Vertrauen auf Zeit
Aus, Schluss, Julius, die Wahl in Wien ist geschlagen! Entgegen vieler Vermutungen und uuunglaublich präziser Umfragen (danke an den ORF für die wichtige einstündige Diskussion dieser essentiellen Statistik), war es kein packendes Duell wie der Thrilla in Manila, Ali gegen Frazier. Es war mehr ein Boxkampf auf Klitschko-Niveau, ein durchaus respektabler Gegner, von dem man aber früh wusste, dass er verlieren wird. Wie konnte es zu diesem unerwartet klaren Ergebnis kommen? Und vor allem: Wie geht es weiter?
Wie kommt‘s?
Wer gewählt wurde, das hat jeder gesehen, aber WAS wurde denn eigentlich gewählt? Eine Fortsetzung von Rot-Grün, aus grenzenloser Dankbarkeit für die letzten Jahre voller Zufriedenheit? Ohne große Meinungsforschung, lässt sich das wohl mit NEIN beantworten. Was tatsächlich gewählt wurde, lässt sich lässig an einem fiktiven Szenario erklären: Wenn es in der Wahlkabine die Option „Nicht-Strache“ gegeben hätte, gäbe es wohl bald eine Dreierkoalition aus Rot, Grün und Nicht-Strache.
Die Wiener haben also nicht „Super, leiwand, weiter so!“ gesagt. Doch selbst in ihrer Unzufriedenheit (echte Unzufriedenheit, nicht unser wesenseigenes Sudern), war ihnen Rot-Grün ganz einfach noch lieber, als ein HC-Strache auf Platz 1. Auch Häupl selbst war das klar. Er sieht das Ergebnis nicht als Auftrag einfach so weiter zu machen. Immerhin!
Was erwartet Wien?
Rot-Grün wird also dringend Veränderung brauchen. In welchen Punkten?
Rot...
...muss einsehen, dass es einen Großteil der Kernwählerschaft verloren hat. Die uneinnehmbare rote Hochburg in Wien existiert endgültig nicht mehr (wenn sie das überhaupt noch tat). Häupl muss sich jetzt der viel zitierten geliehenen Stimmen als würdig erweisen, diesen zuhören (ich wiederhole mich, aber ums Zuhören geht‘s einfach) und den Wählern zeigen, dass er zurecht die Geschicke dieser Stadt leitet (die trotz diverser Unkenrufe noch immer an der Decke der Lebensqualität kratzt). Es ist zu hoffen, dass er diese Erwartungen verinnerlicht hat. Sonst könnte es bald übel aussehen (siehe hierzu und generell zum Thema den exzellenten Artikel von Frau Rohrer).
Grün...
wird erst einmal Schwierigkeiten haben, den Vertrauensverlust durch Vassilakous Rücktrittsfarce aufzuarbeiten. Danach sollte man schnellstens darüber nachdenken, was eigentlich die wichtigsten Punkte für Wien sind. Die Bildung oder das Binnen-I? Arbeitslosigkeit oder Parkpickerl? Ganz nebenbei könnte auch ein Reflexionsprozess nicht schaden, ob denn nur der „Rechtsruck in der Gesellschaft“ an den Wahlergebnissen und der Unzufriedenheit Schuld ist. Oder ob man da vielleicht selbst ein wenig mitverantwortlich ist.
Nicht vergessen!
Was ist eigentlich mit der nicht allzu kleinen Menge an Wählern der „geschlagenen“ FPÖ? Abhaken und nicht mehr dran denken? Nein, auch ihnen muss man einmal zuhören. Wie schon einmal erwähnt, haben wir es ja hier nicht mit einer riesigen Menge an „dummen Nazis“ zu tun, auch wenn es sich viele oft sehr gerne so leicht machen. Und eine Vielzahl an Problemen die die FPÖ angesprochen hat, hat sie ja nicht einfach im Kern erfunden, sondern allenfalls stark übertrieben. Es ist durchaus legitim die Parteipolitiker und Programme „auszugrenzen“. Aber bitte nicht die Wähler. Ich zitiere mich ungern selbst (ok, das war gelogen) aber: „Zuhören. Ernst nehmen. Antworten haben. „
Was bleibt?
Die Wienerinnen und Wiener haben gesprochen. Die Message an Rot-Grün: „Wir vertrauen euch trotz allem. Noch!“. Und dieses „Noch“ sollten sich die Koalitionspartner gut zu Herzen nehmen. Denn Wien erwartet und verdient ein wenig mehr Programmpunkte als nur „keine Hetze“.