Es ist lustig, wenn ein Jurist wie Prof. Dr. Martin Löhnig für das Editorial der sogenannten Schülerzeitung für Fachjuristen (das NJW) so inkompetent Stellung gegen das Wechselmodell und die zugehörige Resolution 2079 des Europarates Stellung bezieht:
„Manche Menschen genießen es, keinen festen Lebensmittelpunkt zu haben. Sie lieben das Leben in verschiedenen Wohnungen und schätzen langjährige Fernbeziehungen ebenso wie langfristiges berufsbedingtes Pendeln. Sie leben einfach gerne aus dem Koffer und freuen sich darüber, einmal angekommen, schon wieder an die Abfahrt denken zu müssen. Deswegen ist es nur allzu verständlich, dass der Europarat nun angemahnt hat, Kindern nicht länger diesen überaus angenehmen Lebenszuschnitt vorzuenthalten. In einer Resolution hat der Rat deshalb postuliert, dass Kinder getrennt lebender Eltern zu gleichen Teilen bei beiden Eltern zu wohnen haben. Ausnahmen sollen nur gemacht werden dürfen, wenn das Kindeswohl in Gefahr ist, was für den Rat kaum vorstellbar scheint.“
Vielleicht hätte er sich mal das Urteil seiner Kollegen vom Amtsgericht Heidelberg durchlesen sollen. Die sagen sehr deutlich, welche Grundvoraussetzungen geschaffen werden müssen, damit das Wechselmodell kindeswohlverträglich realisierbar ist
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„Die Voraussetzungen für ein Wechselmodell müssten allerdings vorliegen und dem Kindeswohl am ehesten entsprechen.
Voraussetzungen für das Wechselmodell seien
- Wohnortnähe zu den Einrichtungen der Kinder
- betreuungskompatible Arbeitszeiten
- ausreichender Wohnraum bei beiden Elternteilen
Keine zwingende Voraussetzung für das Wechselmodell sei, dass beide Eltern stets gut kooperierten. Es komme vielmehr darauf an, wie sie mit einer Meinungsverschiedenheit umgingen. Die Eltern seien aber auch gehalten, schwelende Trennungskonflikte zu beenden.“
Wenn man den Eindruck erweckt, dass das Wechselmodell mit dem Lebensalltag eines Europaabgeordneten zu vergleichen ist, der in seiner Heimat einen Wohnort zum Leben und in Brüssel einen zum Arbeiten hat, dann muss man sich nicht wundern, dass ein so dummes Urteil dabei herauskommt, denn zwei der essentiellen Grundvoraussetzungen, die kein mir bekannter Wechselmodellverfechter bestreiten würde, lässt Herr Löhnig wegfallen:
1.) Die Nähe zum sozialen Umfeld des Kindes bei beiden Eltern,
2.) Ausreichend Platz und damit auch ein eigener Kleiderschrank mit den Dingen die ein Kind zur Bewältigung des Alltages braucht. Das gerne kolportierte Klischee, dass Wechselmodellkinder aus dem Koffer leben, kenne ich von niemanden der das Modell praktiziert.
Wenn das Wechselmodell wirklich mit der Pendelei eines Europaabgeordneten vergleichbar wäre, dann wäre das Wechselmodell tatsachlich nicht kindeswohltauglich.
In der Argumentationstheorie nennt man das diesen Fallacie „Irrelevant Fact“, denn er betrachtet eine irrelevante Zielgruppe für die Bestätigung seiner Haltung.
Das wäre so, als würde ich die Gruppe der Frauen, die ihre Kinder nach der Geburt umbringen als Argument gegen das weibliche Sorgerecht qua Geburt heranziehen.
Die wenigstens Eltern, die über zweihundert Kilometer entferntvoneinander wohnen, kämpfen darum das Wechselmodell zu praktizieren, und wenn sie es tun, wären sie genau der Fall, der mit der Einschränkung der Resolution 2097 zu vereinbaren ist: „Wenn das Kindeswohl nicht gefährdet ist.“
Hier auch noch den Fehler zu begehen und Berthold Brechts „Der kaukasische Kreidekreis“ als Sinnbild für die Wechselmodell-Entscheidung von Gerichten heranzuziehen, spricht entweder für eine literarische oder kinderpsychologische Inkompetenz. Das einzige, wofür der gute Berthold Brecht herangezogen werden kann, um auf Konfliktfälle vor dem Familiengericht angewendet zu werden, ist, dass bei Berthold Brecht die biologische Kindesmutter eben gerade nicht diejenige ist, die am Kindeswohl interessiert ist, wenn sie am Kind festhält. In dem Stück will sie ihr Kind nämlich nur wiederhaben, weil das Kind eine Erbschaft zu erwarten hat, von der sie sich ein Leben in Saus und Braus verspricht.
Ich empfehle, vor solchen literarischen Verweisen doch einfach mal wenigstens die Inhaltsangabe bei Wikipedia zu lesen.
Verwunderlich ist, dass viele europäische Nachbarn offensichtlich keine Probleme mit diesem Modell haben. Das Wechselmodell hat dort bislang nicht nicht zu einer Unmenge an Problemkindern und Sorgerechtsstreiteren vor Gericht geführt.
