Seit Jahren steht Netzpolitik.org mit gutem und gut recherchiertem Journalismus dafür ein, dass das Internet frei bleibt.Das Bewahren der Netzneutralität sowie ein freier Zugang der vernetzten Bürger zu Informationen sind Hauptanliegen des Journalisten Markus Beckedahl und des Berufsbloggers Andre Meister.
So finden sich auf dem Blog dann auch Artikel über die neue französische Geheimdienstgesetzgebung, die dem Geheimdienst tiefgreifendere Überwachungsbefugnisse einräumt, Beiträge über BND-Überwachungen, Berichterstattung zum ewigen Thema Netzneutralität sowie den politischen Bemühungen, diese zu unterwandern und auch Blogposts wie „Wie die Bundesnetzagentur Geheimdienst-Spionage aufklären wollte, aber vom Kanzleramt daran gehindert wurde“.
Ganz offensichtlich nicht die einzige Form der Aufklärung, die dem Kanzleramt sauer aufstößt.
Auch Heiko Maas‘ wankelmütige Haltung zur Vorratsdatenspeicherung sowie Generalbundesanwalt Range, dessen Aufklärungswille in Sachen NSA sich ganz offensichtlich in engen Grenzen hält, wurden auf Netzpolitik.org unter die Lupe genommen.
Die Chance, gegen die unliebsame kritische Stimme vorzugehen, sah man dann in der Veröffentlichung von, als „VS-vertraulich“, eingestuften Dokumenten zu einer geplanten Ausweitung der Überwachungskapazitäten des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Bereich der sozialen Medien, die dem Blog zugespielt und dort veröffentlicht wurden.
Und so werden nicht grundlos Erinnerungen an die Spiegel-Affäre von 1962 wach, einen beispiellosen Eingriff in die Pressefreiheit, sowie die Anschuldigungen gegen die linke Zeitschrift „Konkret“ 1983, bei denen man ebenfalls politisches Kalkül vermuten musste.
Nun kann es eigentlich nicht verwundern, dass in einem zunehmend nach rechts rückendem Staat, dessen Ausbau der Bürgerüberwachung, Abschottung nach außen, Abbau des Sozialstaates und vormaliger Bürgerrechte auch der Vorwurf des Landesverrates erneut als staatliches Mittel der Allmacht eine neue Rolle spielen soll.
Generalbundesanwalt Range wurde auf Antrag von Hans-Georg Maaßen tätig, dem Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes.Einen Erklärungsversuch, wie es zur Eskalation durch Maaßen kam, wagt Spiegel Online gestern und zitiert Maaßen Anfang Mai auf einem Symposium des Inlandgeheimdienstes in Berlin:
„Die Nachrichtendienste werden seit mehreren Jahren von Teilen der Medien und Politik kritisiert wie vermutlich noch nie zuvor und wie vermutlich in keinem anderen Land", klagte Hans-Georg Maaßen. "Ich persönlich habe den Eindruck, dass von bestimmten Kreisen versucht wird, die deutschen Nachrichtendienste sturmreif zu schießen."
Dass man diese Kriegsrhetorik durchaus ernst nehmen durfte, beweist sich nun:Es wird „zurückgeschossen“.Mit Kanonen auf Spatzen.
Der Verfassungsschutz hierzulande hat seit Jahren ausschließlich mit Peinlichkeiten und Katastrophen von sich reden machen.Das gescheiterte NPD-Verbotsverfahren war ebenso Beweis einer unfähigen, undurchsichtig arbeitenden Behörde, wie die mangelhafte Aufklärung hinsichtlich der NSU.
So ist es auch ein Hohn, wenn auf der offiziellen Seite des Bundesamtes für Verfassungsschutz Herr Dr. Hans-Georg Maaßen auf einem Banner nebst Foto verlauten lässt: „Wir sind ein Dienstleister für Demokratie“
Jeder Bürger dieses Landes hat den Verfassungsschutz in den letzten Jahren als inkompetentes Bürokratiemonstrum erlebt, dessen V-Leute tiefer in den rechten Sumpf verstrickt waren, als man es je für möglich gehalten hätte.
Im NSU – Prozess verschwanden so Akten unter mysteriösen Umständen oder wurden gleich ganz geschreddert, waren plötzlich V-Männer involviert, wo dies vorher abgestritten wurde, mussten sogar Verfassungsschützer selbst abgehört werden, ohne dass all dieses Mitwirken an Straftaten irgendwelche nennenswerten rechtlichen Konsequenzen nach sich gezogen hätte.
