Was lernen wir eigentlich aus Paris? Eigentlich nur eine einzige Sache: Sicherheit, wie es uns gern im alltäglichen Leben vorgespielt wird, ist eine Illusion. So einfach ist es.
Ich will mich hier nicht in Anschuldigungen gegen den IS ergehen, nicht auf Verschwörungstheorien bauen, wahr oder nicht, die dahinter ein Netzwerk aus Lobbies in den USA sieht, nicht die Politiker, die sich wieder in kollektivem Schulterschluss zeigen und alles "verurteilen" verabscheuen, kein pathethisches "Je suis Paris" rufen, nicht die Zaunbauer verdammen, weil sie jetzt noch mehr gegen Flüchtlinge und Moslems hetzen werden und weitere Abschottung wünschen und nicht die unbelehrbar Offenherzigen und Gutgläubigen schelten, die meinen alles wird gut, wenn man den Bösen nur ein Hand nach der anderen reicht, die sie ausreißen können.
Ich will einen negativen Ausblick auf die Zukunft geben, auf die Fragilität unserer schönen, neuen Welt.
Terroranschläge in Europa sind echt nichts Neues. Sie passieren in schöner Regelmäßigkeit und dennoch reden wir uns immer wieder ein: Uns wird es nicht treffen. Madrid 2004, London 2005, Paris erst Anfang des Jahres und jetzt wieder. Und damit man nicht glaubt, es seien immer nur die Islamisten: Moskau 2010 und 2011 und Oslo 2011. Und es wird wieder passieren. Sicher. Und es wird uns wieder "unvorbereitet" treffen. Nach jedem Attentat wurden die staatlichen Sicherheitsmaßnahmen verschärft. Videoüberwachungen, Datenspeicherungen, Kommunikationsüberwachung, von allem und jedem, weil es könnte ja ein potenzieller Täter dabei sein. Und siehe da, es sind potenzielle Sicherheitsrisiken dabei: Die Attentäter von Charlie Hebdo und die vom Wochenende waren den französischen Behörden "bekannt" - das sind sie immer. Breivik war "bekannt". Akten unter Tausenden, wo fein säuberlich alles drinsteht, was der Staat wissen will. Und? Was hat es gebracht, den Behörden "bekannt" zu sein? Diesmal: knapp 200 Tote, ein Land im Ausnahmezustand und... eine erneute Erhöhung der Sicherheitsvorkehrungen gegen alles und jeden. Bis zum nächsten Mal dann.
Was haben also all die Sicherheitsmaßnahmen gebracht, frage ich? Wenn es sich um ein derart delikates Thema handelt, wie die stückweise Aufgabe und Einschränkung sämtlicher Grundrechte, um uns gegen Anschläge abzusichern, dann muss ich sagen: Gar nichts haben sie gebracht. Egal wieviele Selbstmordattentäter aufgehalten wurden, egal wieviele Schießereien noch vor ihrem Start unterbunden wurden, solange nur ein einziger damit unerkannt durchkommt, sind diese Maßnahmen wirkungslos und schaffen nur mehr Überwachung, aber nicht mehr Sicherheit. Ausgerechnet in Paris zweimal innerhalb von zehn Monaten islamistisch begründete Angriffe zu starten und durchzuziehen zeigt uns die Sinnlosigkeit dieser Vorkehrungen. Die Attentäter vom Wochenende waren einfach schlauer, gewiefter, vor- und umsichtiger in der Durchsetzung ihrer Pläne, als ihre geschnappten Kollegen in Istanbul (wo für denselben Tag auch Anschläge geplant gewesen sein sollen), die nicht dazukamen, ihre Taten umzusetzen. Und es wird sie wieder geben, egal wie sehr die Sicherheitsvorkehrungen diesmal wieder verschärft werden.
Genauso wie es Flugzeugabstürze geben wird, ob nun der IS eine Bombe in den Frachtraum schmuggelt, während sämtliche Passagiere von Kopf bis Fuß durchleuchtet und abgesucht werden oder ein selbstmordgefährdeter Copilot den Absturz verursacht. Im Nachhinein ist man immer schlauer, wird genau gegen solche Taten Aktionen ergreifen, nur dass genau solche Taten nicht mehr vorkommen werden und wir beim nächsten Mal wieder aus allen Wolken fallen werden, wenn wieder ein Flugzeug abstürzt. Es wird nur immer mehr und mehr Überprüfungen und Durchsuchungen geben, aber sicher wird es nie sein.
