Kaum waren die Hochzeitsbilder der schwedischen Royals via Live-Übertragung und Tagesschau publik gemacht worden (in der altehrwürdigen Tagesschau, dem immer noch als seriös geltenden Fossil deutscher Nachrichtenlandschaft, gab es die Bilder inklusive Begeisterung über eine Braut in „weißer Spitze“, womit das Weltgeschehen wie immer auf den Punkt gebracht wurde) gingen mit Evelyn Roll von der SZ die royalen Pferde durch:
„Angela Merkel – Die stille Königin“
So schwärmt die Journalistin, deren Artikel im Feuilleton deutlich besser aufgehoben gewesen wäre, im Beitrag dann auch:
„Sie ist die mächtigste Frau der Welt, die informelle Königin von Europa.“
Ganz dieser Ideologie folgend schäumt der gesamte Text über vor unterwürfiger Huldigung der Kanzlerin, ganz wie es zu anderen Zeiten Monarchen gebührte.
Kritischer Journalismus, ein Eckpfeiler der Demokratie, erkämpft in jahrelanger Mühe, noch heute nicht überall selbstverständlich, hinweggefegt mit wenigen Sätzen die mich Schamgefühle ob meines eigenen Östrogengehalts entwickeln ließen.
So beschäftigt sich der Text mit der Frage nach Frau Merkels Garderobe, ihrem Auftreten, der „Kanzlerinnenraute“, dem Rätsel um die Bedeutung ihrer nicht vorhandenen Handtasche (um Margaret Thatcher nicht allzu ähnlich zu wirken) und dann mit der Frage, ob Frauen „mit Macht besser umgehen können“.
Dies ist, wie auch im Text selber angemerkt, tatsächlich sexistisch. In beide Richtungen.
Nicht nur wird die Geschlechterfrage über die inhaltliche gestellt, was Männer und Frauen gleichermaßen diskriminiert, auch der restliche Text degradiert die Journalistin selber, und damit die Frau an sich, zu einem Menschen, der sich um nichts Wichtigeres zu sorgen weiß, als um Handtäschchen, Garderobe und Oberflächlichkeiten.
Ein unglaublich vereinfachter und einseitiger Blick auf ein Amt und eine Person, die mehr ist als nur die „erste Frau im Kanzleramt“.
Im Falle von Frau Roll ist diese Frage jedenfalls mit einem klaren „Nein“ zu beantworten, denn die Macht des Journalisten liegt in seiner Möglichkeit, den Leser über Inhalte aufzuklären, kritisch zu sein, zu hinterfragen.
Diese journalistische Idee trägt die Demokratie und der völlige Verzicht darauf bei zeitgleicher Idealisierung monarchischer Strukturen passt hier wunderbar ins Bild des herrschaftsdienlich daherkommenden Artikels.
So wird die „Kanzlerinnenbiographin“ denn auch zur besseren PR-Frau die, einem Strauß Luftballons gleich, bunte Bilder und viel heiße Luft produziert.
Ich kannte die Dame noch nicht und war über alle Maßen entsetzt über den Info-Text zur Person, der mich darüber in Kenntnis setzte, dass ich eine Empfängerin des „Frankfurter Journalistenpreises“ vor mir hatte, eine Frau, die mit „Qualitätsjournalismus“ in Verbindung gebracht wird.
Tatsächlich war es aber der Kommentar einer Facebook-Userin, der mich zu diesem Text veranlasste.
So kommentierte ich den Artikel „Angela Merkel-Die stille Königin“ mit den Worten:
„Und da dachte ich, wir hätten die Monarchie abgeschafft“.
Eine Antwort folgte prompt und es war sicherlich nicht die, die ich erwartet hätte:
„Mit einer Monarchie ginge es uns evt. so gut wie den Norwegern und Schweden ... oder den Niederländern usw.“
Neben ganz offensichtlich fehlendem Sachwissen über die historische wirtschaftliche, soziale und politische Entwicklung z.b. Norwegens, den dort vorhandenen Ressourcen, vor allem Öl als Exportgut und Eigenenergieversorgung durch Wasserkraftwerke, die bei geringem Exportvolumen laut HDI-Rang dennoch den höchsten Lebensstandard der Welt ermöglichen und der Tatsache, dass es auch in Norwegen Kämpfe und Zerwürfnisse zwischen monarchischen und parlamentarischen Ideen gab, die schließlich zur Gewaltenteilung führten und die heutige konstitutionelle Monarchie mit parlamentarischen Zügen begründeten, so dass Norwegen bei weitem keine reine Monarchie mehr ist, stellt sich mir vor allem die Frage, woher das immer wieder geäußerte Bedürfnis der Menschen nach „Herrschern“ stammt.
