Die SZ fragt: "Machen sich Journalisten zu Handlangern des internationalen Terrors, indem sie groß über die Anschläge berichten?" und "Wie sollten Medien über Terror berichten?"Angesichts der Berichterstattung rund um die Anschläge in Tunesien eine gute Frage. Und diese wird, wie die SZ ebenfalls bemerkt, nicht zum ersten Mal gestellt. Wie mediale Berichterstattung und Terror sich gegenseitig befeuern habe ich bereits in einem Gastbeitrag auf Bernhard Torschs Blog "Der Lindwurm" unter die Lupe genommen, nachdem die Attentate in Paris und Kopenhagen die Presselandschaft erschütterten. Deshalb zum Thema noch einmal damaliger Artikel, da er nichts an Aktualität eingebüßt hat:

Zu den Attentaten in Paris und Kopenhagen ist viel geschrieben worden. Viel Reißerisches, zu viel für mein Verständnis, aber auch einige gute Beiträge wie z.b. der Blog-Beitrag des Lindwurm, “Der Zauber des Kailifats” und der unbedingt lesenswerte Artikel von Georg Seesslen, “Beginnend mit Worten, endend mit Blut”, der wohl spannendste Versuch bisher, die Ursachen für Terroranschläge dieser Art in Europa, verübt durch junge Menschen mit Migrationshintergrund, aber im jeweiligen Land geboren, zu erklären. Europäer von Geburt und dennoch offensichtlich so fremd im eigenen Land, dass die Perspektive, die jede denkbare eigene Zukunft bietet, nicht wert ist, das eigene Leben zu erhalten. So fremd, dass der Hass sogar den stärksten menschlichen Instinkt, den Überlebenstrieb, außer Kraft setzt. Die Frage danach, woher Hass und Entfremdung kommen wird in obigen Artikeln schon detailliert untersucht.

Mich treibt vor allem die Frage um, welchen Anteil Medien und Berichterstattung an der Zuspitzung der Geschehnisse haben.

Wer in den letzten Jahren und Monaten die sogenannten Leitmedien konsumierte konnte den Eindruck gewinnen, dass Terrorismus herbeigeschrieben, ja fast herbeigesehnt wurde.

Immer lauter, immer plakativer wurden selektiv gewählte Straftaten, die in ein bestimmtes Raster fielen, zur Unkenntlichkeit aufgeblasen. Den drei großen Magazinen Spiegel, Stern und Focus diente der Islam dazu, mit polemischen Titelseiten Aufmerksamkeit zu heischen und die Auflage zu garantieren. Zu betrachten unter anderem hier.

Die Macher der jeweiligen Zeitungen wissen: Es verkauft sich, was an die stärksten Emotionen des Menschen appelliert: Lust, Angst, Hass.

Angst ist im Falle der Medien deshalb so effektiv, weil sie einen langfristigen Konsum garantiert. Wer Angst empfindet, will nach einer Story wissen, wie sie weitergeht, will wissen, ob der Täter gefasst wird. Ist fasziniert und abgestoßen zugleich von den scheinbaren Intimitäten, die ihm durch die Boulevardblätter, aber immer öfter auch durch die seriös geltende Presse serviert werden.

Und die Journalisten und Chefredakteure wissen dies natürlich und überschlagen sich in schöner Regelmäßigkeit mit neuen Horrorgeschichten über Ehrenmorde, Vergewaltigungen, Kopftuchgeschichten und der damit verbundenen angeblichen Frauenunterdrückung, mit der sie selber selbstverständlich nichts am Hut haben, Magermodels und Nacktbildchen im eigenen Magazin hin oder her.

Nun finden selbstverständlich auch in atheistischen und christlichen Familien Morde statt. Wird über diese geschrieben, so handelt es sich jedoch vornehmlich um „Familientragödien“, um „unerklärliche Taten“… als wäre ein muslimischer Hintergrund der Beteiligten eine Erklärung für alles.

Auch Vergewaltigungen sind nicht Muslimen vorbehalten. Laut Terre de Femme ist jede siebente Frau schon einmal Opfer sexueller Übergriffe geworden. Nur etwa fünf Prozent der Vergewaltigungen kommen zur Anzeige und nur die wenigsten Vergewaltiger werden nach einer Anzeige auch verurteilt, da Aussage gegen Aussage steht.