In Paris und Frankreich wurde nun also der Ausnahmezustand verhängt - soll heißen es kann Ausgangssperren geben, Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss, patrouilleierendes Militär auf den Straßen, Identitätsüberprüfungen durch Polizei und Militär, usw. Jetzt. Nachdem alles vorbei ist. Die Täter, so sie nicht schon im Verlauf der Anschläge starben und klug genug sind, haben sich schon längst irgendwie abgesetzt oder sind untergetaucht. Jetzt werden verstärkt französische Einrichtungen bewacht und wahllos öffentliche Orte mit verstärkter Polizeipräsenz überzogen. In Frankreich selbst und im restlichen Europa. Das soll der Bevölkerung ein Sicherheitsgefühl geben, ein Gefühl des "Es wird darauf reagiert." Aber in Wahrheit sind diese Reaktionen nur sinnlos. Als ob eine Handvoll stinknormaler Polizisten, die nicht in einer Art körperlicher Daueraufmerksamkeit sind, einen Selbstmordattentäter davon abhalten könnten, auf einem Bahnhof oder vor einer Botschaft eine Bombe zu zünden. Und: Als ob, so fanatisch diese Leute auch sind, sie so dumm wären, jetzt ein weiteres Mal zuzuschlagen und die Chance zu erhöhen, mit ihren Zielen nicht durchzukommen.
Natürlich muss etwas getan werden, um der Lage Herr zu werden. Oder besser: es zu versuchen. Denn auch beim Angriff gibt es, so wie bei der Verteidigung nie absolute Sicherheit. Doch das, was getan werden sollte, wagt keiner. Nicht einmal auszusprechen. Zu hoch wären die Verluste für unsere "westlichen" und "demokratischen" Werte: das Hinabbegeben auf dasselbe Niveau des Gegners, das Aufgeben der Maxime "Wir lassen uns nicht terrorisieren". Denn das ist den Regierungen das Wichtigste. Nicht bloßgestellt dastehen zu müssen. Nicht Kollateralschäden an Unschuldigen, die es ebenso gäbe. Nicht die Zerstörung ganzer Städte und Kulturen, die es gäbe. Nein, das demokratische Gesicht zu verlieren, davor ist die Angst groß. Und doch ist es nur eine ganz, ganz dünne Eisschicht, die uns davon trennt, das genau das passiert. Nicht so sehr im Angriff. Sollte sich doch jemand trauen, die atomare Büchse der Pandora über Syrien oder dem Irak zu öffnen, wäre ein Tabu gebrochen, aber es wagt ja doch keiner. Und irgendwie würde man sich doch wieder herausreden können und die Demokratie hochhalten. Nein, in der Verteidigung, hier bei uns, ist es nur ein kleiner Schritt hin bis die hässliche Fratze durchbricht.
Paris kollabierte wegen Anschlägen auf Theater und Restaurants. Will sich jemand vorstellen, was wäre, wenn die Attentate wirklich wichtige Zentren treffen würden? Nein, keine Parlamente oder Regierungsviertel, Politiker sind ersetzbar und im Endeffekt entbehrlich. Auch wenn sie uns das Gegenteil glauben lassen wollen. Kraftwerke, Wasserversorgungszentren, Krankenhäuser, Telekommunikation, DAS sind die wahren Hotspots, die bisher verschont blieben und jeder von uns sollte tagtäglich beten, dass es so bleibt.
Ich habe kürzlich die Fernsehserie "Fear the Walking Dead" gesehen. Sie beschäftigt sich mit dem sehr schnellen und sehr radikalen Zusammenbruch unserer fragilen Eisschicht der Gesellschaft im Falle einer fiktiven Zombieapokalypse. Jetzt sind die Zombies wohl weit hergeholt, aber biologische Kampfstoffe wie Viren, die ähnliches schaffen, sind real und zum Glück für uns sind die Steinzeitislamisten damit nicht ausgestattet. Hoffentlich nicht. Aber es muss ja nicht einmal ein Angriff sein, ein reiner Zufall oder ein dummes Unglück reichen und alles liegt lahm und steht still. Dauert das mehrere Tage an, sind wir wieder beim Ausnahmezustand. Das Militär herrscht. Sicherheits- und Quarantänezonen werden eingerichtet. Nach spätestens einigen Wochen liegen auch die Nerven blank. Die Menschen, die die derzeitige alltägliche Überwachung nicht bemerken, werden sie als erste verabscheuen, wenn sie mit vorgehaltener Waffe und "unmittelbarem Zwang" durchgesetzt wird. Die Menschen, die heute laut nach einem Zaun an der Grenze schreien, werden die ersten sein, die einen Zaun rund um ihre Aufenthaltszone nicht goutieren werden. Überall schwerst Bewaffnete, die einen aus jedem Grund mitnehmen und vermutlich auch "verschwinden" lassen können. Die Menschen lassen sich im Endeffekt nicht gern schlagartig die Freiheiten nehmen, die sie gewohnt sind. Peu à peu ist es sicherer, so lässt sich die hervorbrechende Fratze leichter immer stärker überschminken, aber selbst da wird das Fass einmal vollgelaufen sein.
Dennoch passiert doch alles im Namen der Ruhe, Ordnung und Sicherheit, versteht sich doch von selbst. Und wer werden dann die Leidtragenden sein? Attentäter und Terroristen, die sich auch jetzt schon einen feuchten Dreck um Gesetze, Regeln, den Staat und seine Organe und das Militär scheren? Oder nicht doch eher wir? Wir laufen in ziemlich hohen Tempo genau auf solche Szenario zu, ein paar terroristische Anschläge noch in Europa und wir sind dort. Schön langsam müssen wir auch Angst haben vor den lebenden Toten.