"Ich habe zuletzt entdeckt wie schön unser Land ist und wandere seit dem gerne in den deutschen Mittelgebirgen." beginnt einer meiner Mitwanderer die Vorstellungsrunde. Ich sitze zwischen mehr als einem Dutzend Outdoornerds, die jedes Sommerwochenende für ausgiebige Wanderungen in der Natur nutzen. Mein Anspruch ist es stets so umweltfreundlich wie möglich zu reisen, doch meine Mitwanderer geben dieses Mal den ökologischen Ton vor. Mit dem Zug oder Mitfahrgelegenheiten sind sie in den Westerwald gereist, sie tragen Funktionskleidung namhafter Outdoormarken und sind gerüstet für eine 45-Kilometer-Wanderung. Wir sind gerüstet für einen ganzen Tag der Natur und sind bereit unsere Grenzen auszutesten.
Das Wanderabenteuer beginnt
Mit dem Bus werden wir am folgenden Tag im Hotel in Bad Marienberg abgeholt. Eine ganze Weile dauert die Fahrt bis zum Hofgut Dapprich, an dem unsere Tour starten soll. Tiefe Nebelschwaden überziehen den Himmel wie eine feine Schaumschicht auf meinem morgendlichen Cappucchino. Es nieselt unentwegt. Meine Beine sind schlapp, ich bin müde und döse während der Busfahrt leicht weg.
Ungemütlicher könnte es kaum sein. Ein letzter Fruchtsmoothie und dann geht’s los, genau in einem Moment, als der Regen stärker wird. Zum Glück habe ich einen Poncho dabei, den ich für weniger als zehn Euro mal in einem Outdoorladen gekauft habe. Er riecht streng nach Plastik, fast genauso furchtbar, wie in diesen 1€-Läden. Aber dennoch hält er mich trocken.
Tiefe Pfützen haben sich auf unserem Pfad gebildet. Millionen Nacktschnecken feiern Ausgang. Seit Wochen regnet es in Deutschland wie aus Kübeln. Der Rhein tritt längst über die Ufer. Aber all die Nässe hat auch Vorteile. Es ist eben wie immer die Art der Sichtweise, die entscheidet. Zum einen haben die Allergiker weniger mit den Pollen zu tun und zum anderen erwacht die Natur aus einem langen Schlaf und strahlt in den grünsten Grüntönen, die Mutter Natur nur bieten kann.
Ich genieße den frischen Duft des Regens, als mir der Wanderspruch der Westerwälder in den Sinn kommt. Mit einem kräftig fragenden „Hui! Wäller?“ und unserer verschlafenen Antwort „Allemol!“ sind wir mit unserem Wanderführer Josef in den Tag gestartet.
Den Wandersgruß gibt es bereits seit 1913. Sein Schöpfer Adolf Weiss argumentierte vor über 100 Jahren, google ich mit nassen Fingern:
„Hui, Wäller?“ – „Allemol!“ so tönt der Ruf
Den in meiner Sehnsucht nach Wein ich schuf.
Das Hui hat mich der Sturmwind gelehrt,
Wenn wild über unsre Heiden er fährt,
Und Wäller, wir ja allzumal sind,
Wir trotzen dem Regen, dem Schnee und dem Wind.
Na dann mal weiter, trotzen wir dem Regen. Wind und Schnee halten sich glücklicherweise in Grenzen. 4 Kilometer, 8 Kilometer, 11 Kilometer, 17 Kilometer … unsere zurückgelegte Strecke wird konstant länger und der Himmel klart zunehmend auf. Sehnsucht nach Wein macht sich entgegen der Argumentation Weiss´ nicht breit. Doch um wieder zu Kräften zu kommen, trinken wir während unserer Pausen Wegweiser, einen Zwetschgenbrand, der Birkenhof Brennerei.
Nacktschnecken rennen mit uns ins Ziel
Am Zwetschgenbrand kann es dennoch nicht liegen, als ich nach über 30 Kilometern erstmals den Wegweiser des Westerwaldsteigs nicht erkenne.
Der Westerwaldsteig wird mit einem grünen W auf weißem Grund markiert, die Wellertouren hingegen mit einem weißen W auf grünem Grund. Für ahnungslose Wanderer kann das ziemlich verwirrend sein.
Es ist inzwischen immer wärmer geworden und die Sonne kribbelt auf meiner Haut und kitzelt in der Nase. Feuchte Nebelschwaden ziehen über die klitschnassen Wiesen und immer mehr Insekten und Waldbewohner schwirren und fliegen umher. Die Regenzeit scheint zu überwunden, lasst uns feiern, denken auch die Nackschnecken, die sich in den leuchtendsten Farben auf unseren Wanderwegen vergnügen.
Meine Beine sind schwer. Die ollen Nacktschnecken haben es gut, die haben keine Beine und gleiten einfach nur so daher. Dennoch heißt es durchhalten. Ans Aufgeben denkt niemand aus unserer Wandergruppe.
Doch dann erreichen schneller als erhofft und später als erwartet den Stöffelpark, der das Ende unserer Wanderung markiert. Der Westerwaldsteig geht hier hindurch. Doch nach 48 Kilometern ist Schluss für uns. Trockene Kleidung und eine heiße Dusche warten. Während ich mich aus meinen Wanderschuhen zwänge und meine warmen Füße auf den Aspahlt stelle, hallt der letzte Satz von Katrin in meinem Ohr "Ich habe mich nach der Geburt meiner Kinder besser gefühlt".
Und genau in diesem Moment wache ich aus meinen tiefen Naturgedanken auf. Ich war die ganze Wanderung über eingetauscht in das Setting der Natur, habe den Regen gehört, das schwüle Wetter auf meiner Haut gespürt und einen Hauch tropischen Sommers geschmeckt. Was gibt es wohl besseres als die Natur und eine eintägige Wanderung, um richtig raus zu kommen? Richtig, eine mehrtägige Wanderung!