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Der 21te März ist, wie jedes Jahr, Welt-Down-Syndrom-Tag.

Nun ist es noch gar nicht so lange her, dass man hierzulande und über die Grenzen hinweg, den Weltfrauentag mit viel Getöse feierte. Blumenhändler hingen Transparente in ihre Läden und luden zum Blumenkauf angesichts des großen Tages ein. Selbst die Tagesschau brachte die Neuigkeit inklusive Bericht über diverse Aktionen der unterdrückten Frau und meine Facebookwall quoll über vor Memes, Glückwünschen und allgemeiner Freude über den Welt-Tag, der nur der Frau gewidmet war.

Nun würde die durchschnittliche Frau sich freuen, wenn anstelle eines eintägigen Getöses die Gehälter angepasst würden, die Altersdiskriminierung eingedämmt würde und Frauen nicht mehr an ihren körperlichen Vorzügen oder Nachteilen gemessen würden, aber das hielt selbst meine Facebookfreundinnen nicht davon ab, meine Kritik an dem „Ein-Tages-Dilemma“ mit einem Hitlervergleich zu bedenken und das Getöse zur absoluten Notwendigkeit zu erklären.

Nun also der Welttag des Down-Syndroms. Und wie jedes Jahr dürfte, verglichen mit dem Tage der Frau, die Glückwunsch-, Floristen-, und Interessenlage verhalten bleiben. Im Kapitalismus gilt nun mal das Prinzip der „verkaufsfähigen Argumente“. Und das kleine Extra-Chromosom taugt nicht für die Industrie der Blumensträuße, der großen Aufregung und Bilder in der Tagesschau.

Hier geht es um Menschen, die als „schwer verwertbar“ gelten. Kostenfaktor. Bürde.

Zumal sich die beiden Feiertage nun wirklich nicht verbunden fühlen können. Schließlich halten Frauen, im Sinne ihrer „freien Entscheidung“ daran fest, Kinder mit Down-Syndrom selbst in lebensfähigem Alter im letzten Drittel der Schwangerschaft töten zu dürfen.

Kinder mit Trisomie 21 als Feind der Befreiung des weiblichen Geschlechts?

Eine essenzielle Frage, die sich immer mehr Menschen im Sinne des Leistungsfetischs nicht nicht mehr stellen, ist:

Ist das Leben mit Trisomie 21 tatsächlich „lebensunwertes Leben“?

Und täuschen Sie sich, trotz des Gesellschaftskonsenses, nicht. Es geht, oder sollte gehen, um den Lebenswert des Kindes, nicht um die Befangenheit oder Befindlichkeit der Eltern. Die hätten im schlimmsten Falle das Recht auf anonyme Geburt und Freigabe zur Adoption ihres unerwünschten Nachwuchses. Würden wir jedem Menschen, der einem anderen das Leben schwer macht, die Grundrechte und Existenzberechtigung entziehen, unsere Gesellschaft wäre ein trostloser Ort. Und auch das Leben so mancher Eltern wäre schwerer. Hätten Kinder die Rechte ihrer Eltern, wie viele Eltern würden ob einer „Unzumutbarkeit“ entsorgt? Spätestens im Alter, in dem sie Kindern zur „Bürde“ würden, die von unserer Gesellschaft bei Behinderten und allgemein physisch oder psychisch Eingeschränkten herbeifabuliert wird.

Also wäre die zweite Frage, die sich so auftut: Gibt es ein Recht auf Kinder und ein Recht an Kindern?

Und ist das, was der Frauenbewegung so selbstverständlich ist, nicht langsam auch auf Kinder auszuweiten?

Frauenrecht ist Menschenrecht.

Dasselbe sollte für Kinder gelten:

Kinderrecht ist Menschenrecht.

Das Recht auf Leben, Unversehrtheit, das Recht darauf, niemandem Eigentum zu sein.

So wenig, wie Frauen Männern gehören können und sollten, so wenig gehören Kinder Müttern oder Vätern. Und so wenig haben Mütter und Väter das Recht, die Rechte ihres Kindes mit Füßen zu treten. In Zeiten der reichen Auswahl an Empfängnisverhütung existiert keine Verpflichtung mehr zu einer Schwangerschaft. Das ist zu begrüßen. Eine wunderbare Entwicklung weiblicher Sexualität im Rückblick auf die Geschichte der Frau.

Sexuelle Freiheit.

Ab davon aber haben Frauen keine Rechte zuzustehen, die Männern zu Recht abgesprochen wurden. Dazu gehört das Recht an einem Menschen, das Recht, über Leben oder Tod zu entscheiden.

Das Recht, auf „Eigentum Mensch“.

Wie lebenswert das Leben mit dem Down-Syndrom sein kann, habe ich in der Vergangenheit mehrfach nachgezeichnet.

Unsere reiche Gesellschaft mit all ihren Möglichkeiten hat die Grundvoraussetzungen geschaffen, dass auch Kinder mit Trisomie 21 heute älter werden könnten als je zuvor - nur, um gleichzeitig ihre Möglichkeiten zu beschneiden, überhaupt leben zu dürfen.

Unsere Gesellschaft hat die pädagogischen Möglichkeiten entwickelt, mithilfe von Therapien und gezielter Lernförderung vielen Menschen mit Down-Syndrom ein weitestgehend autonomes Leben zu ermöglichen - nur, um zeitgleich eben diese Hilfen für zu teuer zu erklären.

