, sich falsch oder zumindest nicht moralisch richtig verhalten zu haben? Und es wirkt. Liest man die Meinungen in sozialen Netzwerken, wohlgemerkt nicht-amerikanischer Stimmen, so ist der sehr einheitliche Tenor die Übereinstimmung mit der amerikanischen Variante der Darstellung. Warum sich entschuldigen für etwas, das gerechtfertigt war?

Der Krieg ist so ausgegangen wie er ist, daher sind die Gewinner keine Kriegsverbrecher, die angeklagt wurden und die Verlierer schon, wie Curtis LeMay schon nüchtern festgestellt hat. Dass sich dieses schlichte Schwarz-Weiß-Denken allerdings bis heute immer noch so stabil hält, ist ein (weiteres) Armutszeugnis für den Menschen. Es sollte nach dieser Zeitspanne möglich sein, die Ereignisse differenzierter, unemotionaler und distanzierter zu betrachten. Das dies nicht möglich scheint, erkennt man immer wieder in der Öffentlichkeit der deutschsprachigen Kriegsverlierer, wo man im besten Fall schief angesehen wird, wenn man die damalige Zeit nicht einhellig als absolutes Verbrechen betrachtet, sondern in Relation setzt zu anderen Kriegen, anderen Kriegsteilnehmern, anderen Kriegsverbrechen. Im schlimmsten Fall begibt man sich auf strafrechtliches Gebiet. Zudem wird man immer noch vom Nimbus des Bösen umgeben, wie man an den allgemeinen Reaktion auf die österreichische Präsidentenwahl sieht. Die Welt oder zumindest Europa begab sich in gesteigerte Vigilanz. Man hatte aufzupassen, dass da kein Unheil herauf zieht, während auf der anderen Seite des Teichs mit Donald Trump jemand gefährlicherer in Begriff ist, ein Amt unsicher zu machen, das etwas mehr Macht in sich vereint als das des österreichischen Bundespräsidenten.

Trump ist auch sowas wie eine amerikanische Atombombe. Er steht auf der amerikanischen, der guten Seite und ist dadurch nicht moralisch anfechtbar. Wunderbarer Zirkelschluss, dem die allgemeine Weltöffentlichkeit allerdings zu folgen scheint. Zumindest gibt es noch keine weltpolitische Achtsamkeitserhöhung ob des bisherigen politischen Durchmarsches Trumps. Allein durch seine Aussagen und Reden zeichnet sich ein Bild ab, was zu erwarten wäre, würde dieser Mann mächtigster der Welt werden. Ein Demagoge und Populist der schlimmsten Sorte. Mir bereitet Trump mehr Sorgen als es ein Strache je könnte. Wäre Trump nur ein klassischer Figurehead mit wenig politischer Macht, würde er mich genausowenig tangieren, wie wenn wir jetzt Hofer als BP hätten.

Ich hab mal in einem anderen Blog gemeint, ich würde, um die Gefahr durch den IS für die europäische Zivilbevölkerung versuchen zu reduzieren, auch eine französische Atombombe als letztes Mittel zur Wahl gerechtfertigt finden. Wo ist das jetzt besser, als die amerikanischen Bomben, die ich hier für nicht gerechtfertigt halte? Nun ja, in ihrer Wirkung gar nicht. Dessen muss man sich schon bewusst sein. Eine Nuklearexplosion ist eine Nuklearexplosion. Die wird nicht rosaner, weil sie womöglich gerechtfertigt ist und kostete auch genug Menschen das Leben. Simple as that. Ich sehe nur die Umstände als andere an. Pearl Harbor war ein Überraschungsangriff, der zwar viele Tote zu beklagen hatte, aber vor allem eins tat, die USA in ihrer geglaubten Unverwundbarkeit zu treffen, die den schlafenden Riesen nur zu Rache für die erlittene Schmach antrieb. Zudem war es ein Angriff auf ein militärisches Ziel. Natürlich waren auch Zivilisten unter den Opfern, die sich in der Militäranlage aufhielten, aber es hätte auch die knapp neben Pearl Harbor liegende Staat Honolulu treffen können. Während die Atombombenabwürfe zu Ende des Krieges vorwiegend zivilen Opfern das Leben kostete und es eine Machtdemonstration sein sollte, wozu die USA in der Lage sind. Es ging nur noch um ein radikales Alles oder Nichts Spiel, in dem moralische Bedenken keinen Platz mehr hatten. Die Ausmaße, Radikalität und das Abwägen gegenüber anderen Lösungen stehen in keinerlei Verhältnis zueinander. Aber das sage ich, aus 70 Jahren Entfernung, nicht betroffen und fähig darüber unemotional zu reflektieren. Bei einer heutigen gefordeten Bombe auf den IS bin ich nicht unemotional, distanziert und unbetroffen. Es ist aktuell und ich fühle mich als potenzielles ziviles Ziel, hielte es für gerechtfertigt, aber bin mir der Auswirkungen bewusst und auch der Tatsache, dass es in 70 Jahren Leute gäbe, die so ein Vorgehen für genauso barbarisch, unangebracht und moralisch nicht im Geringsten gerechtfertigt halten würden.

Man sollte nicht in die Versuchung kommen, damalige Ereignisse unter heutigen Gesichtspunkten moralisch zu beurteilen. Ich halte die amerikanischen Atombomben im Vergleich zu den japanischen Kriegsaktivitäten gegen die USA für nicht gerechtfertigt und bleibe auch dabei, es wird aber durch die Betrachtung aus damaliger Sicht zumindest nachvollziehbarer. Aber deswegen waren die Japaner keineswegs unschuldige Lämmchen. Man muss nur Schlagworte wie Nanking oder Einheit 731 bedenken. Dasselbe trifft auch auf den europäischen Kriegsschauplatz zu. Und träfe auch auf heutige Aktionen gegen den IS zu. Oder auf andere moralisch sehr ambivalente Aktionen: Falls wir doch einen US-Präsidenten Trump bekommen sollten, wie steht die Welt eigentlich derzeit zur Moral eines ethischen Tyrannenmordes…? Es ist halt alles nicht nur schwarz und weiß…

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fischundfleisch

fischundfleisch bewertete diesen Eintrag 31.05.2016 23:07:52

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