Die natürliche Katastrophe
Der Anlass für diese Überlegungen ist eine Diskussion auf der Blog-Plattform „Fisch und Fleisch“ hinsichtlich eines Artikels über die Irreführung von Werbung.
Die zugehörigen Gedanken sind für mich nicht neu, damit beschäftige ich mich schon lange Zeit und ich möchte hinzufügen, dass nichts in meiner Lebensführung unmittelbare Ableitungen aus den hier geäußerten Überzeugungen aufzuweisen scheint.
Das Thema war die Verlogenheit bei Bio-Bezeichnungen. Manches Gemüse, welches mit „Bio“ ausgezeichnet ist und auch tatsächlich keine chemischen oder genetischen Verfremdungen erfährt, wird unter Bedingungen hergestellt, die den Bio-Begriff bereits wieder als unzureichend erscheinen lassen. Der zugehörige Artikel findet sich auf der Blog-Plattform.
Mir geht es hier um den werbetechnischen Aspekt. Als Kind habe ich Werbung bereits erlebt. Sie war anders. Es gab z.B. vergleichende Werbung, die später verboten wurde. Es hieß auch, dass bewusste Lügen in der Werbung verboten sind. Das war gesetzlich festgehalten worden. Es gab weniger Werbung, aber es war bekannt, dass Werbung im Fernsehen doch extrem kostspielig war.
Meine Beobachten zeigen mittlerweile, dass direkter Konkurrenzvergleich noch immer verboten scheint. Vergleichswerbung wird immer anhand „grauer“ nicht näher spezifizierten Vergleichsbeispielen dargestellt, ob es sich jetzt um die Kapazität von Batterien oder den Weiß- oder Fleckenentfernungsgrad darstellt. Sehr nett finde ich ja die Verwendung des Wortes „endlich“ in der Werbung. „Endlich“ haben unsere Wissenschaftler die absolut „beste Eigenschaft“ eines Mittels entwickeln können. Das trifft auch für Geräte wie Zahnbürsten oder Ähnliches zu. Die Endlichkeit setzt sich mittlerweile schon 50 Jahre fort. So lange kann ich das aus meiner Erinnerung bestätigen.
Die Lüge ist nicht mehr verboten. Auch nicht in der Selbstbewerbung, wie man anhand der anstehenden Bundespräsidentenwahl sehen konnte. Hier muss ich einen persönlichen Erfahrungsbericht anfügen. Im Jahr 1989 ließ mein Chef einem Kollegen von mir und mir selbst einen dreitägigen Rhetorikkurs bei Brigadier Peter-Erik Czak angedeihen, der als härtester Trainer galt. Damals war NLP noch nicht so in Mode, aber der Kurs war tatsächlich einiges wert. Auch wenn es ethisch vielleicht nicht vertretbar ist, habe ich mir unter anderem gemerkt, dass Lügen in einer Diskussion erlaubt sind, wenn sie nur laut und bestimmt genug vorgebracht werden. Das warf alle Regeln über Bord, die ich in Amerika beim Diskussionsunterricht gelernt hatte. Czak brachte uns in einer abschließenden Übung dazu, dass auch die bescheidensten und ruhigsten Teilnehmer sich im gegenseitigen Anbrüllen auszeichneten. Der Zweck heiligt die Mittel.
Ich wurde daran erinnert, als ich die letzte Diskussion zur Bundespräsidentenwahl sah.
Lügen darf man mittlerweile in der Werbung. Es fällt mir leicht, dies zu beweisen. Es gibt Werbesendungen im Fernsehen, deren Produkte regelmäßig mit einem Preisangebot enden, welches „NUR HEUTE“ gilt. Dass diese Sendungen monatelang und jahrelang unverändert laufen, bedeutet einfach, dass der Begriff „nur heute“ entweder einer anderen Sprache entnommen ist, wo er vielleicht „immer wieder“ heißt, oder dass er nach landläufigen Vorstellungen schlicht gelogen ist.
Was hat sich in der Werbung verändert? Ist Werbung prinzipiell schlecht? Das kann man so nicht behaupten. Ganz im Gegenteil, Werbung informiert und weist auf Dinge hin, die man als Einzelperson gar nicht in Erfahrung bringen könnte. Ich habe einmal einen utopischen Roman gelesen, in dem darauf hingewiesen wurde, dass die beste Information über ein Zeitalter, in dem man nicht selbst aufgewachsen ist, die Werbung in der Zeitung wäre. (Es ist eine alte utopische Geschichte, bei der die Fernsehwerbung noch nicht in unserer Form bekannt war.)
Werbung hat sich aufgrund der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Psychologie und Soziologie so weit entwickelt, dass sehr effiziente Darstellungen gefunden werden können, um die Menschen zu beeinflussen. Dabei muss sie heute nicht mehr auf „sublimimal messages“, kürzestzeitige Einblendungen, die nicht bewusst wahrgenommen werden, zurückgreifen. Meines Wissens nach sind jene heute auch verboten. Es gab aber eine nette Columbo-Folge, in der sie eine Rolle spielten. Der Verbrecher war ein Spezialist in Motivforschung.
