Der Nahostkonflikt, immer wieder am Aufflackern, aber eigentlich seit fast siebzig Jahren ohne nennenswerte Fortschritte am Dauerköcheln. Einer der Brennpunkte der Welt mit dem größten und gefährlichsten Potential, weil ein zu Grunde liegender Religionskonflikt mit nach Vergeltung für empfundenes, erlittenes Unrecht Dürstenden auf der einen Seite und einem Land, das sich im göttlichen Recht glaubt auf der anderen Seite vermischt wird. Eigentlich können wir froh sein, dass im Moment nicht mehr passiert als arabische Selbstmordattentäter, so tragisch die zivilen Opfer, die mit dem Ganzen nichts zu tun haben und nur ihr Leben leben wollten, auch sind. Die Welt und die UNO schaut bei zu vielen Dingen schlicht weg und konzentriert sich auf einige wenige und das auch nur mit mäßiger Begeisterung für sowas wie den Nahen Osten – ist ja schließlich ein nicht enden wollender Status Quo. Und die UNO ist ein zahnloses Monster, dem endlich mal Durchsetzungskraft verliehen gehört. Dann haben wir wieder die ewig gleichen Berichterstattungen, die mal pro-israelisch gefärbt sind, darauf eine „Richtigstellung“ pro-palästinensischer Seite und vice versa.
Einige Extrempositionenbezieher behaupten, arabische oder moslemische Völker hätten keinerlei Anspruch auf das Land, das heute Israel ist. Sie begründen das mit Eretz Israel, also dem im Tanach versprochenem Gelobten oder Verheißenem Land. Ernsthaft? Politische und vor allem reale Gebietsansprüche aus einem heiligen Text (sprich einer im Großen und Ganzen fiktiven Geschichte) herzuleiten, ist heutzutage und war auch schon vor hundert Jahren ein wirklich starkes Stück... Wenn das alle machen würden, müsste jeder Staat, der den Islam als Religion hat, vorrangig danach trachten, weltweit das Haus des Friedens einzuführen – und damit nach islamischer Rechtsmeinung eine weltumspannende Herrschaft des Islams. Auch "Großisrael", wie es von einigen nationalistischen Panbewegungen gefordert wird und über jede jemals existierenden Grenze eines jüdischen Reiches hinausginge, wird mit dem Begriff Eretz Israel bezeichnet. Aber gut, schauen wir doch mal was politisch im Nahen Osten los war, bevor die UNO erklärt hat: "So wir nehmen jetz ein Stück Land und geben es den Juden." Sollen wir?
Also, von 1922 bis 1948 war es das Völkerbundsmandat für Palästina, das den Briten unterstellt war und dessen Bevölkerung großteils islamisch waren. Da hätten wir übrigens schon mal das von vielen Leuten negierte, nie existente Palästina. Davor gehörte das Gebiet für rund 400 Jahre zum Osmanischen Reich, welches ebenfalls muslimisch und nicht jüdisch war. Davor war es in der Hand der muslimischer Herrscher der Mamluken und dann gab es etwa 200 Jahre das Königreich Jerusalem unter christlichen Herrscher, die zeitlich gesehen nähesten Nicht-Moslems, die über das Gebiet herrschten. Sie waren alles, aber keine Juden.
Davor war es Teil des Byzantinischen Reiches, welches ebenfalls christlich war und bevor es christlich wurde, römischer Religion war. Davor kam natürlich das Römische Reich, welches die Herrschaft über das Gebiet seit ungefähr der Zeitenwende inne hatte. Und erst DAVOR gab es das letzte Mal kurzfristig eine jüdische Oberhoheit über das Gebiet. Vor rund 2080 Jahren. Aber darauf beziehen sich die jüdischen Ansprüche nicht einmal, denn diese Zeit wird nur in christlichen kanonischen Quellen angesprochen, die Juden sehen diese biblischen Teile als apokryph an.
Also weiter zurück: Davor war es Teil des Seleukidenreiches und des Ptolemäerreiches, die sich um das Gebiet stritten. Alexander der Große, welcher übrigens davor die Herrschaft über das Gebiet des heutigen Israels hatte war ebenfalls kein Jude. Davor gehörte es den persischen Achämeniden und davor war es Teil des Neubabylonischen Reiches. Dieses eroberte Jerusalem und zerstreute das Judentum, womit die bis heute anhaltende jüdische Diaspora eingesetzt hat. Und erst vor dieser Eroberung kamen die Königreiche Israel und Juda, die wiederrum aus einem größeren geeinten Königreich Israel hervorgingen. Auf diese drei Staaten wird sich unter anderem vom Judentum bezogen, bei denen es wissenschaftlich allerdings nicht als gesichtert gilt, ob sie überhaupt in dieser Form, wie sie im Tanach beschrieben werden, existierten. Wir sind hier jetzt in der Zeit von ungefähr 600 v. Chr. Davor wurde das Gebiet von verschiedenen semitischen Völker, den Hethitern und den Israeliten gleichermaßen bewohnt. Und vor deeeeeeeeem allen kommt Kanaan, das in der Genesis genannte Gelobte Land, das von verschiedensten genetisch nicht unterscheidbaren Stämmen bewohnt wurde, unter denen einige dann dem JHWH-Kult folgten, was in der Folge in der Bibel als die Zwölf Stämme Israels niedergeschrieben wurde und worauf sich der Anspruch des heutigen Staates Israels stützt und damit können wir nochmal rund 600 Jahre in der Zeit zurückgehen.
