Ich weiß nicht, ob ich hier eine wunderbare Geschichte erzählen kann. Es ist ja auch nicht meine Geschichte. Erlebt haben sie andere. Aber vermutlich ist es ein Wunder, dass ich diese anderen kennen gelernt habe.

Und das geschah so: Meine Frau (sie stammt aus Bremen) ist in einer weitverzweigten Familie groß geworden. Es ist schon lustig, dass ihre Mutter eine von drei Schwestern war, die drei Brüder geheiratet hatten. Aber das ist nicht das Wunder. In der Verwandtschaft gab es einige deutsche Kommunisten, die aus Begeisterung nach Russland ausgewandert waren. Als der zweite Weltkrieg ausbrach und die Russen auch ins Spiel kamen, kamen sowohl zwei der eingezogenen Brüder ums Leben als auch diejenigen, welche freiwillig schon viel früher nach Russland ausgewandert waren.

Aber nicht alle.

Einmal besuchte ich meine Verwandten in Bremen. Im Haus der Eltern meiner Frau wohnten jetzt eine ihrer Schwestern mit ihrem Mann, einem Kinderarzt. Die Kinder waren schon aus dem Haus. Mein Schwager wollte eine kleine Fahrt unternehmen, um jemanden zu besuchen. Ich glaube, dass das Ziel in der Nähe von Münster war, wo sich eine Art von Altersheim für aus Russland zurückgekommene Russlanddeutsche befand. Es war nach 1991, was durch die einfache Ausreisemöglichkeit relativ leicht datierbar ist.

Wir fanden leicht das Heim und auch ein Ehepaar, welches tatsächlich aus Russland zurückgekehrt war. Allein! Der Sohn hatte es vorgezogen in Sibirien zu bleiben. Die beiden waren auch zu einem weitaus früheren Zeitpunkt nach Russland ausgewandert und im Weiteren als Spione festgenommen worden.

Jetzt beginnt das Wunder. Die beiden freuten sich über unseren Besuch und erzählten aus ihrem Leben. Zuerst mussten sie in einem Bergwerk im Ural arbeiten, später kamen sie in ein Lager in Sibirien. Das klingt schon ziemlich schrecklich, wie man allgemein bei der Erwähnung Sibiriens eine Gänsehaut bekommen kann. Schlimmer war aber die Zeit im Bergwerk, wo er oder sie, ich weiß es nicht mehr so genau, eine Lungenentzündung bekam, die gerade noch überwunden werden konnte. Man könnte das vielleicht als Wunder bezeichnen, aber darum geht es in der Geschichte nicht.

Als sie später nach Sibirien kamen, arbeiteten sie irgendwann ihre Spionage-Strafe ab und konnten danach ein Leben in Sibirien beginnen. Sie wurden Bauern mit einem kleinen Haus, sie mussten ziemlich zu Beginn der freien Zeit ihren Sohn bekommen haben. Letztendlich bauten sie sich eine bescheidene, aber zufriedenstellende Existenz in Sibirien auf. Diese war offensichtlich angenehm genug, dass der Sohn später in Sibirien bleiben wollte. Vielleicht war er auch in eine Russin verliebt, das ging nicht aus der Geschichte hervor.

Jetzt beginnt das Wunder. Es hatte eigentlich schon zu Beginn unseres Besuchs begonnen, aber hätte ich gleich davon begonnen, wäre das Ausmaß des Wunders ja gar nicht erfassbar. Ich habe nichts über das Aussehen der zwei Personen beschrieben. Sie war 88, er war 92 Jahre alt. Die Gesichter beider waren von Runzeln übersät, sahen aber sehr gesund aus. Bei beiden stachen blitzblaue Augen durch dunkel gegerbte Haut hervor, keine Spur von Star oder irgendeiner Trübung. Und diese Augen lachten in einem fort. Es war kein Lachen im üblichen Sinne, es war einfach die Mimik von Augen, welche ausgesprochen freundlich und zufrieden in die Welt sahen. Die Klarheit dieser Augen war bestechend.

Und während sie uns ihre Lebensgeschichte bei einer Tasse Kaffee erzählten, und in der direkten Erzählung waren die Umstände schon etwas grausiger, als ich sie jetzt in der Zusammenfassung beschrieben habe, wurde deutlich, zu erkennen, wie stark sie im Meistern ihres Lebens gewesen waren. Sie freuten sich sehr, wieder nach Deutschland zurückgekommen zu sein. Mit der Unterbringung im Heim waren sie absolut zufrieden. Soviel ich weiß, bekamen sie von Deutschland aus eine ausreichende Rente bezahlt.

Das Wunder lässt sich allerdings auf eine ganz andere Weise erläutern. Als wir uns verabschiedeten, sagte die Frau:

„Wir hatten unheimliches Glück, in der ganzen Zeit unserer Gefanngenschaft wurden wir nie getrennt.“ Und als ich beobachtete, wie sie ihren Mann ansah, konnte ich mir vorstellen, wie wahres Glück aussehen kann.

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Petra vom Frankenwald

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fischundfleisch

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robby

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