Werbung ist ein Werkzeug, welches vom heutigen Turbokapitalismus verwendet wird. Auch unter dem Kommunismus gab es Werbung. Und Propaganda gab es ja ebenfalls auch schon früher. Manchmal wird behauptet, dass sich die Werbespezialisten einiges bei Göbbels abgeschaut haben.
Ist der Kapitalismus schlecht? Das kann man ja schwer so behaupten, denn er ist ein Beiprodukt der modernen Demokratie. Jeder darf sich das besorgen, was er will, nicht dass was ausschließlich gemäß einem Fünfjahresplan erzeugt wurde.
Ist die Demokratie schlecht? Gilt sich nicht als die Staatsform, welche erst „die“ - oder besser „eine“ - Freiheit des Menschen bereitstellen kann. Ich wollte garantieren schreiben, aber diese Überzeugung habe ich nicht.
Dort wo die Demokratie erfunden wurde, war sie auch keine dauerhafte Staatsform. In Griechenland wechselten Demokratie, Plutokratie und Diktatur, die damals Tyrannei hieß, in regelmäßigen Zyklen ab. Dies wird vor allem von den Amerikanern, die sich als Erfinder der neuen Demokratie glauben, regelmäßig vergessen.
Jetzt könnte man zu dem Schluss kommen, dass wir regierende und entsprechend handelnde Personen brauchen. Ob das einmal der Absolutismus unserer Prägung war oder eine Häuptlingskultur, ist gar nicht mehr so wichtig in der Unterscheidung. Bei manchen Völkern muss der Häuptling so gefunden werden, dass er sich als der Stärkste des Stammes beweist. In unseren kultivierten Ländern muss er zeigen, dass er der Reichste ist. Das muss er nicht persönlich sein, doch er muss zeigen, dass er die größten Denkmäler und Bauten hinterlässt. Oder er fördert die Kultur, welches ich persönlich ja auch nicht als schlecht bezeichnen würde. Wie hätte wohl ein Haydn, der als einer der größten Musiker verehrt wurde, ohne Esterhazy leben können.
Das ist also auch noch nicht schlecht. Nicht wirklich schlecht.
SCHLECHT ist die fehlende Grenze. Wenn ein Mensch etwas haben will, will er immer noch mehr haben. Das trifft nicht nur auf die „Regierenden“ zu, die eine gewisse Skrupellosigkeit ja auch benötigen, um überhaupt an die Macht anzukommen. Was ich jetzt ausführe, trifft nicht auf alle Menschen zu. Vielleicht nicht einmal auf die Mehrzahl der Menschen, weltweit bezogen. Es heißt ja, dass die Menschen nur in Frieden leben wollen, wenn sie entsprechend genug zu essen haben und an eine Zukunft ihrer Kinder glauben können. Doch die fehlende Grenze bewirkt, dass der Mensch mehr tötet, als er zum Essen braucht. Dass er mehr haben will, als er überhaupt selbst verarbeiten kann. Dass er die Vorstellung, dass es stetiges Wirtschaftswachstum braucht, nicht als Absurdität erkennen will. All dies entsteht aus einer natürlichen Evolution, bei der die Natur entschieden hat, wie sich der Mensch weiterentwickelt, als er von vier auf zwei Beinen laufen lernte. Er benötigte entweder einen größeren Magen, dann wären wir alle Kühe. Oder er brauchte ein größeres Gehirn, wofür sich die Evolution entschieden hat. Eines der beiden war notwendig, um dem Bedarf nach Nahrung entsprechend nachkommen zu können.
Alles andere ergibt sich von selbst. Mit mehr Hirn konnte der Mensch an Nahrung besser herankommen, oder er konnte sie sich auch besser beschaffen und rauben. Irgendwie ist unser Gehirn auch so beschaffen, dass es sich nicht einfach abschaltet, wenn der Magen gefüllt ist. Es gab eben den Gedanken an die Zukunft. Wann der Mensch zum ersten Mal daran gedacht hat, dass er auch sterben muss, ist wohl noch nicht erforscht.
Aber die Sicherung der Zukunft bedeutet Sammeln und Beschaffung von Nahrung und Gegenständen zum Beschaffen der Nahrung. Und sie bedeutet auch, im anderen Menschen einen Konkurrenten zu sehen, der die „mir zustehende“ Nahrung wegnehmen möchte. Abgesehen von einigen sozialen Strukturen, die noch so wie bei den Tieren funktionieren und den Schutz der nächsten Verwandten gewährleisten, wird die Außenwelt als feindlich wahrgenommen. Ich weiß zuwenig über die Verhaltensweisen von Indianern und eingeborenen Stämmen, die vielleicht davon ausgenommen sind. Doch in unserer Gesellschaft ist das Töten anderer Menschen eine „natürliche Handlung“, die letztlich auch immer wieder werbetechnisch beworben wurde.
Sollen wir uns dann darüber aufregen, dass die Werbung für „Bio“ nicht wirklich korrekt funktioniert. Wir sollten uns lieber fragen, wie lange dieser enger werdende Teufelskreis, in den uns unsere menschliche Natur gezwungen hat, noch unsere Lebensfähigkeit ermöglichen wird.