„Das rumänische Volk hat etwas besseres Verdient, als Victor Ponta“[1][1] meint Joseph Daul, Präsident der Europäischen Volkspartei (EVP). Er hat natürlich recht. Leider befindet er sich im Widerspruch zu dem altbewährten Wiener Sprichwort „Es kummt nix bessers nach.“
Während sich Europa in der Flüchtlingsfrage mit einer der größten Herausforderungen der jüngeren Geschichte konfrontiert sieht und Joseph Dauls Freund Viktor Orbán an einem Sicherheitszaun entlang der ungarisch-rumänischen Grenze baut, ist die Bukarester politische Elite mit sich selbst beschäftigt: In Rumänien kündigt sich ein Wechsel an der Regierungsspitze an. Die Kritik, der sich Premierminister Victor Ponta (PSD) zu recht immer mehr ausgesetzt sieht, wird längst nicht mehr allein von der Opposition formuliert, sondern hat bereits Teile seiner eigenen Partei ergriffen. Ponta wird unter anderem mit schweren Geldwäsche- und Steuerhinterziehungsvorwürfen konfrontiert. Allein die politische Immunität konnte ihm bisher den Rücken frei halten.
Die PSD regiert derzeit mit den beiden Kleinparteien UNPR und ALDE in einer Koalitionsregierung. In der Opposition befindet sich die „neue“ christdemokratische PNL, das Produkt der Fusion zwischen der ehemals liberalen PNL und der seinerzeitigen Băsescupartei[2][2] PD. Auch die Demokratische Union der Madjaren in Rumänien (UDMR), die mit Abstand stabilste politische Kraft im postrevolutionären Rumänien, befindet sich in der Opposition.
Geht es nach den Wünschen der oppositionellen PNL, wird der Rechtsanwalt Cătălin Predoiu Premierminister einer neuen Koalitions- oder PNL-Minderheitsregierung.[3][3] Der 47jährige Ex-Justizminister wurde bereits im erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampf von 2014 als Schattenpremier präsentiert („Johannis Präsident – Predoiu Premier!“). Doch aufgrund seiner blassen Erscheinung und seiner enden wollenden Bekanntheitswerte könnte er sich im Falle vorgezogener Neuwahlen wohl kaum gegen einen neuen, hartgesottenen und womöglich kampagnenerprobten Kandidaten der PSD durchsetzen. Deswegen darf aus Sicht der PNL nicht frisch gewählt werden, sondern es muss ein fliegender Wechsel erfolgen: Ponta wird durch ein Misstrauensvotum erfolgreich aus dem Amt gedrängt und Staatspräsident Klaus Johannis beauftragt einen nichtsozialdemokratischen Nachfolger – vorzugsweise Predoiu – mit der Regierungsbildung.
Dass die für ein solches Unternehmen erforderliche UNPR hier freiwillig und „billig“ mitspielt, ist jedoch nicht zu erwarten. Die Truppe um Vizepremier Gabriel Oprea ist bereits im derzeitigen Kabinett überrepräsentiert (drei Ministerien, darunter Vizepremier, Innen- und Justizressort) und hat kaum ein existentielles Interesse, diese und andere mitunter einflussreichen Posten aufzugeben oder aufs Spiel zu setzen. Oprea & Co. werden daher hoch pokern und es ergeben sich zwei mögliche Szenarien:
1. Ponta wird auf Betreiben der PNL erfolgreich aus dem Amt gedrängt. Danach ist die PNL jedoch wieder gezwungen, die Rolle eines Zusehers einzunehmen, wenn UNPR-Oprea oder ein neuer PSD-Vertreter Regierungschef wird.
2. Die PNL lässt sich in den Verhandlungen von der UNPR über den Tisch ziehen und akzeptiert schließlich „im Interesse der Stabilität des Staatswesens“ eine „Übergangsregierung“ mit Gabriel Oprea als Premierminister.
Liberale binden sich mit Gedeih und Verderb an das Schicksal der PSD
Die Partei ALDE (Allianz der Liberalen und Demokraten) setzt unter der Leitung von Alt-Premier Călin Popescu Tăriceanu den gesamten Einsatz auf die sozialdemokratische Karte: Im Gegensatz zur UNPR, die sich alle Varianten offen hält, haben führende ALDE-Funktionäre der PSD wiederholt die (ewige?) Treue geschworen. Das einzige Alleinstellungsmerkmal der rumänischen ALDE in der öffentlichen Wahrnehmung ist momentan der leidenschaftliche Kampf gegen Ex-Staatspräsident Băsescu und jene Leute, die ihm nahestehen oder denen ein Naheverhältnis unterstellt wird.
