Weil sie es können. Oder doch nicht...?

Andrzej Duda, Gil Ofarim, René Benko. Was haben die drei gemein? Zunächst nichts. Schaut man aber auf die Begebenheiten, in denen diese drei Personen die Hauptrolle spielen, erkennt man eine große Gemeinsamkeit: Die schamlose Ausnützung einer Lage, aus der sie mit ein bisschen Glück enormen persönlichen Gewinn ziehen können.

Duda, der Präsident Polens, der 2025 nicht erneut zur Wahl antreten darf, hat in einem als nahezu „Staatsstreich von oben" zu bezeichnenden Akt eine Minderheitsregierung der PiS angelobt – die keine Duldung im Sejm hat und der bei der in zwei Wochen folgenden Vertrauensfrage dementsprechend auch selbiges nicht ausgesprochen werden wird. Während die PiS zwar stimmenstärkste Partei bei der letzten Parlamentswahl wurde – wie etwa auch der Partido Popular in Spanien vor kurzem – hat sie bei der Beauftragung zu einer Regierungsbildung von Duda keine Koalitionspartner auftreiben können, ähnlich dem spanischen PP. Damit hat der Wahlsieger seine Chance auf eine Regierung verschissen, weil ihn keiner mag. Oder etwas griffiger formuliert, die gesamte Mehrheit der Bevölkerung die alle anderen Parteien gewählt haben als den eigentlichen Wahlsieger, haben stellvertretend durch die gewählten Parteien keinen Bock auf den Wahlsieger. Mal sehen wie das in den Niederlanden ausgehen wird, wo ja eine ähnliche Konstellation wie in Polen herrscht. Jedenfalls wie in Spanien zu sehen, wurde der Zweite mit der Regierungsbildung beauftragt – hier der PSOE, der bekam ne Mehrheit zusammen in den Cortes Generales. Bingo! Dementsprechend hat auch in Polen das gesammelte Bündnis gegen die PiS schon einen Koalitionsvertrag unter Dach und Fach, denn eigentlich wäre es nur ein Formalakt, dass dieses Bündnis nun den Auftrag zur Regierungsbildung von Duda bekommt. Aber wie das so ist mit rechtskonservativen, -nationalistischen bis hin zu -radikalen politischen Akteuren, halten die sich nicht gern an ungeschriebene (oder auch geschriebene) Regeln. Oder wie das ein Forist in einem englischsprachigen Forum so treffend formuliert hat: „There must be in-groups whom the law protectes but does not bind, alongside out-groups whom the law binds but does not protect.” Also kurz: Regeln mögen für andere gelten. Demzufolge gelobte Duda eine Regierung an, die keine zwei Wochen lang im Amt sein wird – sofern es weiterhin nach den Spielregeln der demokratischen Machtübergabe ablaufen sollte. Aber dies wird bereits angezweifelt, da die PiS und Duda, deren willfähiger Lakai er ist, weil er sowieso nicht wiedergewählt werden kann, eine Rückkehr der ihnen so sehr verhassten „Linken" unter Tusk als Regierung verhindern will und schon mit dem ebenfalls altbekannten rechten „Wir sind das Opfer“-MIMIMI anfangen. Wieso nur „Linke"? Nun ja... Tusk kann man als liberal-konservativ eigentlich nicht als links bezeichnen. Aber die PiS in bester rechts vom Rand fallender Manier sieht natürlich alles als „linke Weltverschwörer", was nicht stramm so rechts steht wie sie selbst. Und wenn einmal die Regeln umgangen werden, ist es ihnen auch zuzutrauen, dass sie es ein weiteres Mal tun. Vorbilder dieser Art gibt es mit Trump und Bolsonaro, deren derartige ausgerichtete Regierung ebenfalls abgewählt wurde, ihre „linken" „Erbfeinde" an die Macht gewählt wurden und sie es bis zum Geht-nicht-mehr ausgereizt haben, ihre Macht nicht abgeben zu müssen. Autoritarismus ist ja auch sowas, woran sich in diesen politischen Kreisen aufgegeilt wird. Gehen wir hier mal nicht näher auf den Widerspruch zwischen dem Wunsch nach dem „starken Führer“ und dem Wunsch nach „absoluter Freiheit“ gleichzeitig ein. Wird interessant zu sehen, was in Polen passieren wird die nächsten Wochen. Man wird auch sehen wie etwa eine Meloni reagieren wird, sollte sie abgewählt werden. Oder was nächstes Jahr hier in Österreich passieren wird, sollte die FPÖ tatsächlich ebenfalls Wahlsieger werden und keiner mit ihr als großem Partner koalieren wollen, aber nächstes Jahr steht ja auch wieder eine mögliche Rückkehr Trumps an… Bei all diesem Auseinanderdriften in politischen Fragen und Machtübergaben zwischen sich immer verfeindeter gegenüberstehenden Fraktionen halte ich es nicht für unmöglich, dass es eher früher als später auch mal gewaltsam eskalieren wird. Mögliche Kandidaten gäbe es viele.

