Politischer Aschermittwoch

Am 18.02. war es wieder so weit:

Es war der Tag des politischen Aschermittwoch, von jeher der Tag, an dem Politiker aller Couleur mit markigen Sprüchen vor Kameras bei denen punkten wollen, die noch nicht ganz ausgenüchtert sind vom Karneval, feuchtfröhlicher Feierlaune und alkoholgetränktem Versuch von Laissez-faire, der nie so wirklich locker und gelassen wirken mag.

Und so schienen auch die Politiker meist eher bemüht als enthusiastisch, wenn sie Bierkrug schwenkend die nächste Kamera suchten, um mit dem Maß in der Hand möglichst bürgernah zu wirken.

Selbst Frau Merkel, die sonst eher auf Kettchen in Schwarz-Rot-Gold setzt, um ihre vermeintliche Bürgernähe visuell zu bezeugen, hielt brav lächelnd das Bierglas in die Kamera, ertrug die Blasmusik und dachte sich ihren Teil.

PR ist alles, dieser Tage. Und die Kanzlerin ist PR-Profi. Gekonnte Auftritte in WM-Stadien, Bierzelten und in, mit Claqueuren versetzten, Talk-Shows sind ihre leichteste Übung. Wenn die umgesetzte Politik schon nicht stammtischgerecht ist, so muss es doch diese Auftritte geben, die dem bierduseligen potenziellen Wähler das Gefühl vermitteln, ernst genommen und verstanden zu werden.

Und so sollten das gute, deutsche Bier, gebraut nach Reinheitsgebot, die Blasmusik und Festzeltatmosphäre vor allem eines suggerieren:

Wir sind Menschen aus dem Volk. Wir teilen eure Sorgen. Wir sind genau wie ihr.

Es sind vorgeschriebene Reden, auswendig gelernte Phrasen und tausendfach wiederholte Wahlslogans, die hier als Ersatz für reelle Kommunikation und Auseinandersetzung herhalten mussten.

Selbstverständlich darf man davon ausgehen, dass Frau Merkel sich kurz darauf wieder in die Limousine setzte, um sich zum nächsten öffentlichen Stelldichein fahren zu lassen, während sie auf dem Weg diverse politische Gespräche per Telefon abwickelte, anstatt betrunken nach Hause zu torkeln, um am nächsten Tag den Kater auszukurieren. Das Nippen am Bier gilt der Kamera, nicht der kurzzeitigen Sorglosigkeit oder gar der Sozialisierung mit Stammtischbrüdern. Sie ist ein Teil der Bilderflut, die als Ersatz für Inhalte dient.

Nun war es aber, wie gewohnt, der Vorsitzende der Schwesterpartei CSU, der sich einmal mehr hervor tat. Besonders laut und damit vermeintlich besonders nah am Volke.

Und auch nicht zum ersten Male auffällig nah an Inhalten der NPD.

„Wir sind nicht das Sozialamt Europas“, tönte Seehofer, wohl wissend, dass sein Gepöbel den Nerv des einfach gestrickten, mäßig informierten, Festzeltbesuchers treffen würde.

Ein Slogan, bei Wahlkämpfen besonders gerne von NPD und AfD auf Wahlplakaten gedruckt, der zweierlei suggeriert:

Erstens die Existenz einer angeblichen Welle von „Wirtschaftsflüchtlingen“, die niederträchtigerweise ausgerechnet Deutschland heimsuche, zweitens die vermeintliche Tatsache einer unsagbaren Großzügigkeit Deutschlands, die zwar nett sei, aber dann doch ein Ende finden müsse, weil sie schamlos und vorsätzlich ausgenutzt würde.

Nun grenzt es schon an einer maßlosen Unverfrorenheit, ausgerechnet Deutschland als Opfer Europas darzustellen, hat doch kein anderes Land auch finanziell in diesem Ausmaß von Europa profitiert.

„Nach Berechnungen der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ließ das Zusammenwachsen Europas das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland zwischen 1992 und 2012 in jedem Jahr um durchschnittlich 37 Milliarden Euro steigen. Das entspreche einem jährlichen Einkommensgewinn von 450 Euro pro Einwohner...Nur Dänemark (plus 55 Euro pro Kopf) habe höhere Zuwächse erzielt.“

Des Weiteren ist die Kategorisierung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ in Asylsuchende geringerer Dringlichkeit und zweiter Klasse nur mit maßloser Ignoranz zu erklären.

