Ganz alleine sitze ich in der Lady of Grace. Vor einiger Zeit endete die erste Messe und nun warte ich auf die Folgende. Viertel nach neun. Schon über eine halbe Stunde sitze ich nun hier und niemand ist da: Keine Anzeichen für einen beginnenden Gottesdienst. Dieses Land ist schwierig zu verstehen, denn es wird eine weitere halbe Stunde dauern, bis der Priester den Altar betritt.
Außerhalb meiner Reisen bin ich von der Zeit getrieben. Die Zeit gibt mir ein Raster für meinen Tag. 16-18 Stunden hat ein Tag effektiv für mich, wenn ich meine sechs bis acht Stunden Schlaf abziehe. Meistens nehme ich mir zu viel vor. Oft schaffe ich dennoch alles. Manche meinen ich haste von Termin zu Termin und von Vorhaben zu Vorhaben
Ich denke, dass ich produktiv bin und meine Zeit einfach gut nutze. Doch auch dabei entsteht Stress.
Stress?
Ich glaube, den kennen die Menschen in Uganda nicht. Zeit hat in Uganda nicht den gleichen Wert wie in Europa.
Es ist mein erster Tag im kleinen Dorf Nandere. Ich warte auf William, den Förster, der mich um 7 Uhr morgens abholen wollte. Nach fast zwei Stunden öder Wartezeit entscheide ich mich beim Putzen der Kirchenfenster zu helfen. Bis zum Nachmittag helfe ich dort aus. Irgendwann, mit fast sieben Stunden Verspätung, erscheint William mit den Worten
"Komm, hol´ deine Sachen. Wir fahren in den Wald.“ –
"Hi William, ich freue mich auch dich zu sehen. Super, dass du schon da bist." entgegne ich ihm sarkastisch, weil er in keinster Weise auf seine Verspätung eingeht.
Gut zwei Wochen später warte ich wieder auf William. Aber inzwischen habe ich viel gelernt. Ich habe gelernt, dass es Multitasking in Uganda nur selten gibt und die Menschen eine Sache nach der anderen erledigen, lieber morgen als heute, manchmal auch einfach gar nicht, aber niemals gleichzeitig. Ich warte in meinem Zimmer und lese einen englischsprachigen Krimi. Es regnet. Auch in der Story im Buch. Eine Stunde vergeht. Und auch eine zweite Stunde Wartezeit verbringe ich in meinem Zimmer. Dann klopft es an meine Tür. William ist endlich da und holt mich ab. Er entschuldigt sich und meint, dass es regnete als er los wollte. Mir fällt auf, dass das Wetter hier vieles aushalten muss, denn in sämtlichen Lebensbelangen wird ihm die Schuld in die Schuhe, nein, wohl eher in den Himmel geschoben. Keine Arbeit am Vormittag, weil es leicht nieselt, und keine Arbeit am Nachmittag, weil es zu heiß ist. Sie sind schon manchmal witzig, die Ugander.
Während ich darüber nachdenke, welche Ausreden die Männer in Nandere wohl heute parat haben, springt die Uhr unseres Toyota Geländebusses von 1.59 Uhr auf 1.00 Uhr. Haben die Menschen mehr Zeit in Uganda? Oder nehmen sie sie sich einfach?
Sie nehmen sich Zeit.
Verzweifelt versuchen Emma und ich Ende März einen Copyshop in Wobulenzi zu finden, denn wir wollen ein paar Arbeitspläne kopieren und anschließend aushängen. Einige Copyshops sind geschlossen, andere haben aktuell keinen Strom. Nach ein paar Minuten erreichen wir einen Copyshop, in dem wir den Besitzer antreffen. Als Emma ihm die Kopievorlagen gibt, verweist er auf ein Schild neben dem Shop und murrt uns an, dass er gerade Mittagspause mache.
Am Nachmittag waren wir auf dem Feld arbeiten. Pünktlich zum Abendessen und mit tief knurrendem Magen erreichen wir das Gelände des Pfarrhauses. Bei Tisch sprechen wir mit Father Joseph. Auch er war den ganzen Tag unterwegs und speist mit uns. Nach einigen ausschweifenden Erzählungen stellt er fest, dass er seit knapp fünfzehn Minuten einen Termin in einem etwa 20 Kilometer entfernten Dorf hat. Ich frage, ob er den Termin vergessen hat. Er verneint und meint, dass er erst etwas essen wollte. Bescheid gegeben hatte er natürlich noch nicht. Nachdem er über 30 Minuten überfällig war, verließ er den Hof.
Zuvor musste er mir noch den Unterschied zwischen African und European Time erklären. In Uganda sind die vereinbarten Zeiten nur Richtwerte. Niemand ist in Uganda pünktlich. Weder in der Kirche, noch bei einem Geburtstag oder einer Vorhochzeitszeremonie. Doch an einem Ort in Uganda, da schaffen sie es dann doch pünktlich zu sein – am Flughafen.
Und irgendwie, ja, ich habe keine Ahnung wie, funktioniert das System in Uganda. Der einzige, der immer wartet und seine Zeit nicht als ausreichend genutzt empfindet, bin ich - ich der Europäer.