http://www.br.de/radio/bayern2/wissen/iq-wissenschaft-und-forschung/mensch/borderline100.html

Es wurde gerade mal in einem Forum die Frage gestellt, warum heutzutage bei Trennung so wenig auf psychische Störungen geachtet werden. Egal ob die Ex eine diagnostizierte Borderlinerin ist oder der Ex Züge einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung zeigt: Bis die Sachbearbeiter und Richter deswegen Aktiv werden vergeht eine gefühlte Ewigkeit.

Warum das so ist kann einige Gründe haben.

Der eine Grund ist, dass heutzutage jeder zweite »Psychologie Heute«-Leser glaubt eine fundierte Psychoanamese zu machen, sprich Persönlichkeitsstörungen oder psychische Erkrankungen diagnostizieren zu können. Einmal die Kriterien für einen Narzisten bei Wikipedia nachgeschlagen, und man wird bestimmt das eine oder andere Kriterium finden, welches auf den Ex zutrifft. Dann lässt sich natürlich schön herum erzählen, dass der Ex ein Narzisst vor dem Herren ist und das Mitleid der Freunde ist einem sicher.

Ich hatte auch schon eine Partnerin, die erstaunlich viele Kriterien einer Person mit Borderline-Persönlichkeitsstörung erfüllte. Trotzdem hätte kein Psychologe sie als Person mit entsprechender Persönlichkeitsstörung klassifiziert. Erstens fehlten einige relevante Eigenschaften. Zweitens gab es andere Eigenschaften, die überhaupt nicht zu dieser Persönlichkeitsstörung passten. Zum Glück hatte ich mir ihr kein Kind und kam nicht in Verlegenheit beim Jugendamt über ihre Charakterschwächen reden zu müssen.

Das Problem ist, dass Menschen komplexe Wesen sind. Psychologen tun sich schwer damit, eine echte Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren. Erstens ist das stigmatisierend. Zweitens passen Menschen nicht immer in die Schubladen, die der ICD-10 (das Standardwerk für psychische Erkrankungen) zur Verfügung stellt. Außerdem können einige Aspekte einer Persönlichkeitsstörung durchaus hilfreich im Leben sein. Mit dem instrumentell-dissozialen Verhalten einer antisozialen Persönlichkeit hat man z.B. gute Chancen als Hedgefondsmanager oder Investmentbanker erfolgreich zu werden. Einige Führungskräfte hätten es ohne ihr grandioses Auftreten als narzistische Persönlichkeit niemals in eine Führungsposition gebracht. Diese Menschen werden befördert, bis die narzisstischen Elemente nicht mehr über ihre Inkompetenz hinwegtäuschen können.

Der zweite Grund ist, dass es einfach so viele Menschen mit Persönlichkeitsstörungen gibt. Aldous Huxley lies sich mal zu dem schönen Satz hinreißen:

»Wenn ich auch nicht weniger als in der Vergangenheit die betrübliche Gewißheit hege, daß geistige Gesundheit eine recht seltene Erscheinung ist, so bin ich doch überzeugt, daß sie möglich ist, und sähe sie gern häufiger.«

(Aldous Huxley)

Es gibt leider doch eine erschreckend große Anzahl an Menschen mit Sozialisationsproblemen, die sich in Persönlichkeitsstörungen niederschlagen. Der letzten Auflage der »Bibel der Psychiatrie«, kurz »DSM-5« genannt, wurde schon u.a. in der Zeit kritisiert.

»Ende Mai werden auf der Welt plötzlich Millionen Geisteskranke mehr leben. Denn die größte Psychiatervereinigung trifft sich in San Francisco und veröffentlicht die fünfte Neuauflage der Bibel ihrer Zunft, das DSM-5. Nach der Überarbeitung des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) werden aus leichten psychischen Störungen plötzlich echte Krankheiten, aus Gesunden über Nacht Kranke.«

3-7 % der männlichen Bevökerung haben eine Antisooziale Persönlichkeitsstörung, 2% sind Borderliner, 3-5% leiden an einer selbstunsicheren oder ängstlich-vermeidenden Persönlichkeitsstörung. Für Menschen mit einer Narzistischen Persönlichkeitsstörung gibt es keine belastbaren zahlen, was vermutlich auch mit der geringen Krankheitseinsicht dieser Personen zu tun hat.