Ein Wirtschaftsflüchtling flieht nicht vor einem Mangel an IPhone, Flat-TV und Supermarktauswahl. Er flieht vor Hunger, Wohnungsnot, Elend und Arbeitslosigkeit. Er flieht in der Hoffnung auf die Chance, ein lebenswertes Leben zu führen. Er flieht in der Hoffnung, seine Familie ernähren zu können, so er im Ausland Arbeit findet.

Seehofer zündelt hier bewusst. Er dürfte die positiven Zahlen kennen, die Einwanderung z.b. München beschert hat.

Auch wenn man die Zahlen Gesamtdeutschlands betrachtet, sind die Gewinne höher, als die Kosten:

„Die in Deutschland lebenden Ausländer entlasten den Sozialstaat in Milliardenhöhe. Das geht aus einer Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Bertelsmann Stiftung hervor. Danach sorgten die rund 6,6 Millionen Menschen ohne deutschen Pass im Jahr 2012 für einen Überschuss von insgesamt 22 Milliarden Euro. ...Jeder Ausländer zahlt demnach pro Jahr durchschnittlich 3300 Euro mehr Steuern und Sozialabgaben als er an staatlichen Leistungen erhält.“

Alles in allem füllt der deutsche Staat sein Staatssäckel mit Hilfe leistungswilliger Einwanderer, die nicht selten bereit sind, unterbezahlte Jobs in Dienstleistung und Industrie anzunehmen um so dem Elend ihrer Heimat zu entfliehen.

Dass es sicherlich auch Missbrauch gibt, darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass dieser, verglichen mit dem Nutzen für dieses Land, eher gering einzuschätzen ist. Auch ist der Missbrauch nicht einseitig. Gerade rumänische Wanderarbeiter werden hierzulande gerne um ihren Lohn betrogen, ausgebeutet und unter unwürdigen Bedingungen ausgenutzt.

Vor allem aber kann man von vereinzelten Missbrauchsfällen nicht auf das Gros der Menschen schließen, die nichts weiter erhoffen, als der Armut zu entfliehen, die sie nicht selber verursacht haben.

Zwar gab es vereinzelt Politiker, die auf diese Faktenlage hinwiesen, jedoch blieb der Protest erstaunlich verhalten.

Dabei ist es nicht das erste Mal, das Seehofer in trüben, braunen Gewässern fischt.

Noch nicht allzu lange her ist die Roma-Debatte, die u.a. von BILD mit großen Lettern und der BILD-üblichen Panikmache begleitet wurde.

Auch hier warnte Seehofer vor der „Armutszuwanderung“ und suggerierte mit „Wer betrügt, der fliegt“, dass Menschen, die vor Armut fliehen, vor allem eines wollten:

Den Deutschen ans gute, hart erarbeitete Geld.

Das ist populistisch, unwahr, aber es verfängt in einem Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergeht.

Ein Schelm wer glaubt, ein Sündenbock käme der Regierung gelegen, erspart es den politischen Akteuren doch, eine Antwort auf die Frage nach den tatsächlichen Ursachen für wachsende Armut im Land geben zu müssen.

Der rücksichtslos durchgeführte Sozialabbau und die, politisch gewollte und geförderte, ungebremste Zunahme prekärer Arbeitsplätze, zulasten sozialversicherungspflichtiger, gut bezahlter Vollzeitstellen, hat Deutschland zu dem Land mit der zweithöchsten Niedriglohnquote Europas avancieren lassen.

Das Ergebnis ist eine Umverteilung von unten nach oben, eine Gewinnmaximierung der Großfirmen und Arbeitgeber, die den Ruf Deutschlands als „Wirtschaftslokomotive“ begründet, ohne zu erwähnen, dass die derzeitig wachsende Armut, sowie die zu erwartende massive Welle an Altersarmut, die aus der Masse an prekärer Beschäftigung zu erwarten ist, ein Resultat dieser beispiellosen Umverteilung darstellen.

Der so verkaufte „Erfolg“ ist nichts weiter, als der Ausverkauf des, über die letzten Jahrzehnte erworbenen, Gesellschaftswohlstandes zuungunsten eines Großteils der arbeitenden Bevölkerung.

Es ist sicher nicht der Armuts- oder Wirtschaftsflüchtling, der dem Deutschen hier in die Tasche greift.

Man kann sich sicher sein, dass Seehofer dies weiß.

Er weiß aber auch, dass er sich mit Halbwahrheiten, Populismus und simplen Antworten auf komplexe Realitäten die Stammtische geneigt hält, die ihm auch beim nächsten Bierzelttermin freudig zuprosten werden.

Schließlich ist er einer von ihnen.

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fischundfleisch

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Bernhard Juranek

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