Und was an der angeblichen Nötigung zum Kopftuch dramatischer sein sollte als an der Nötigung, einem bestimmten Körperbild zu entsprechen will mir bis heute nicht einleuchten.

Wenn solch eine Form der Berichterstattung lange genug stattfindet, übernimmt die Riege der Stammleser nicht selten die selektive Wahrnehmung, der sie täglich ausgesetzt ist.

Ein schönes Beispiel für diese Funktionsweise waren die Wochen und Monate, in denen der Blätterwald voll war von Attacken durch sogenannte „Kampfhunde“. Bilder von scheinbaren Bestien waren zu sehen, Überschriften die suggerierten, wie üblich diese Attacken wären. Tatsächlich hatte sich am Beißverhalten der Hunde nichts geändert. Die Liste der Hunde, die am ehesten zubeißen führt übrigens bis heute der deutsche Schäferhund an. Da der aber keinesfalls als „Kampfhund“ gilt, wurde er von den Medien gnädig verschont.

Der Blick der Presse verengt sich, je nachdem, welches Thema sich gerade verkauft, und der Blick ihrer Leser verengt sich mit ihr.

Es kommt bei allen Artikeln, die Interesse erregen, auch zu einem Schneeballeffekt.

Wenn z.b. der Spiegel seinen Titel mit „Allahs gottlose Armee“ schmückt, kann man sich sicher sein, dass es bald aus dem geschlossenen Blätterwald aller anderen Medien zurückschallt, dass das Thema wiedergekäut und aufbereitet wird, bis es nicht mehr interessiert.

Nun ist das Problem mit Muslimen, Islamisten und Salafisten (die nicht selten in einen Topf geworfen werden) aber, dass die Angst der Menschen nicht nachlässt, sondern im Gegenteil immer weiter geschürt wird und damit auch ein Konsumverhalten entsteht, dass immer neue Horrormeldungen geradezu einfordert. Und der Journalist, der froh ist, noch eine Festanstellung ergattert zu haben, „liefert“.

Und wer will schon Geschichten über gut integrierte Muslime lesen, die morgens pünktlich aufstehen, ihre Arbeit tun, dann zu ihrer Familie zurückkehren, die sie selber mit ihrer Hände Arbeit versorgen.

Das würde, und so etwas sieht man in einer Marktwirtschaft nicht gerne, den Markt, Angebot und Nachfrage, einbrechen lassen. Möglicherweise würde es die Angst mindern, damit aber auch das Bedürfnis, die jeweilige Zeitschrift zu konsumieren, den jeweiligen Sender zu sehen. Auflage und Einschaltquote hängen an der Sensationslust.

Dass die Medien als Vierte Macht im Staate gelten, sollte ihnen aber nicht nur Rechte einräumen. Denn ja, das Recht auf freie Presse ist elementar und unabdingbar für eine Demokratie. Es sollte aber auch auf einem Verantwortungsgefühl basieren, auf dem Wissen um die Macht der eigenen Worte und Bilder, dem Wissen, dass die tägliche Berichterstattung die Wahrnehmung der Bevölkerung prägt, die ihr ausgesetzt ist. Dem Wissen, dass der nächste Artikel, der den Fokus gezielt auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe legt, auch Angst und Hass schüren kann und die Kaufkraft dieser beiden Emotionen keine Berechtigung für die Nachlässigkeit in der Berichterstattung ist. Eine verantwortungsvolle Presse versteht die Notwendigkeit, möglichst sachlich und emotionslos Fakten zu präsentieren. Und dies möglichst breitgefächert.

Die Frage, die mich umtreibt ist also: Wie viel Anteil hat die Presse am Entstehen der, sich mittlerweile feindlich gegenüberstehenden, Seiten der Bevölkerung?

Pegida, Mahnwachen, Querfront sind nicht vom Himmel gefallen. Sie folgten einem kausalen Entwicklungsprozess, sind nur möglich, weil die Basis dafür geschaffen wurde, namentlich Angst und Hass. Es ist schon fast als absurd zu bezeichnen, dass die so von der Presse Geprägten die „Lügenpresse“ schelten, solange diese nicht weiter bietet, was sie bisher schon geboten hat. Geschichten vom rechtschaffenen, hart arbeitenden Deutschen und den faulen Griechen, dummen Amerikanern und gefährlichen Muslimen. Ein, auf Klischees reduziertes, Bild der Realität.