Insofern ist es manchmal schon angebracht; kritisch zu hinterfragen, inwiefern wir heutzutage, einige etwas absonderliche Verhaltensweisen gleich als psychische Krankheit klassifizieren und im Falle von Eltern, ob wir deshalb jedes mal, wenn wir Symptome wittern, den Elternteilen das Kind wegnehmen wollen.

Der dritte Grund weshalb Jugendämter oft nur mit den Schultern zucken, ist, weil sie mit diesen Vorwürfen überhäuft werden. Das ist ähnlich wie mit dem Missbrauchsvorwurf.

In der Vergangenheit wurden diese Vorwürfe gerne in den Raum gestellt, um von ungeübten oder übervorsichtigen Jugendamtsmitarbeitern Unterstützung zu bekommen, wenn man seinen Ex vom Kind fernhalten wollte.

Mit der Zeit sprach es sich aber herum, dass die Ex-Partner der »Wolf«-SchreierInnen nicht immer Wölfe waren. Deshalb erzeugt man mit einem Missbrauchs- oder Persönlichkeitsstörungsvorwurf heute oft nur noch ein müdes Lächeln, solange diese Vorwürfe nicht von neutralen Stellen vorgetragen werden. Das ist gut für jene Eltern, die sich ungerechtfertigt einem Missbrauchsvorwurf oder der Unterstellung einer Persönlichkeitsstörung gegenüber sehen. Schlecht ist es für Kinder, die wirklich unter solchen Eltern zu leiden haben, denn denen hilft man kaum noch. Bedanken kann man sich hier bei den Alleinerziehenden- und Mutterlobbygruppen, die ihrer Klientel in der Vergangenheit auf diese Weise zum Alleinerziehendenstatus verholfen haben. Egal, ob der Ex-Partner ein netter und fürsorglicher Vater gewesen wäre.

Ich stelle es mir in einigen Fällen nicht leicht vor, zu entscheiden, welcher Elternteil im Interesse der Kinder eher Unterstützung verdient. In den meisten Fällen, mit denen sich das Jugendamt beschäftigt, gibt es wenigstens einen verletzten Elternteil, der seine verletzten Gefühl mit Hilfe des Kindes am anderen Elternteil auslassen will. Schlimm wird es für das Kind, wenn es beide Elternteile so unreif sind. Dann haben die Kinder gar keinen ruhenden Pol mehr gibt, bei dem sie leben und beide Eltern lieben können. Insofern helfen Sie ihren Kindern am meisten, wenn Sie nicht dieser Elternteil sind.

Mein Tipp:

1. Bevor sie sich ans Jugendamt wenden, kriegen Sie Ihre Paarebene aussortiert. Finden Sie Ihre eigenen Anteile, am Scheitern der Beziehung. Seien sie versichert: Selbst wenn er oder sie mit einem anderen ins Bett gegangen sind, sind Sie selber deshalb nicht unschuldig. Damit bekommen sie ein gelasseneres Auftreten und müssen den Mitarbeitern nicht erzählen wie schlecht doch der andere Elternteil ist.

2. Wenn Sie den Verdacht haben, ihr Partner könnte eine kindeswohlabträgliche Persönlichkeitsstörung haben: Gehen sie nicht zum Jugendamt und sagen: »Mein ex hat <hier bitte Persönlichkeitsstörung ihrer Wahl eintragen>.« Die Verhaltensweisen, die einen Beunruhigen zu beschreiben und fragen wie man damit umgehen soll, ist hilfreicher und effektiver. In einigen Fällen wird man ihnen vielleicht trotzdem sagen, man solle sich nicht aufregen. Das sehe manchmal schlimmer aus als es ist, aber vielleicht haben die Damen und Herren ja auch recht. Nicht alles was Trennungseltern für Kindeswohlgefährdung halten, ist auch wirklich welche.

Wenn sie jetzt auf die Idee kommen, die Symptome von Borderline auswendig zu lernen und zu unterstellen Ihre Ex benehme sich so: Lassen sie es. Das funktioniert schon beim Missbrauch mit dem Missbrauch kaum noch. Beim Thema Persönlichkeitsstörungen werden die Mitarbeiter sicherlich mit der Ex-Partnerin reden, bevor sie ihr das Kind wegnehmen. Wenn sie dann nichts von den beschriebenen Symptomen zeigt, dann wird Ihnen da niemand mehr glauben. Und schlimmer noch: Jeder Nachfolger, der wirklich eine solche Ex hat, wird erst mal in Ihre Schublade geschoben: »Ach schon wieder so einer, der seiner Ex die Kinder wegnehmen will.«

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