„Europa ist unsere Zukunft, sonst haben wir keine“ (Hans-Dietrich Genscher (*1927), dt. Politiker (FDP), 1974-92 Bundesaußenminister)
Der Termin war lange angekündigt: Am 09.02.16 sollte das Projekt „DiEM25“, initiiert von Yanis Varoufakis, dem ehemaligen Finanzminister Griechenlands, offiziell ins Leben gerufen werden.
Angekündigt war das Ganze als europaübergreifende Bewegung, die Europa demokratisieren soll. Wie ich in anderen Diskussionen schon feststellen durfte, wird dieser Anspruch gerne falsch verstanden. Es geht hier nicht darum, den einzelnen Staaten Europas einen Mangel an Demokratie zu unterstellen, obwohl die demokratische Ausprägung von Land zu Land unterschiedlich gestaltet ist. Vielmehr, so erklärte Varoufakis u.a. im Vorgespräch am Montagabend bei „TalkReal“ in Gesellschaft von Marisa Matias, portugiesischer Präsidentschaftskandidatin für die Linken, Sławomir Sierakowski, den Gründer von Krytyka Polityczna und Valentina Orazzini, internationale Repräsentantin der italienischen Gewerkschaft Fiom Cgil Nazionale, ginge es bei dem Anspruch einer Demokratisierungsbewegung vor allem um die Politik Brüssels, der es an demokratischer Legitimation fehle. Und so lautete dann auch der Einstieg in die Diskussionsrunde:
„We need to do something simple and radical - Put demos back into democracy“ (Wir müssen etwas Einfaches und Radikales tun – Den Demos zurück in die Demokratie bringen).
Dieser sei, auf europäischer Ebene, aus dem politischen Prozess ausgeschlossen worden. Wer sich die europäischen Entscheidungsprozesse ansieht, kann dem kaum widersprechen. Aus dem politischen Kern Europas ist ein unüberschaubarer bürokratischer Apparat geworden, der nicht gewählt und somit auch nicht abgewählt werden kann. Laut der offiziellen Homepage von DiEM25 tummeln sich dort mehr als 10.000 Lobbyisten, Entscheidungen finden unter Ausschluss europäischer Öffentlichkeit statt. Die europäischen, politischen Prozesse sind von den demokratischen Prozessen der Nationalstaaten abgekoppelt, Europa ist in diesem Zustand mehr Technokratie als Demokratie.
Im Gegensatz zu vielen nationalistischen und auch linken Bewegungen in Europa lässt DiEM25 keinen Zweifel an seiner Verbundenheit mit der europäischen Idee. So heißt es in dem „Manifest“ auf der offiziellen Homepage auch schon vor Start der Bewegung:
„Die Europäische Union war eine außergewöhnliche Errungenschaft die die europäischen Völker, die verschiedene Sprachen sprachen und aus unterschiedlichen Kulturen stammten, in Frieden zusammenbrachte und damit bewies, dass es möglich war, einen gemeinschaftlichen Rahmen aus Menschenrechten zu schaffen, auf einem Kontinent, der nicht lange vorher Heimat mörderischen Chauvinismus‘, Rassismus‘ und der Barbarei war.“
Diese innige Wertschätzung für Europa zieht sich durch die gesamte Vorstellung des Projektes DiEM25. Schon deshalb ist die Bewegung einen zweiten Blick wert.
Wo die Rechten und Populisten als Antwort auf den Mangel an Demokratie auf europäischer Ebene nur die Rückkehr zu Nationalstaatlichkeit zu bieten haben, zu klaren Hierarchien, Unterwerfung, Abkehr von allgemeingültigen Menschenrechten, unfähig zu begreifen, welche Vorteile für Frieden, Handel, aber auch für politische Handlungsfähigkeit in der europäischen Union liegen, wagt hier eine linke Bewegung den Umkehrschluss. Sie will nicht mehr und nicht weniger, als Europa zu reformieren, es denselben demokratischen Prozessen und Grundprinzipien zu unterwerfen, wie sie auf nationaler Ebene (noch) in großen Teilen zu finden sind.