Israel bezieht seine Ansprüche also auf Stammesgebiete von vor über 3000 Jahren und auf Königreiche von vor rund 2600 Jahren mit einer gesamten Existenzdauer von maximal 600 Jahren. Die tatsächlichen Staaten gab es etwas über 400 Jahre, sofern es diese überhaupt so gegeben hat, wie es im Heiligen Buch dargestellt wird. Da gäbs also durchaus noch andere, durchaus stärker historische und nicht vorwiegend auf religiöse Quellen Bezug nehmende Ansprüche außer denen der Juden.
Keines der dort existierenden Reiche konnte sich im Durchschnitt länger als maximal 500 Jahre halten. Ebenso keine vorherrschende Religion bis auf den Islam, der dort mit kurzfristigen Ausreißern wegen der Kreuzfahrerstaaten für etwa 1300(!) Jahren saß und dann kommt der Völkerbund daher und danach die UNO daher und sagt den Moslems locker-flockig: "Wir nehmen euch jetzt einen Teil eures Landes weg und setzen da ein Volk hin, das meint, religiöse Ansprüche darauf zu haben. Ansprüche, die ewig lang her sind und nicht maßgeblich länger andauerten als andere (religiöse) Vorherrschaften in dem Gebiet, bis auf eure. Und wir wissen auch, dass es für euch ebenso Heiliges Land ist, aber das ist uns alles wurscht. YOLO!" Und da wird sich echt aufgeregt, dass die Araber sich das nicht einfach gefallen lassen und einen Hass auf die entwickelt haben, die Ihnen da in den Vorgarten gesetzt wurden und auch noch sagen, dass es rechtens ist? Es wär ja nicht so gewesen, dass die Moslems das Gebiet einem jüdischen Staat entrissen hätten, irgendwann in der Zeit davor, also ist da der große Ärger, dass ein selbst ernanntes Weltordnungsamt auf einmal sagt: "Dies und jenes passiert, ob ihr wollt oder nicht" doch irgendwo nachvollziehbar, wenn man mal etwas nachdenkt.
Staatsgrenzen verschieben sich ja immer hin und her und irgendwer zaubert dann meistens einen Anspruch aus dem Hut, der aus diesem oder jenem Grund gewichtiger sein soll als der eines anderen. Wenn aber Israel seine Ansprüche aus dem religiösen Herrschaftsgebiet von vor Ewigkeiten herleitet, na da müsste der Papst heute aber heftig mit Italien um den Kirchenstaat streiten, der dem Christentum gute 1000 Jahre unterstand. Es gibt kein anderes Land der Welt, dass seine potenziellen Gebietsforderungen auf Zeiten vor dem allmählichen Aufkommen der Nationalstaaten im 19. Jahrhunderts zurückdatiert – bis auf Israel.
Als Theodor Herzl Ende des 19. Jahrhunderts den Zionismus zu echter Anerkennung führte, war zunächst noch keine Rede davon, den zu erreichenden Judenstaat ausgerechnet im Gelobten Land errichten zu wollen. Erst mit den ersten Auswanderungswellen aus Europa ins Osmanische Reich ging man dazu über, dies als zionistisches Ziel zu formulieren und war sich durchaus im Klaren darüber, dass die Araber nicht sonderlich erfreut sein würden, aber das wurde als sekundär betrachtet. So wurde 1909 mit Tel Aviv die erste jüdische Stadt im späteren Israel gegründet. So paradox das auch klingen mag, aber ausgerechnet die Auswanderungswellen zu Beginn und nach dem Nationalsozialismus und der Massentötungen des Holocausts haben das Ziel des eigenen jüdischen Staates erst politisch wirklich ermöglicht. Die Weltpolitik sah sich genötigt, etwas für die Juden zu tun und haben auch etwas getan, mit obig genannten Folgen für die seit langem dort lebenden Moslems.