Der Blick in die Vergangenheit und auf die Monarchie offenbart, dass erst die Fehlleistungen dieser Herrschaftsidee Revolutionen herbeiführten, Umstürze begünstigten.
Die Idee der Monarchie ist die Idee von Erbrecht, die Lehre des „besseren“ Blutes.
Sie ist die Macht der Geburt über den Gestaltungswillen und Freiheitsdrang des Menschen.
Sie ist die Geschichte der Unterdrückung, der Feudalherrschaft, der Ausbeutung, des Machterhalts und der Machterweiterung einer winzigen Herrschaftsdynastie auf Kosten der Mehrheit.
Die Begeisterung für die Monarchie ist die Begeisterung für freiwillige Selbstaufgabe, für Unterwerfung auf Wohl und Wehe unter einen Menschen, für den es irrelevant ist, ob er seinem „Job“ gewachsen ist, dessen Machtbefugnis nicht von Kompetenzen, Ideen und Interesse für das Gemeinwohl abhängig, sondern allein seiner Herkunft geschuldet ist.
Der Glaube an Monarchie ist der Glaube daran, ein fremder Mensch könnte das eigene Schicksal konstruktiver gestalten als man selbst.
Was treibt einen Menschen dazu, die eigene Freiheit aufgeben und das eigene Wohl in fremde Hände legen zu wollen?
Wie wird aus der Ohnmacht, die die meisten von uns auch heute spüren, angesichts systemischer und politischer Fehlentwicklungen, angesichts postdemokratischer Vorgänge und Volksvertretern, die offensichtlich nur noch reagieren anstatt zu agieren und zu gestalten und die sich der vermeintlichen Nötigung zu permanentem Wachstum um jeden Preis geschlagen geben, der Wunsch nach „starken Männern“ und „starken Frauen“?
Wäre ein gesundes Bedürfnis im Ohnmachtsempfinden nicht das Aufbegehren, das Selber-Gestalten-Wollen?
Wie, um alles in der Welt, kann man auf den Gedanken kommen, eine Machtverschiebung wäre die Lösung, wenn doch nur Abbau von Macht, die in zu wenigen Händen liegt, tatsächlich ein Mehr an Freiheit für die Masse brächte?
Es ist ein Paradoxon, mehr Herrschaft zu fordern in dem Glauben, damit die bestehende Herrschaft und die damit verbundenen Ohnmachtsgefühle auflösen zu können.
Ich möchte an zwei große Ereignisse der Geschichte erinnern, die uns vor Augen führen, welchen Wert und welche nachhaltigen Folgen der Kampf gegen Monarchie, für Freiheit und die Idee der Demokratisierung, haben können:
Als erstes zu erwähnen wäre die „Boston Tea Party“ 1773 in Amerika, ein Ereignis, das zum Symbol des Kampfes gegen das britische Königshaus und damalige Besteuerungspläne geworden ist, gegen eine damals schier übermächtige Kolonialmacht, die für die gezahlten Steuern dennoch kein Mitspracherecht gewähren wollte. So lautete denn auch die Parole der Kolonialisten „No taxation without representation“.
Dieser Kampf mündete schließlich in der am 4. Juli 1776 unterzeichneten, von Thomas Jefferson verfassten, Unabhängigkeitserklärung. In diesem Dokument wurden zum ersten Mal offiziell Menschenrechte benannt und konkret verankert.
Dass diese zunächst vor allem frei geborenen, weißen Männern zugestanden wurden, tut der Schönheit und Kraft, die von dessen Formulierung bis heute ausgeht, keinen Abbruch:
„We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness…”
Die deutsche Übersetzung dazu:
„Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“ (Meines Erachtens keine sonderlich gelungene Übersetzung).
Das zweite historische Ereignis, das ebenso wie das erste auf den Ideen der Aufklärung fußt, ist die Französische Revolution, heute Inbegriff des Aufbegehrens gegen absolutistische Monarchien wie auch jede andere Form der staatlichen Repression.