Kommen wir zu einem anderen Egozentriker, der geglaubt hat, er könne ungeschriebene Regeln aushebeln, indem er sie schamlos für sich ausnützt. Die Regel hierbei ist, dass mutmaßlichen Opfern von Diskriminierungs- und Missbrauchstaten grundsätzlich einmal geglaubt wird. Zwar nicht von juristischer Seite, dafür von medialer Seite. Warum? Weil alle Welt fragt: „Wieso sollte jemand so etwas erfinden?!“ Also glauben wir an das Gute, Reine und Unschuldige in den Menschen, die behaupten sie wurden Opfer einer Straftat. Wenn sich also derartige Opfer an Medien wenden oder gar selbst in sozialen Medien aktiv werden mit ihrer Geschichte kann man von der berühmten „medialen Vorverurteilung“ nahezu sicher ausgehen, gerade bei derart kontrovers aufgeladenen Straftatbeständen. Die Liste allein aus Deutschland ist in den letzten Jahren lang an medial ausgeschlachteten Straf- und Ermittlungsverfahren, an denen auf der einen oder anderen Seite irgendeine mehr oder weniger berühmte Persönlichkeit teilhatte: Kachelmann, Lindemann, Lohfink, Türck, Mockridge. Hier ging es immer um Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch; Nichts kam heraus. Freisprüche diverser Art oder erst gar kein Einleiten eines Strafverfahrens. Im Vorhinein gab es immer Beistandsbekundigungen und unabdingbaren Glauben an die Aussagen der Opfer von allen Seiten, insbesonders natürlich von jenen, die sich den Kampf gegen diese spezielle Art der Diskriminierung auf die Fahnen schrieben und zu ihrer Ideologie erhoben, denn: Wieso sollten sie denn lügen?! Im Nachhinein wird – wenn überhaupt – herumgedruckst und herumgeeiert, dass das nichts ändere, man immer noch von der Schuld des angeblichen Täters überzeugt ist, solche Einzelfälle sowieso am gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen Phänomen -ismus XY nichts ändern und das alles eigentlich ja nur zeigt, wie sehr es Phänomen -ismus AB benötigt. Jawoll! Etwas, dass den Fall rund um Gil Ofarim hier nun besonders speziell prekär macht, ist sein Geständnis, die Antisemitismusvorwürfe ihm gegenüber nur erfunden zu haben. Nach zwei Jahren. Nach sechs Verhandlungstagen in einem Strafverfahren gegen ihn. Zu dem Zeitpunkt als es aus rechtlicher Sicht besser war zu gestehen, als eine Verurteilung zu riskieren. In einer Kolumne der Jüdischen Allgemeinen wurde gefragt: „Warum sollte jemand fälschlicherweise behaupten, wegen eines Davidsterns diskriminiert zu werden? Die Frage nach seinem Motiv kann nur Ofarim selbst beantworten.