Besonders schön finde ich die Sammlung an rhetorischen Fragen, mit welchen Herr Professor Dr. Martin Löhnig das Wechselmodell diskreditieren möchte:
„Wird sich das Kind bei seinen Eltern darüber beschweren? Vielleicht will es nicht auch noch Probleme machen, wo doch schon alles in die Brüche gegangen ist. Vielleicht hat es auch Verlustängste.“
Aus eigener Erfahrung, und von vielen anderen Scheidungskindern kann ich nur sagen, dass das nicht gerade ein Pluspunkt für das Residenzmodell ist, denn die Verlustängste sind größer, wenn eine Bezugsperson komplett wegbricht. Im Residenzmodell ist das die Grundlage des Loyalitätskonfliktes, der gerne mal zur Entfremdung von dem anderen Elternteil führt.
„Kann ein Kind auf Dauer mit zwei wechselnden Erziehungsstilen umgehen, zumal wenn neue Partner der Eltern hinzukommen?“
Das muss ein Kind in einer funktionierenden Beziehung auch oft tun, und wenn es zur Schule geht muss es sogar noch mit einem dritten Erziehungsstil klar kommen. Wenn Oma und Opa im Leben des Kindes eine Rolle spielen, sind es sogar vier, bzw. fünf. Mit dem Fußballverein tritt nummer 6 in sein Leben. Zu lernen, dass in manchen Umgebungen unterschiedliche Regeln gelten ist kein Manko, oder soll das Kind erwarten, dass sein Arbeitgeber später genauso verständnisvoll wie Mama ist? Vor allem: Wer sagt denn, dass im mütterlichen Haushalt die kindeswohlförderlichsten Regeln gelten? Soweit ich weiß sind Kinder aus Residenzmodellhaushalten im Durchschnitt eher verhaltensauffälliger, aber vermutlich hat Frau Sünderhauf mit ihren Studienergebnissen zu dem Thema geschummelt um ebenso plump wie Professor Dr. Löhnig das Residenzmodell zu diskreditieren.
„Wird es umgekehrt die Eltern gegeneinander ausspielen?“
Auch das passiert schon in funktionierenden Familien, und in Trennungsfamilien kann man sich ganz leicht dagegen wehren. Ich habe meinen Kindern zum Beispiel einfach gesagt: „Ist das nicht toll, dann habt ihr einen Grund euch auf die Mama-Woche zu freuen.“. Wenn Sie mir erzählt hätten, dass sie bei Mama aber das „Texas Kettensägen Massaker Teil 17“ sehen durften und bei mir nur so was langweiliges wie „Krieg der Sterne“ und „Lilo und Stitch“ dann hätte ich die Mutter einfach mal angerufen und gefragt. Das fördert die elterliche Kommunikation.
„Fühlt sich das Kind – am Ende gar zu Recht – überflüssig, wenn neue Familien entstehen, in denen andere Kinder kontinuierlich aufwachsen, während es selbst immer nur Gast bleibt?“
Tja, vor dem Problem bleiben Kinder in Residenzmodell Situationen nur bedingt verschont, nämlich wenn Mama – dem Kind zu liebe – Single bleibt, denn auch im Residenzmodell wird das Kind damit leben lernen müssen, dass, wenn Mama und der neue Vater ein Kind bekommen, dieses von den beiden in der Regel mehr geliebt wird, als es selber. Da ist es sogar ganz hilfreich sich dann im väterlichen Haushalt seine Zuneigung abholen können. Einige Kinder entscheiden sich sogar genau dann dazu lieber zum Vater zu ziehen.
Es ist erschreckend mit welcher Selbstsicherheit hier ein Jurist seine Inkompetenz zur Schau stellt und wenn er auf den Verweis auf o.g. Gerichtsurteil nichts besseres zu sagen weiss, als
“…das AG Heidelberg entscheidet gegen geltendes Recht“
dann kann man eigentlich nur sagen: Traurig, dass das in Deutschland so ist, und genau deshalb würde die Resolution 2097 vom Europarat erlassen. Vermutlich glaubt Prof. Dr. Martin Löhnig er würde mit dem runterbeten von Klischees irgendetwas Wertvolles zur Diskussion beitragen.
Natürlich ist das Wechselmodell nicht für jeden Fall geeignet, aber wenn man hier erstmal Gleichberechtigung geschaffen hat, können Eltern hier auch Augenhöhe auch oft eigenständig die Abweichungen definieren.
Wie sagte meine Freundin Renate so schön: "Man kann nicht die Frösche fragen,wenn man den Sumpf trockenlegen will", denn letztendlich sind Juristen die grösten Nutznießer vom elterlichen Konflikt.
Was glauben sie wieviele Richter, Anwälter und Verfahrensbeistände plötzlich einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen müssten, wenn Gleichberechtigung in unseren Gesetzbüchern nicht mehr nur eine Frage des Arbeitsrecht sondern auch eine Frage des Familienrechts wäre, und Eltern anfangen würden auf Augenhöhe ihre Probleme selber zu lösen.