Liebe FischundFleisch-Redaktion, wie oft hatten wir in der Vergangenheit Debatten über die Meinungsfreiheit und ihre Grenzen. Und meist, nach oft sehr sachlichen und klugen Diskussionen, waren wir uns einig, dass dieses Einhalten der Grenzen gelegentlich misslang, oft aber funktionierte. Wir einigten uns darauf, dass es in Ordnung ist, auch eher verstörende und feindselige Haltungen zu Wort kommen zu lassen. Für den Dialog, für das bessere Verständnis der Gegenseite, für die Freiheit an sich. Das klappte. Zumindest eine Zeit lang. Und nun, seit Sylvester, seitdem plötzlich Menschen zu „Politexperten“ werden, die bestenfalls Tageszeitungen mit großen Lettern kennen und die YouTube für eine valide Quelle zur Informationsbeschaffung halten, in einer Zeit, in der diese potenziell tolle Plattform zu florieren beginnt, kippt das fragile Gleichgewicht zwischen gemäßigten und radikalen Stimmen, zwischen Hass und Toleranz.
Fast täglich wurden in den letzten Monaten die Flüchtlingsbeiträge, von denen ein Großteil ein sachliches Maß an Kritik weit überschritt, gepusht. Für die Kontroverse, für Klickzahlen und Aufmerksamkeit. Ja, hin und wieder gab es mal Reisebeiträge und Tierbabys, doch das Thema Flüchtlinge war überpräsent. Nun wäre das an sich sicherlich noch kein Grund zur Beschwerde, denn ich habe FuF immer ein wenig wie Facebook verstanden. Jeder hat seinen kleinen Blog-Bereich, der ihm persönlich „gehört“, in dem er moderieren kann. Übersetzt: Was kümmert mich der Radikalismus der Anderen? Vor allem, nachdem immer wieder versichert wurde, dass „Meinungsfreiheit“ auch für euch da aufhören würde, wo rechtliche Grenzen überschritten würden. Nun darf man seit ein paar Tagen mit aller Berechtigung fragen: Was ist aus dieser Haltung geworden? Geopfert im Stress? Für Aufmerksamkeit? Gleichgültigkeit? Wie ist es zu erklären, dass z.b. ein Mensch zum „Thema des Tages“ wird mit dem Text „Schießbefehl“? Nun war es so, dass gerade in den ersten Monaten der Seite, in der Zeit der Entstehung, Verständnis dafür aufzubringen war, dass eine kleine Redaktion mit wachsendem Ansturm und damit auch wachsender Anforderung überfordert war. Es war schwierig für euch und das ist es noch immer, keine Frage. Und es gab in den letzten Monaten kaum eine bessere Neuerung auf FuF als die Möglichkeit zur Selbstmoderation. Aber auch für eure Facebookseite seid ihr verantwortlich (nicht FB selber, wie es fälschlicherweise immer wieder heißt). Und dort wird es, nachvollziehbar und sehr konkret, seit Monaten radikaler und lauter. Einmal, weil die Auswahl der Titel nicht breit genug gefächert ist und die Dauerberieselung mit Hass Menschen zusammenkommen lässt, die es genießen, mal „so richtig Dampf abzulassen“, andererseits aber auch, weil ihr, im Gegensatz zu Welt, Zeit, FAZ und Co. es bis heute nicht schafft, wenigstens die schlimmste Hetze und radikale Beleidigungen zu entfernen. Und nein, dafür ist nicht der zuständig, der sich „gestört“ fühlt, wenn er „asozial“, „Schmarotzer“ und Schlimmeres genannt wird. Ihr seid verantwortlich. Und hier wird mittlerweile auch das Maß verletzt, das ihr versprochen hattet: Der rechtstaatliche Rahmen. Denn auch Beleidigungen dieser Sorte fallen in einigen Fällen in den Bereich dessen, was justiziabel wäre. Ich möchte an dieser Stelle erneut, und sehr eindringlich, darauf hinweisen, dass das Gleichgewicht der Plattform zu kippen droht. Die oft zitierte Ausgeglichenheit, die ihr wahren wolltet, die gibt es immer weniger. 90% der aktuellen Kommentare zeichnen einen klares und deutliches Bild. Der Beitrag unter Bernhards heutigem Beitrag hat das, was sich in den letzten Wochen zugespitzt hat, mehr als deutlich gemacht. Eine Kostprobe gefällig?
Beleidigungen dieser Sorte konnten acht Stunden ungelöscht, unwidersprochen stehenbleiben:
Die Autoren dieser Hetze gaben ungewollt dem Artikel des Autors Recht, der deren Abstumpfung beschwor. Im Zweifel waren die Kinder selber schuld. Andere behaupteten lieber, dass Kinder von Muslimen gar nicht unschuldig sein könnten. Schon in dem Alter „Verbrecher und Mörder“. Mindestens:
"Pack", "Schmarotzer" und ähnliche Widerwärtigkeiten waren längst nicht alles.