Nachdem Finanznöte und Hunger der breiten Bevölkerung den gut gefüllten Getreidelagern der Herrschenden gegenüberstanden und die Schere zwischen Arm und Reich für die Mehrheit nicht mehr tolerabel war, führte dies dazu, dass sich breite Massen solidarisierten. Dem folgte am 14. Juli 1789 der Sturm auf die Bastille und auch hier, orientiert am amerikanischen Vorbild und dem Gedanken der Aufklärung, mündete der Aufstand in einer Menschen- und Bürgerrechtserklärung, die am 26. August 1789 in Kraft trat:
„Les représentants du peuple français, constitués en Assemblée nationale, considérant que l’ignorance, l’oubli ou le mépris des droits de l’homme sont les seules causes des malheurs publics et de la corruption des gouvernements, ont résolu d’exposer, dans une déclaration solennelle, les droits naturels, inaliénables et sacrés de l’homme, afin que cette déclaration, constamment présente à tous les membres du corps social, leur rappelle sans cesse leurs droits et leurs devoirs afin que les actes du pouvoir législatif et ceux du pouvoir exécutif, pouvant être à chaque instant comparés avec le but de toute institution politique, en soient plus respectés ; afin que les réclamations des citoyens, fondées désormais sur des principes simples et incontestables, tournent toujours au maintien de la Constitution et au bonheur de tous. ”
Übersetzt:
“Die Vertreter des französischen Volkes, als Nationalversammlung konstituiert, haben unter der Berücksichtigung, dass die Unkenntnis, die Achtlosigkeit oder die Verachtung der Menschenrechte die einzigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind, beschlossen, die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Menschen in einer feierlichen Erklärung darzulegen, damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft beständig vor Augen ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; damit die Handlungen der Legislative und jene der Exekutive in jedem Augenblick mit dem Ziel jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch mehr respektiert werden; damit die Ansprüche der Bürger, fortan auf einfache und unbestreitbare Grundsätze begründet, sich immer auf die Erhaltung der Verfassung und das Allgemeinwohl richten mögen.“
Wer jetzt geneigt ist, den Zustand der heutigen Demokratie mit diesen hehren Absichtserklärungen zu vergleichen und zu glauben, es sei „sowieso nicht viel erreicht worden“, der möge sich daran versuchen, Demokratie als Bewegung und Prozess zu verstehen, nicht als einmal erreichten, unveränderlichen Zustand.
Demokratie wird dem Menschen nicht mit einem Vertrag übergestülpt, nicht von „oben“ oder „außen“ geschaffen, ist nicht mit einer einzigen Freiheitsbewegung errungen oder etwas, wofür schon andere sorgen werden oder bereits gesorgt haben. Sie ist Entwicklungsprozess und Idee, und lädt zur Teilhabe ein. Sie braucht Begeisterung und ist mehr, als nur im Vier-Jahres-Zyklus wählen zu gehen, auch wenn Politiker dieser Tage alles tun, um den Eindruck zu erwecken, Demokratie sei darauf zu reduzieren und dem Wahlkampf zeitweise mehr Aufmerksamkeit widmen, als politischen Inhalten.
Das damalige Freiheitsbestreben erübrigt nicht den Kampf heute und so ist es wenig verwunderlich, dass Demokratien, deren Bürger auf Entwicklung und Auseinandersetzung verzichten, sich wieder zu einseitiger Machtstruktur zurückentwickeln.
Selbstverständlich erklärt sich der heutige desolate Zustand nicht nur aus dem Bürger heraus, auch Finanzwesen, Globalisierung, soziales Ungleichgewicht bringen die Demokratie ins Wanken.
Und doch: Der Demos, das Volk, hat zu allen Zeiten, so denn Solidarität zustande kommt, die Möglichkeit zur Veränderung in der Hand.
Anstatt jedoch diese eigene Stärke zu begreifen, spaltet es sich und schwächt sich dabei im selben Maße.
So kämpft der Mittelstand gegen die Unterschicht und damit vor allem auch gegen das ständig drohende Damoklesschwert des möglichen eigenen Abrutschens in eben diese.
Und die Unterschicht, von Existenzängsten bedroht, kämpft nicht etwa für mehr Freiheit und ein besseres Leben. Sie steckt ihre restliche Energie in den Kampf gegen die noch Ärmeren, gegen die „Anderen“, gegen Ausländer, Muslime, Juden, abstrakte Feindbilder. Dort ist nichts zu gewinnen, denn abgeschobene Ausländer machen keinen Armen reicher, sie sichern keine Existenzen.
Dafür ist aber alles zu verlieren, denn der Kampf für Menschenrechte ist auch der Kampf für die, die heute vielleicht noch über die Runden kommen, morgen aber schon ohne Lohn und Brot dastehen.