Die andere Seite hingegen bemerkt nun ebenfalls die Früchte dieser „Öffentlichkeitsarbeit“. Muslime mit Migrationshintergrund haben es schwerer, Ausbildungen und Jobs zu finden. Ihr Nachname steht ihnen im Weg. Ebendies gilt auch für Wohnungen.

Dies durfte ich selber erfahren, als eine Vermieterin mir, die ich einen deutschen Namen trage, zuraunte: „Ich vermiete nämlich nicht an Ausländer“. Diese Form der Diskriminierung wird schlimmer, je verfestigter die Meinung der Gegenseite wird, Muslime seien alle potenzielle Terroristen zumindest aber mittelalterlich in ihrer Gesinnung und rückständig und damit weniger wert als der kultivierte Deutsche.

Wer so, in jungen Jahren, zudem vielleicht noch männlich, mit der Vorstellung im Kopf, Männer müssten die Familie versorgen und nährten daraus ihren Stolz (übrigens eine Haltung, die Männer der meisten Kulturkreise teilen), ständig an Grenzen gerät, die für ihn ohne permanentes „mea culpa“ für etwas, das er selber nicht verursacht hat, nicht zu überwinden sind, für den wird es ein Leichtes, sich zu radikalisieren.

Wer keine Perspektiven sieht, wer von einem nicht geringen Anteil der Bevölkerung das Gefühl vermittelt bekommt, unerwünscht und minderwertig zu sein, der wird immer weniger den Drang verspüren, sich konstruktiv einzubringen, zumindest außerhalb des eigenen Kulturkreises. Wenn zu dieser Berichterstattung und Gesellschaftsbasis dann noch persönliche und häusliche Schwierigkeiten dazukommen, wird aus der Ohnmacht schnell das Bedürfnis, diese mit Macht zu kompensieren. Gewalt ist das wohl simpelste Mittel, um aus einem Gefühl der Ohnmacht wieder ein Machtgefühl zu erleben. Der Weg des geringsten Widerstandes.

Die Presse spielt hier noch eine fatale zweite Rolle, denn die Berichterstattung über die Terroranschläge, die den Täter in den Fokus rücken, nicht die Opfer, reizt nicht selten junge Menschen, wenigstens in dieser Form an Bedeutung zu gewinnen, wie fragwürdig diese auch immer sei. Aus „Get rich or die trying“ ist dieser Tage für junge Leute „get famous or die trying“ geworden.

In einer Gesellschaft, die der normal arbeitenden Bevölkerung im besten Falle Mindestlohn und Bedeutungslosigkeit zukommen lässt, die Individualismus verspricht und doch permanent mit Austauschbarkeit droht, scheint das Streben nach Aufmerksamkeit und Ruhm das Maß aller Dinge zu sein.

Je größer also der mediale Wirbel um die Täter, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Nachahmer heranzuzüchten.

Was also tun?

Eine Deckelung solcher Meldungen wäre wünschenswert. Eine radikale Anonymisierung der Täter, wenn die Masse auch noch so sehr nach boulevardesken Hintergründen für den „Bösewicht“ schreit.

Bei Suiziden besteht bereits ein solcher medialer Konsens. Die Presse hat gelernt, dass intensives Berichten über Selbsttötungen nicht selten Nachahmer zur Folge hat. Für Attentäter und Attentate gilt dies mindestens in gleichem Maße.

Zumindest der Ehrgeiz von Menschen wie Breivik, aber auch anderen jungen Männern ohne Perspektive, die nach Bedeutung lechzen, die davon träumen der größte, bedeutendste Massenmörder der Geschichte zu werden, „Großes“ zu vollbringen, wäre gemindert, wenn die Presse sich auf Opfer konzentrieren und die Täter mit Schweigen strafen würde.

Allerdings verkauft sich das nicht halb so gut.

(Zuerst erschienen am 17.02.2015 auf https://lindwurm.wordpress.com/)

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