So lautet ein Appell auf der Homepage:
„Democratise Europe! For the EU will either be democratised or it will disintegrate!” (Demokratisiert Europa! Denn die EU wird entweder demokratisiert oder sie wird sich auflösen)
Bedauerlicherweise kommen die guten Ideen auch hier nicht ohne eine erhebliche Prise Populismus aus, der hier vor der offiziellen Vorstellung auf der Webseite vor allem in nicht ausgearbeiteten Schlagworten daherkam und sicherlich der Eigenvermarktung im Vorfeld geschuldet ist. Denn auch DiEM25 wirbt um die, die politisches Interesse sowie das Interesse an Europa hinter sich gelassen haben, die Nichtwähler und Abgehängten, die Unzufriedenen. Die Forderungen nach mehr Transparenz, Kritik am Banken-Bailout, an der Macht der Großunternehmen hört und liest man in dieser Form lagerübergreifend von Rechten wie von Linken. Hier fehlt es (bisher zumindest) an klaren Vorstellungen darüber, wie genau man das Ziel erreichen möchte. Auch wenn nach eingehender Lektüre die Richtung klar wird: Hier sind eben, wie bei jedem demokratischen Prozess, die Bürger in der Pflicht. DiEM25 will aufrütteln („Shake Europe gently, compassionately, firmly" )
Gerade die, die auf die Einfachheit einer Renationalisierung hoffen und nach eben dieser schwer desillusioniert werden dürften, denn Nationalstaaten würden nicht handlungsfähiger, sondern im Gegenteil abhängiger vom Handeln der Konkurrenzstaaten und der Märkte, müssten mitziehen. Bleibt zu hoffen, dass dieses Verständnis für die Notwendigkeiten europaübergreifender Mehrheiten und Bewegungen DiEM25 nicht auf lange Sicht den Schulterschluss mit Rechten proben lässt. Sie wäre nicht die erste linke Bewegung, die dieser Versuchung erliegt.
Kaum war heute Morgen die erste Pressekonferenz gelaufen, überschlugen sich die Medien, die sich über Monate auf Varoufakis, aber auch Griechenland ganz allgemein, sowie den Anspruch der griechischen Bevölkerung auf ein demokratisches Mitspracherecht, eingeschossen hatten mit Vorwürfen, das Vorhaben sei reine Utopie. Die Antwort, die man dazu auf der Homepage findet ist diese:
“Our goal to democratize Europe is realistic. It is no more utopian than the initial construction of the European Union was.” (Unser Ziel, Europa zu demokratisieren, ist realistisch. Es ist nicht utopischer, als es die ursprüngliche Konstruktion der Europäischen Union war)
Eine durchaus ernstzunehmende Einschätzung, schaut man sich die Geschichte an. Erfolgreiche gesellschaftsverändernde Prozesse starteten mit der Vorstellung eines besseren Gesellschaftssystems. Und ja, auch Demokratie kann scheitern, kann Rückschläge erleben. Demokratie ist kein feststehender Zustand, der von jemandem gebracht oder erhalten wird. Demokratie ist Bewegung, Veränderung und für jede neue Generation bedeutet er den erneuten Kampf um Grundrechte, die mal selbstverständlich, mal utopisch scheinen. Viele Dinge, die wir heute für gegeben halten, waren mal Utopien. Rechtsstaatlichkeit schien einst ebenso utopisch wie Verfassungen, Abschaffung der Sklaverei, Bürgerrechte, das Verdrängen kirchlicher Macht, um nur einige Beispiele zu nennen.
Der offizielle Launch in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, der via Live-Stream zu verfolgen war, begann mit einem Werbevideo, das mit seinen süßlichen und populistischen Bildern tragischerweise den Kritikern in die Hände spielen wird. Wie für Werbefilmchen üblich, war der Anspruch, ein möglichst breites Publikum anzusprechen und die Inhalte auf simple Aussagen herunterzubrechen, ein denkbar schlechter Einstieg für die, die sich im Vorfeld nicht mit Inhalten und Ideen der Bewegung auseinandergesetzt hatten. Auch hier wiederholte Varoufakis die Aussagen vom Vortag, wies zudem auch noch einmal auf die vier Regeln, denen DiEM25 sich verschrieben hat, hin:
- Kein europäisches Volk kann frei sein, solange die Demokratie eines anderen europäischen Volkes verletzt wird.