“ Wieso sollte jemand behaupten, vergewaltigt worden zu sein? Och, mir fielen da einige Möglichkeiten ein: Geltungssucht, Rache, Unüberlegtheit und dann überbordendes Commitment an eine Lüge, weil man nicht das Gesicht verlieren will, vielleicht auch der tatsächliche Glaube an eine strafwürdige Tat, die aber so nicht mit dem geltenden Recht in Einklang zu bringen ist… Im Falle von Ofarim und seinem späten Geständnis tendiere ich zum simplen: ein selbstgefälliges Arschloch zu sein, das egoistisch eine Situation ausnützt, von der er aufgrund des heiklen gesellschaftlichen Themas sicher sein kann, die öffentliche Meinung hinter sich zu haben und auch die Chance wittert, die rechtliche Meinung hinter sich haben zu können und beinhart jemand anderen im wahrsten Sinn des Wortes als taktiertes Bauernopfer vor den fahrenden Zug schmeißt und aus Berechnung für persönlichen Gewinn dessen Leben ruiniert. Auch hier ist es mit dem simplen: „Ja, war alles scheiße, er hat gelogen und den Juden in Deutschland einen Bärendienst erwiesen, AAAAAAAABER, das ändert nichts am gesamtgesellschaftlichen Kampf gegen Antisemitismus und das den Opfern geglaubt werden muss“, des Jüdischen Zentralrats eigentlich nicht getan. Denn natürlich ändert dies etwas. Die Wahrnehmung solcher Fälle, wenn sie medial herausgehaut werden. One bad apple can spoil the lot. Eine Redewendung, die man gern hört, geht es um Polizeigewalt. Es reicht schon, dass ein Polizist eskaliert und alle anderen brave und gut arbeitende Beamten sind, um das Vertrauen zu unterminieren. Ebenso ist es auch mit Vergewaltigungs- oder Antisemitismusvorwürfen. Oder auch mit dem in der Rechten beliebten Warnung vor der übermäßigen Zuwanderung durch kriminelle Ausländer. Wenn der nächste Tschetschenenclan gewalteskaliert, der nächste Afghane vergewaltigt, wird das Vertrauen unterminiert. Und bei jedem weiteren Vorfall einer jeden dieser Arten wird man bewusst oder unbewusst irgendwann einmal Zweifel haben, ob es nicht doch nur wieder erfunden sein kann, weil eine Person ein Arschloch ist, das glaubt, die Welt habe sich um es zu drehen. Auch Einzelfälle entfalten Wirkung, insbesondere dann, wenn sie sich als absichtlich, fingiert und nicht der Realität entsprechen herausstellen, wie bei Ofarim.