Solidarität ist kein Selbstverzicht, keine Selbstlosigkeit.
Sie ist lediglich konstruktiver Egoismus, der dem Individuum unterm Strich mehr dient als kostet.
In einem Land, das den Menschen über finanzielle Stärke definiert, was nutzt einem da Patriotismus während man bei der „Tafel“ um Lebensmittelspenden betteln muss?
Was wird aus dem „Nationalstolz“, wenn Strom nicht mehr bezahlbar ist oder Wohnungsnot droht?
Wer glaubt, der „starke Mann“ oder die „starke Frau“, der Monarch, Despot, Diktator hätte ein offeneres Ohr für Finanzschwache, für die Nicht-Systemrelevanten, der hat den Geschichtsunterricht in Gänze verschlafen.
Und wer, wie Frau Roll, monarchischen Züge, die eine zehn Jahre währende „Regentschaft“ der Kanzlerin durchaus hat, nur Gutes abgewinnen kann, der hat die Notwendigkeit für Reibung und Bewegung innerhalb demokratischer Strukturen nicht verstanden. Demokratie lebt von Wandel, Streit, Wechsel, Möglichkeiten. Und tatsächlich wäre gelebte Demokratie auch der Inbegriff von Alternativen und damit das genaue Gegenteil gepredigter „Alternativlosigkeit“.
Dabei ist es irrelevant, ob man die Politik Merkels befürwortet oder ihr kritisch gegenübersteht: Parlamentarische Demokratie, die nicht fähig ist, sich aus sich selbst heraus zu erneuern, verliert auf lange Sicht ihre demokratische Legitimität, sorgt für Frustration im Volke ob des Mangels an Alternativen und verliert so nicht zuletzt auch ihre Glaubwürdigkeit.
Eine Kanzlerin also, die wüsste, dass ihre Regierungsjahre begrenzt sind, wie dies z.b. in Amerika der Fall ist (dort darf ein Präsident lediglich zwei Legislaturperioden regieren und kann danach nicht wiedergewählt werden), würde Konkurrenz nicht derart wegbeißen sondern im Gegenteil in der Stärkung eines Konkurrenten, der nach ihrer Regierungszeit ähnliche Ziele verfolgt, einen Gewinn sehen. Damit wäre selbst innerhalb der Regierungspartei Wandel möglich und erwünscht.
Der CDU bleibt in der bestehenden Situation hingegen nichts anderes übrig, als sich auf die Personalie Merkel zu reduzieren und, ähnlich der Ära Kohl, auf das Wanken und Fallen der eigenen Leitfigur warten zu müssen, um dann den Dolchstoß zu wagen.
Auch hier ist das royale Bild des Königsmordes durchaus zutreffend und zeigt doch nur, wie dringend Veränderungen vonnöten sind die, unabhängig von politischer Präferenz, allen zugutekämen.
Der Trugschluss, starke Führung verspräche Sicherheit ist ebenso absurd wie die Idee, Zeit ließe sich anhalten und Veränderung sich abwenden. Die konservative Idee des Erhaltens und Bewahrens ist hier nicht angebracht.
Die Frage ist nur, ob wir mutig genug sind, diese Veränderungen mitzugestalten, oder ob wir uns tatsächlich auf scheinbar „starke Männer und Frauen“ verlassen wollen, unser Wohl und Wehe, unser Glück und Unglück und vor allem unsere Freiheit in fremden Händen wissen wollen.
Monarchie UND Freiheit sind ebenso wenig zu haben wie Demokratie UND Politikferne, Verantwortungslosigkeit, Gleichgültigkeit.
Der Kampf um Freiheit, um Menschenrechte, um Demokratie, er ist keine Angelegenheit der Geschichte und er wird immer nötiger in Zeiten zunehmender postdemokratischer Zustände.
Ich widerspreche hiermit vehement der Idee, starke Führung sei auch nur annähernd Grundlage für das Wohl einer Gesellschaft.
Ich, für meinen Teil, will weder beherrscht noch geführt werden. Die Grundlage für das Wohl einer Gesellschaft liegt in ihrer eigenen Stärke.
Und so möchte ich meinen Text schließen, ähnlich der Heroldsformel, die das letzte Kapitel jeder monarchischen Regentschaft in Frankreich beschloss:
„Le roi est mort. Vive le roi“
Der König ist tot.
Die Monarchie ist tot.
Es lebe die Demokratie!