Sollte die Entwicklung der von Korruptionsskandalen arg gebeutelten Sozialdemokraten weiter so verlaufen, wie in vergangener Zeit, wird Tăriceanus Truppe zunehmend als eine Art „Arbeitskreis für Bürgerliche Politik“ innerhalb der PSD wahrgenommen werden. Allein eine nachhaltige inhaltliche, personelle und strategische Reform der Sozialdemokratischen Partei könnte auch der ALDE als kleinen Teil einer positiven Entwicklung ein paar Lorbeeren einbringen. Doch an einer solchen Parteireform ist bereits Ex-Außenminister Mircea Geoană (Parteichef 2005-2010) kläglich gescheitert. Nicht zuletzt war auch Victor Ponta ein roter Hoffnungsträger, von dem viele sich eine seriöse Modernisierung der PSD erwartet hatten. – Die Chancen auf einen erfolgreichen dritten Versuch sind sehr klein und ein Kandidat, der als Parteichef eine solche Reform umsetzen könnte, ist derzeit nicht in Sicht. Die Tatsache, dass ausgerechnet Parteichef Liviu Dragnea (im Mai 2015 im Zusammenhang mit Wahlbetrugsvorwürfen zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt[4][4]) dieser Tage eine „ernsthafte inhaltliche Debatte“ angekündigt hat, spricht Bände.
Die einzige seriöse Lösung der derzeitigen innenpolitischen Krise wären vorgezogene Neuwahlen. Doch diese Variante erfreut sich kaum der nötigen, breiten Unterstützung.
Erläuterungen
- ALDE: Zusammenschluss der bei der nach dem Wechsel der PNL von den europäischen Liberalen zu den Christdemokraten bei der EU-ALDE verbliebenen „Liberalen Reformpartei“ mit der kontroversen „Konservativen Partei“ unter dem Namen „Allianz der Liberalen und Demokraten“, nach EU-Vorbild.
- PD: Ehemals sozialdemokratische (SI-Mitglied), später christdemokratische (EVP) Partei, die sich 1990 aus Ion Iliescus „Front der Nationalen Rettung“ entwickelt hatte. Kleinpartei unter der Leitung von Petre Roman, später unter Traian Băsescu bedeutendste Anti-PSD-Sammelpartei unter christdemokratischem Dach.
- PNL: 1875 gegründete liberale Partei, die als einzige historische politische Bewegung bis heute (seit der Wiedergründung 1990) existiert. Aufsehenerregender Wechsel von der ALDE (EU) zur Europäischen Volkspartei nach der letzten EU-Parlamentswahl. Unmittelbar gefolgt von Fusion mit PD.
- PSD: Von Alt-Staatspräsident Ion Iliescu geprägte sozialdemokratische Partei (SPE-und SI-Vollmitglied). Der ausgesprochen mitgliederstarken Bewegung haftet seit jeher (und in jüngerer Vergangenheit wieder verstärkt) das Image einer strukturell korrupten Bewegung an. 2011 bis 2014 in Wahlallianz mit der PNL.
- UDMR: Aufgrund der demografischen Situation (etwa sechs Prozent Ungarn leben als ethnische Minderheit in Rumänien) ist die UDMR die konstanteste und berechenbarste politische Kraft im Land.
- UNPR: Sammelbecken von hauptsächlich aus der PSD, teilweise aber auch aus der PNL ausgetretenen Funktionären. Ausgezeichnet vernetzt, ideologische Eigendefinition „mitte-links“.
[1][1]http://news.epp.eu/zFy6zu
[2][2]Der Nachwende-Verkehrsminister, spätere Bukarester Bürgermeister, PD-Chef und schließlich Staatspräsident Traian Băsescu hatte es sich seit 2004 zum Ziel erklärt, die liberale PNL mit der PD als große christdemokratische Partei zu fusionieren. Aufgrund personeller Differenzen hat er zwischenzeitlich mit „seiner” PD gebrochen und unterstützt nun die von Elena Udrea gegründete PMP („Volksbewegungspartei”).
[3][3]http://e-politic.ziuanews.ro/stiri/blaga-anunta-ca-noul-premier-va-fi-catalin-predoiu-278264