Enthauptungen, Stricke und „gottlose Kreaturen“ überall. Ohne Widerspruch. Ohne Eingreifen von eurer Seite:
Und natürlich auch furchtbar „dezente“ Hinweise auf Rasse, Rassenzugehörigkeit, Volksverräter. Eine „Tradition von etlichen Generationen, die uns nie geschadet hat.“ Alles im legalen Rahmen? Meinungsfreiheit? Wer das für Freiheit hält, der hat bald keine mehr:
Und zu guter Letzt wie immer eine Prise Geschichtsrevisionismus. An dieser Stelle gilt mein Kommentar auch Frau Petra M., die im Pöbel (Ja, liebe Hassbürger. Wer Busse belagert, Menschen anschreit, droht und geifert, der hat genau diese Bezeichnung verdient) von Rechenberg-Bienemünde die neue „französische Revolution“ verortet sehen will. Sie schafft den eigentlich unmöglichen Gedankenspagat:
„Die französische Revolution von 1789 wird gern als Meilenstein der gesellschaftlichen Entwicklung gefeiert. Obgleich dort Menschen getötet wurden, gilt dieser Gewaltakt als positiv, da er eine Auflehnung gegen eine Obrigkeit gilt, die gegen ihr Volk handelte. Zieht man Parallelen zu heute, müßte man sich doch eigentlich erneut begeistert zeigen. Das ist ein gewagter Gedanke, aber vollkommen abwegig?“
Ja, Frau M., das ist es. Vollkommen. So abwegig, dass Sie Schwierigkeiten haben dürften von da aus wieder an irgendeinen argumentativ validen Punkt zurückzufinden. Weder handelt es sich bei einem Lynchmob auf Unschuldige um „Widerstand gegen die Obrigkeit“ sondern vielmehr um Treten gegen die Schwächeren, noch ist „das Volk“ in Deutschland von heute an dem Punkt, an dem die Franzosen von damals waren. Vielleicht haben Sie sich auch einfach nur in der Zeit vertan. Denn wer, wie Sie, schon mal im Voraus zu kommende, „gerechtfertigte Gewalt“ beschwört, der dürfte sich 1933 viel wohler fühlen.
Und nein, „die Deutschen“ blieben auch nicht im Land.
Liebe Redaktion: Nicht alle, aber einige dieser Kommentare haben jedes Maß überschritten. Und sie sind auch kein ausgleichender Faktor mehr, sondern stellen 90% der Kommentare. Es sind schon viele Gemäßigte gegangen und haben die Plattform verlassen. Und auch ich möchte mich wohlfühlen mit einem Konzept von Meinungsfreiheit, das sich nicht auf eine Schieflage, auf Faustrecht und das Niedertrampeln Andersdenkender einlässt. Dazu gehört eine funktionierende Redaktion die das Konzept, wie auch die in ihm Agierenden stützt und schützt.
Dies:
„Liebe Community! Wir bitten Euch, respektvoll miteinander zu diskutieren.“
ist ganz offensichtlich nicht ausreichend. Und nicht einmal unter eurem eigenen Beitrag schien es euch notwendig, einzugreifen. Dort blieb u.a. die Aufforderung nach „Lagern“ stehen. Und nach all den Monaten dürften derartige Auswüchse auch nicht mehr überraschend kommen. Ihr wisst um die Reaktionen, die auf das Posten kontroverser Meinungen folgen.
Es gäbe zwei Wege, mit der Facebook-Problematik konstruktiv umzugehen. Eine Option wäre das Abschalten der Kommentarfunktion. Das würde die Leute zwingen, auf der Seite selber ihren Senf zu lassen und damit die Möglichkeit des Individuums zur Moderation stärken. Oder aber ihr könntet jemanden abstellen, der regelmäßig redigiert. Das Recht desjenigen zu wahren, der am lautesten schreit, am härtesten zuschlägt, am widerlichsten pöbelt, hat nichts, aber auch gar nichts mehr mit „Meinungsfreiheit“ zu tun.
Ich, wie auch einige andere, die diese Plattform zu Beginn sehr zu schätzen wussten, bitten euch nun darum, zu handeln und das Gleichgewicht wiederherzustellen, das für tatsächliche „Meinungsfreiheit“, die eben auch darin besteht, sich sachlich äußern zu dürfen, ohne dafür beschimpft und niedergeschrien zu werden, unabdingbar ist.
Ich lehne das Faustrecht in physischer wie auch verbaler und schriftlicher Form ab.
„Gewalt ist Analphabetentum der Seele“ (Rita Süssmuth)