Die eigentlichen Grenzen Israels entstanden nach dem Unabhängigkeitskrieg, den die Araber noch am Tag der Unabhängigkeitserklärung angefangen haben, weil sie die Besetzung und Wegnahme ihres Landes nicht wirklich hinnehmen wollten – und haben dezidiert verloren. Da haben die Araber sich überschätzt und für besser gehalten als sie waren und dachten man könne die Israelis mal auf schnell, schnell wieder loswerden und haben die Rechnung dafür präsentiert bekommen: Nämlich mehr Gebietsverluste, als sie erdulden hätten müssen, wäre der UN-Teilungsplan von 1947 von ihnen ebenso wie von den Juden dankend akzeptiert worden. Blöd gelaufen für die arabische Seite, Überheblichkeit zahlt sich halt selten aus.
Aber danach: In der Suezkrise ist Israel in Ägypten eingefallen und im Sechs-Tage-Krieg hat auch Israel Präventivschläge gegen Ägypten durchgeführt. Nicht ohne abartig von den arabischen Staaten provoziert worden zu sein, wie man wahrheitsgetreu sagen muss. Nichtsdestotrotz wurde der erste Schuss von Israel abgegeben. Der Sechs-Tage-Krieg hat damit geendet, dass Israel weitere Gebiete besetzt hat, die es bis heute nicht geräumt hat und die ihm auch nach dem ursprünglichen Teilungsplan nicht zustünden. Eine Ausnahme: Die Sinai-Halbinsel wurde in Folge der erfolgreichen Friedensverhandlungen mit Ägypten an dieses zurückgegeben. Ein ziemlicher Meilenstein in der gesamten Entwicklung der Region und da sieht man was beide Seiten zustandebringen können, wenn sie wollen. Seither halten sie sich so gut es geht voneinander fern aber Initiator Sadat durfte mit seinem Leben dafür bezahlen, weil der Frieden einem extremen Islamisten nicht geschmeckt hat. Super… Sowas gabs später auch noch mal auf israelischer Seite als ein jüdischer Extremist Rabin ermordete, weil dieser einen Friedensprozess einläutete. Alles Vollkoffer…
Israel gingen die potenziellen neuen Feinde auch nach dem Frieden mit Ägypten nicht aus. Der Libanon im Norden machte da eine gute Figur und mit der offiziellen Annektierung Ostjerusalems, das eigentlich den Palästinensern zustünde, zur „vollständigen und vereinigten“ Hauptstadt Israels 1980 wurde auch ziemlich unnötig Öl ins Feuer gegossen. Bis heute folgen ewige Hin-und-Her-Schuldzuweisungen und Vergeltungsangriffe für dies und jenes von beiden Seiten, was nur zu weiteren Vergeltungen führen wird.
Man soll nicht so tun, als wären die Beteiligten dort, muslimisch, wie jüdisch, politische und auch kriegerische Unschuldslämmer und würden nichts besetzen oder verlangen, was ihnen nicht zusteht. Man sollte sich endlich von der fixen Idee entfernen, Israel hätte als einziger Staat einen möglichen historischen oder auch religiösen Anspruch auf das Gebiet in der Levante. Beide Seiten strecken sich im Endeffekt wie kleine Kindern nur trotzig gegenseitig die Zunge heraus und beharren auf ihren ideologischen Positionen ohne für die jeweils andere Seite wirklich annehmbare Pläne aufzustellen. Ginge es nach mir, hätte die anfangs schon erwähnte zahnlose UNO die Macht, über die Streithähne drüberzufahren und – komme, was wolle – den ursprünglichen Teilungsplan von 1947 durchzusetzen und Israel und Palästina symbolisch wie die rotznasigen Kinder, die sie sind, in die Ecke zu stellen. Das Einzige, was sie machen kann, ist, bloß recht unnütze Resolutionen zu verabschieden, die von Israel gekonnt ignoriert werden.
Aber um mal auf die palästinensische Seite RICHTIG zuzugehen, müsste Israel schon den Siedlungsbau komplett stoppen und zurücknehmen. Was für die israelische Identität auch ganz großartig wäre, wäre einmal den Dritten Tempel zu bauen, damit sich die Juden auch wirklich religiös heimisch fühlen können in Israel. Aber ach nein… ich vergaß: Das wird ja wieder mal mit Hinweis auf den Glauben abgelehnt, weil das erst zur Zeit des messianischen Kommens stattfinden darf. So ein religiöser Humbug, der da wie so oft in gesellschaftliche und politische Themen hineinpfuscht.
Um mal auf die israelische Seite RICHTIG zuzugehen, müsste die Hamas Israel ordentlich anerkennen und den Guerillakampf gegen Israel glaubwürdig einstellen. Aber das sind so Dinge, auf die man sich nicht einigen können wird, weil beide Seiten verzogene Gören sind, die glauben im Recht zu sein.
Somit sage ich: Keiner von beiden hat irgendwie mehr oder "gerechtes" Recht auf das Land als der andere, und wenn denen das mal nicht jemand ordentlich beibringen kann, wird der Nahostkonflikt nie ein Ende finden.