Wie wurde René Benko nicht in alle Sphären gelobt, besonders unter der wirtschaftsfreundlichen Kurz-Regierung. Er, das große kaufmännische Genie, das nie die Schule abgeschlossen hat, sondern lieber Investor wurde, um Geld zu scheffeln und es so zum Multimillionär schaffte. Der bewundernswerte Self-Made-Man, der immer den richtigen Riecher hatte und angehimmelt wurde im Dunstkreis der Neoliberalen. Nun brach das Signa-Konzern genannte, undurchsichtige, aus Subunternehmen bestehende, irgendwelchen ominösen Privatstiftungen gehörende Geflecht recht schnell krachend in sich zusammen. Umfassende Insolvenz wird angemeldet, Benko wurde aus der Führung der Gruppe hinauskomplimentiert – oder abgesägt, um zu versuchen zu retten, was zu retten ist. Doch auch in diversen Krisensitzungen der Führung wurde kein neuer Geldgeber gefunden, der in Kürze ne halbe Milliarde Euro bereit ist rauszuhauen. Eine anscheinend grassierende Geldnot im Unternehmensgeflecht wurde so lang ignoriert, bis sie nicht mehr ignoriert werden konnte, weil geglaubt wurde, die Magie des Marktes wird das Problem schon irgendwie lösen: Man kaufe einfach neue Unternehmen auf, „saniere“ (sprich: haue Mitarbeiter raus) sie und verklopfe sie irgendwann wieder. Wenn sich das doch nicht so rentiert, wie man es sich in seinen gierigsten Tagträumen vorstellt, veräußert man das Objekt einfach wieder – natürlich nicht ohne die Belegschaft nochmal zu halbieren und nochmal ordentlich Reibach einzufahren. So etwa geschehen in den fünf Jahren zwischen 2018 und erst vor wenigen Monaten mit der Möbelhauskette Kika/Leiner. Eigentlich ein typisches Investor-Gebahren, das zwar viele zerstörte Existenzen hinterlässt, diesmal aus Arbeitslosigkeitsgründen und nicht aus den falschen Vorwürfen von Straftaten, und die Leute auch empört, aber im Grunde die Einzelmänner im Hintergrund wie eben Benko kalt lässt. Der hat dadurch halt mal 200 Milliönchen an Land gezogen und sonst nur Scherben und Katastrophen hinterlassen. Auf soviel Scheinchen schlaft es sich ganz gut und ruhig. Er wurde also weiterhin angehimmelt im neoliberalen Kapitalistenwahn, ob seiner vermeintlichen Genialität. Das ist sein Geschäft, das ist sein Ding – und das vieler anderer. Kaufen, abstoßen und dazwischen die Welt davon überzeugen, dass man ein Genie ist. Adam Neumann und das kapitale Scheitern von WeWork würden hier auch einfallen. Und bis vor einigen Tagen dachte man, dass auch das Zerplatzen von Signa so ablaufen werden: Benko wird gut aussteigen, nochmal ein gutes Geldpölsterchen abkriegen, während die Unternehmensstruktur liquidiert wird und die kleinen Mitarbeiter stempeln gehen müssen. Wie es halt so lauft, wenn der Markt regelt. Derzeit scheint es aber augenscheinlich so, als würde man Benko selbst an die Kandare nehmen und tatsächlich sein Privatvermögen hernehmen, um hier Rettung zu spielen. Ein Unternehmer, der tatsächlich dafür geradestehen muss, wenn sein Unternehmen baden geht. Ungehört! Er muss seine Kunstsammlung veräußern, von der bisher nicht mal gewusst wurde, dass sie existiert. Seine Yacht wird um einen „Spottpreis" verkauft, weil er dringend Bares braucht und selbst seine Villa, in der er wohnt, wird gepfändet. Huiuiui… Da scheint ja im Vergleich tatsächlich der Hut zu brennen. Er wird wohl auch danach nicht betteln gehen müssen, aber das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung und wird sich hoffentlich durchsetzen in solchen Fällen. Womöglich scheitert die Signa und mit ihr der Name Benko doch so kapital, dass er nicht mehr wie der Phönix aus der wirtschaftlichen Asche zu steigen vermag, um das Spiel erneut anzuleiern.

Benko und Ofarim haben hoch gegambelt und sind tief gefallen. Zu Recht und gerechtfertigt. Sie hätten sich nicht so ich-fixiert verhalten müssen, nicht auf den maximalen persönlichen Vorteil aus sein. Es hätte ja klappen können. Tat es diesmal halt nicht. Arsch gelaufen. SSKM. Man kann annehmen, dass es der PiS und Duda ähnlich ergehen wird. Natürlich wird es immer Leute geben, die das alles geil finden und verteidigenswert, was diese drei Beispiele hier tun und getan haben. Aber nun ja, diesen Leuten ist halt einfach nicht zu helfen, weil sie in ihrer unzerstörbaren Bubble gefangen sind. Was soll man noch anderes sagen? Sie können halt nicht aus ihrem ideologischen Gedankengefängnis austreten. Wollen sie auch nicht. Es gibt halt Leute, die gern angeschissen werden, um sich dann zu bedanken und sich einen drauf abzuwedeln. Mein Gerechter-Welt-Glaube hat sich dennoch ein wenig erholt.

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tantejo

tantejo bewertete diesen Eintrag 29.11.2023 11:26:04

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