- Kein europäisches Volk kann in Würde leben, so lange es einem anderen verwehrt wird
- Kein europäisches Volk kann auf Wohlstand hoffen, solange ein anderes in dauerhafte Insolvenz und Depression gestürzt wird.
- Kein europäisches Volk kann wachsen ohne ein Existenzminimum für seine schwächsten Bürger sicherzustellen, Entwicklung zu ermöglichen, ökologische Balance herzustellen und das Ziel, unabhängig von fossilen Brennstoffen zu werden.
Eine Reihe an Sprechern aus diversen europäischen Staaten, aktiv in Politik und Gewerkschaften, nahmen an diesem Abend die Chance wahr, ihre Ansichten und Hoffnungen in Bezug auf ein anderes Europa zum Ausdruck zu bringen.
Wer sich auf die negativen Aspekte des heutigen Abend konzentrieren möchte, der erwähnt das Eingangsvideo, die Rede von Julian Assange, der wirr und abwesend wirkte, der pickt sich den einen oder anderen Redner heraus, der ihm politisch von jeher nicht ins Konzept passt. Und der hat Recht, denn keine Frage, zu kritisieren gäbe es genug.
Und wer sich ausschließlich auf die positiven Aspekte stürzt, dem kann es passieren, dass die Enttäuschung über ein Scheitern der Bewegung überraschend kommt und ihn dazu bringt, jeden weiteren Ansatz, konstruktiv und demokratisch, rechtsstaatlich und friedlich eine Veränderung Europas herbeiführen zu wollen, mit welchem politischen Konzept auch immer, mit einem Schulterzucken und mit Gleichgültigkeit zu begegnen. Aber auch er hat in seinem Ansatz Recht, denn der Versuch konstruktiver Veränderung verdient zumindest den Raum, ausprobiert werden zu können, ohne bereits im Keim erstickt zu werden.
Die ersten Reaktionen auf die Veranstaltungen lassen befürchten, dass über Differenzen über involvierte Personen und Rhetorik die Idee begraben wird, bevor sie in die Verlegenheit kommt, sich beweisen zu müssen. Eine weitere Enttäuschung für die, die Mühe haben, überhaupt noch an die Möglichkeit eines solidarischen Europa zu glauben.
Dabei sollte man nicht vergessen, dass Menschen, die noch davon überzeugt sind, man könne die Welt demokratisch und konstruktiv gestalten der einzige Lichtblick in Gesellschaften sind, die von Renationalisierung, Rassismus, Hass und in Teilen auch Refaschisierung betroffen sind. Es sind im Zweifel diese Menschen, die Gewerkschaften, Parteien, Organisationen gründen. Menschen, die das nicht mehr für möglich halten, fordern das Schießen auf Flüchtlinge und hohe Mauern.
DiEM25 hat sich und seinen Start heute ausgiebig gefeiert. Ab morgen wird die Bewegung beweisen müssen, was von den vollmundigen Ankündigungen auch in die Tat umzusetzen ist. Und erst fern von den Bühnen, im Umgang mit den Machbarkeiten, wird sich herausstellen, ob das Projekt mehr ist, als eine ideelle Luftblase.
Mir bleibt nur die Bitte an alle Leser, sich weder auf meine Worte, noch auf die der üblichen Pressestimmen zu verlassen, sondern sich ein eigenes Bild zu machen und vor Vorverurteilung wenigstens kurzzeitig in die Materie einzutauchen.
„Nicht ein Europa der Mauern kann sich über Grenzen hinweg versöhnen, sondern ein Kontinent, der seinen Grenzen das Trennende nimmt.“ (Richard von Weizsäcker (*1920), dt. Politiker (CDU), 1984-94 Bundespräsident)