Man darf sich fragen, warum das Schreddern wichtiger Akten zur Strafvereitelung straffrei bleiben sollte, während das Veröffentlichen von Dokumenten, die geplante Eingriffe in Bürgerrechte durch den Verfassungsschutz vorsehen und eine illegitime Ausweitung von Überwachungsbefugnissen durch eine offensichtlich inkompetente Behörde darstellen, massiver bestraft werden soll, als z.b. die „Bildung terroristischer Vereinigungen“ in die hinsichtlich der NSU, nach allem was bisher bekannt wurde, auch und wieder, V-Männer des Verfassungsschutzes verwickelt waren.
Landesverrat, § 94 des Strafgesetzbuches, definiert sich folgendermaßen:
Wer ein Staatsgeheimnis
- einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder
- sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen,
und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder
- durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.
Neben der Frage, inwiefern hier Politik und Justiz unangemessen gemeinsam agieren muss man auch die Frage nach der Intention stellen.Dies wird, recht aufschlussreich, von den Betroffenen Beckedahl und Meister via Podcast selber getan.
„…Wenn der Präsident des Verfassungsschutzes Strafanzeige stellt ist das mindestens gedeckt vom Bundesinnenministerium…“ womit die treibende Kraft hinter dieser Anschuldigung Thomas de Maizière wäre. „…man darf davon ausgehen, dass Herr Range, wenn schon Ermittlungen wegen Landesverrats … aufgenommen werden, dass sich die Zuständigen nach oben absichern“
Diese Vermutung liegt nahe, ist doch absehbar, dass eine Anschuldigung dieser Größenordnung breite Berichterstattung nach sich zieht und dies kaum ohne Rückendeckung durch die Vorgesetzten geschehen dürfte. Da das Presseecho und sogar die Reaktionen der meisten Politiker parteiübergreifend jedoch diese Anklage verurteilten, blieb den Verantwortlichen wenig mehr übrig, als zurückzurudern. Diese undankbare Aufgabe übernahm Heiko Maas. Die einzigen Befürworter der Vorgehensweise fanden sich, wer hätte es gedacht, unter den Politikern der CDU/CSU.
Hektisch ließ Generalbundesanwalt Range, der weit weniger schnell und intensiv als „Aufklärer“ der NSA – Affäre auftritt und bei dem die Aufklärung von BND-Affären schon mal im Sande verläuft, kurz darauf mitteilen, man hätte die Ermittlungen „auf Eis gelegt“.
Wie im oben verlinkten Podcast zu hören vergaß er bei dieser Mitteilung jedoch darauf hinzuweisen, dass sich damit am Vorwurf und dem Vorgehen bis dahin nichts geändert hatte:„Auf Eis legen“ heißt in diesem Fall ausschließlich, dass auf Exekutivmaßnahmen verzichtet würde. Also auf Hausdurchsuchung und Verhaftung. Vorerst.
Der Grund dafür, dass Verfahren „auf Eis zu legen“ sollte noch nachdenklicher stimmen:
Es solle erst ein gerichtliches Gutachten erstellt werden um herauszufinden, ob die veröffentlichten Dokumente überhaupt strafrelevant seien.Man möge sich die Reihenfolge, in der Staat wie auch Justiz vorgehen, noch einmal genau ansehen:
ERST wird angeklagt, DANN wird die Strafrelevanz geprüft.
Wenn die Strafrelevanz aber noch gar nicht feststeht, was hat dann die Ankläger bewogen, eine derart brisante Anschuldigung gegen unliebsame Journalisten zu artikulieren und eine Anklage in die Wege zu leiten?
Was, außer einer möglichen Signalwirkung hinsichtlich einer aufklärerischen Berichterstattung, die den Interessen des Verfassungsschutzes und des Innenministeriums im Wege stehen?
Was, außer politischen Interessen?
Und dass auch Range im Sinne politischer Interessen agiert, bezeugen obige Beispiele ebenso wie lapidare Erklärungen zur NSA – Affäre und Verfahrenseinstellungen Ranges hinsichtlich bisheriger Ermittlungen gegen den US-Geheimdienst NSA.
Ich fühle mich in diesem Falle stark an die Griechenland-Politik erinnert, die in ihrer Radikalität nur eines tatsächlich wollte: Kritiker des bestehenden Kurses abschrecken.
Der Vorwurf des Landesverrates ist schwerwiegend und er darf nicht dazu führen, dass die wenigen Journalisten, die noch wagen, sich kritisch zu äußern, dies in Angst um ihre Freiheit tun müssen.
Auch darf man Politikern an dieser Stelle wohl einen ähnlichen Rat geben, wie ihn die Bürger erhalten, so sie denn wagen, die Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen sowie die Vorratsdatenspeicherung zu kritisieren: „Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“
Das Vorgehen der Anwaltschaft und aller Beteiligten zeigt lediglich, wie wichtig Plattformen wie Netzpolitik.org sind.
Wer sich die veröffentlichten Dokumente um die es geht noch einmal ansehen möchte, kann dies u.a. hier tun.