Ich möchte Teile eines alten Textes anführen:

Wie, um Himmels willen, konnte es passieren, dass eine Gesellschaft, die mit ihrem Pluralismus hausieren geht, um die eigene Wertigkeit gegenüber anderen Ländern mit Mangel an Menschenrechten zu unterstreichen, so wenig Vielfalt in der eigenen Mitte zustande bekommt?

Wie kann es sein, dass öffentlich zwar immer wieder Inklusion gefordert wird, jedoch bestenfalls halbherzig, da das Argument, dass diese zwangsweise mit Leistungsminderung der „normalen“ Schüler einhergehen müsse, noch immer im Vordergrund steht?

Wir leben in einem Zeitalter der Normierung, der Unterwerfung unter den kleinsten gemeinsamen Nenner. So muss auch der Begriff „Behinderung“ gesehen werden:

„Der Kern des Problems mit dem Begriff Behinderung … liegt in der Unterscheidung von Menschen mit und ohne und damit in der Konstruktion von zwei unterschiedlichen Gruppen, von denen die eine als normal definiert ist und die andere als nicht normal“

Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass in Zeiten der Fruchtwasseruntersuchung und Früherkennung alles darauf hinausläuft, dass Selektion, einst von den Nazis propagiert, um „kranke und untüchtige Erbanlagen“ aus dem Volk zu tilgen, wieder Hochkonjunktur hat.

Der Leistungsfetisch unserer Gesellschaft trägt dazu bei, dass Leben wieder in „lebenswert“ und „lebensunwert“ unterteilt wird. Das Kind wird immer mehr zum Luxusgut, zu Eigentum deklariert, das die eigenen Lebensentwürfe vervollständigen soll.

Es soll so aussehen, wie es die Phantasie ausmalte, als Mann oder Frau sich vorstellten, wie es einmal sein würde, Familie zu haben. Immer glücklich, immer gesund, irgendwann Enkelkinder.

Kinder als Ego-Erfüllungsgehilfen.

Und nicht zuletzt Kinder im Eigentumssinne, wenn es schließlich darum geht, über deren Leben und Tod zu entscheiden.

Dies alles wird versteckt unter dem Deckmäntelchen der vermeintlichen Nächstenliebe.

Man muss schon eine äußerst zynische Ader haben, um zur Tötung eines Kindes dessen eigenes Wohl anzuführen. Viel eher ist unsere Gesellschaft mehr und mehr darauf abgestimmt, Leistung und größtmöglichen Eigennutz als Lebensmittelpunkt zu definieren.

Ein Kind, das mehr Arbeit und Sorge macht, als die persönliche Lebensutopie von Häuschen, Auto, aktivem Ehepartner, Job, weißem Gartenzaun, gesundem Kind, wird zur persönlichen Niederlage, zu Versagen erklärt.

Die tatsächliche Niederlage liegt in der Aufgabe der humanistischen Grundrechte und -Werte.

Das Lebensrecht des Individuums wird geopfert und schafft eine Gesellschaft, die ihre vermeintliche moralische Überlegenheit gegenüber anderer Kulturen, deren Ausrede für Tötung, Steinigung, Verbrennung auf archaischen Lebensideen religiöser Natur fußt, mit der Lüge moralischer Tötung aus Nächstenliebe aufrechtzuerhalten sucht. Dass diese Begründung kaum mehr standzuhalten vermag, als das sich-berufen auf Gott oder Religion, wird nur bei näherem Hinsehen deutlich.

So twitterte Dawkins, fern jedes religiösen Wahns, es sei „unmoralisch, ein Kind mit Down-Syndrom nicht abzutreiben“

Radikales Gedankengut ganz ohne Religion.

In Wahrheit kann niemand über den Wert eines Lebens entscheiden, der nicht selber dieses Leben führt.

Als an Depressionen Erkrankte, rein physisch potenziell „Leistungsfähige“, weiß ich durchaus, dass gesunde Arme und Beine, Hände und Füße, noch keinen gesunden oder glücklichen Menschen machen.

Der 21te März ist Welt-Down-Syndrom-Tag. Und wie jedes Jahr wird sich die Öffentlichkeit in verhaltener Anteilnahme ergehen.

Es geht schließlich „nur“ um Behinderte.

Nachtrag: Mir ist bewusst, dass meine Worte bei vielen einen Nerv treffen. Nicht selten erhalte ich für diese Ideen Zuspruch von der falschen Seite aber auch den Zorn derer, die sich selber als liberale, linke Front sehen und damit auf der „richtigen“ Seite. Was auch immer das heißen mag. Denn es ist gleich, welche Haltungen man sonst pflegen mag: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und auch das Menschenrecht sollte es sein. Diese Idee endet bei mir nicht, wo populistischerweise in linken Kreisen ein Recht auf Kindstötung angenommen wird. So wird es mir unverständlich bleiben, dass eine Bewegung, die sich ansonsten immer und überall um die Rechte von Minderheiten und Schwachen kümmert, gerade an dieser Stelle keinen Redebedarf mehr sehen mag. Der besteht. Und es wird Zeit, die Selektionsidee zu benennen, anstatt darüber zu debattieren, ob es sich dabei vorrangig um „konservatives“ Gedankengut handelt.

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Dieter Knoflach

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